Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Wir kommen zum Antrag auf Drucksache VI-75.
Der Antrag von Herrn Sanitätsrat Dr. Orth aus Rheinland-Pfalz
lautet:
Bundesregierung und Krankenkassen werden aufgefordert, die unverantwortlichen
Einengungen und die Überbürokratisierung in der ambulanten
Krankenpflege schnellstmöglich zu beenden.
Gibt es eine Gegenrede? - Bitte, Herr Kollege von Zastrow.
Dr. von Zastrow, Niedersachsen:
Das Hauptproblem der ambulanten Pflege ist nicht die Bürokratisierung.
Das Problem ist, dass die Leistungen der Pflegekasse pro Pflegestufe
seit 1995 nicht dynamisiert sind. Die Pflegeeinrichtungen müssen
also jedes Jahr, wenn man die Preissteigerungen und die Gehaltssteigerungen
abzieht, praktisch sinkende Einnahmen, an dem realen Kaufwert gemessen,
hinnehmen. Eigentlich müsste man auch noch die Dynamisierung
der Pflegeleistungen verlangen, wie das auch in anderen Sozialversicherungssystemen
üblich ist.
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Schönen Dank. - Jetzt Herr Orth.
Dr. Orth, Rheinland-Pfalz:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
Sie bitten, den Antrag anzunehmen, und zwar nicht nur deshalb, weil
ich - ebenso wie Herr Montgomery - heute Geburtstag habe.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Herzlichen Glückwunsch! Warum verrät einem das niemand?
Dr. Orth, Rheinland-Pfalz:
Ich bin in mehreren Funktionen der Landesärztekammer und auch
im Kuratorium einer Sozialstation mit der Thematik befasst. Die
Sozialstationen gehen zum Teil bankrott, zum Teil sind sie nahe
dran. Das ganze Pflegesystem kann zusammenbrechen. Wir müssen
dringend unsere Stimme erheben.
Im Übrigen ist es so: Wenn wir zum Pflegebereich unsere Stimme
erheben, können wir nicht mit dem Totschlagargument niedergemacht
werden, als redeten wir nur über unzureichende Honorare, so
nach dem Motto: Denen geht es ja nur um ihr Geld! Hier geht es um
ein entscheidendes Problem gerade der hausärztlichen Versorgung.
Die Leistungen können dort kaum noch erbracht werden, wenn
so massive Einsparungen verlangt werden. Ein Beispiel: Bei einem
manisch-depressiven insulinpflichtigen Diabetiker, der regelmäßig
isst oder nicht isst - wir wissen: zur optimierten Diabetestherapie
gehört, dass man sechsmal am Tag den Blutzucker misst und danach
injiziert -, hat die Krankenkasse verfügt, dass die Sozialstation
nur noch einmal pro Woche den Blutzucker messen darf. Als ich mich
dagegen gewehrt habe, hieß es: Sie können ja selber öfter
hingehen und das tun!
Wenn ich das tue, geht das auf Kosten des Punktwertes meiner Fachkollegen.
Ein anderes Beispiel: Ein etwa 35-jähriger junger Mann, der
mit 16 Jahren durch einen Mopedunfall eine hohe Querschnittslähmung
erlitten hat, außerdem im letzten Jahr noch ein Hodenkarzinom
bekam, nach der Operation in einer Fachklinik war, wo er ausdrücklich
bescheinigt bekommen hat, dass er täglich katheterisiert werden
muss, bekam von der Krankenkasse eine Ablehnung. Der Patient trat
in den Hungerstreik. Ich habe mit der Krankenkasse telefoniert,
dort wurde mir versprochen, es weiterzuleiten. Das geschah nicht.
Wir konnten gerade noch verhindern, dass der Betreffende durch seinen
Hungerstreik ums Leben kam.
Hier müssen wir unsere Stimme erheben.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Schönen Dank, Herr Orth.
(Zuruf: Vorstandsüberweisung!)
- Es ist Vorstandsüberweisung beantragt. Wer möchte den
Antrag dem Vorstand überweisen? - Wer ist dagegen? - Das ist
die Mehrheit. Wer möchte dem Antrag zustimmen? - Wer ist dagegen?
- Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit klarer Mehrheit
angenommen.
Noch einmal herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Hat noch
jemand Geburtstag? - Das ist nicht der Fall.
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