Prof. Dr. Dr. h.
c. von Jagow, Referent:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie
bekomme ich Sie, wie bekomme ich mich wach? Jedenfalls werde ich mich
bemühen.
Auf dem 106. Deutschen Ärztetag in Köln, als wir
noch ganz am Beginn unserer Bemühungen standen, habe ich Ihnen über
die Ziele und die Umsetzung der neuen ÄAppO
berichtet. Damals bin ich detailliert auf die Inhalte der neuen
ÄAppO, die 22 Pflichtfächer, die zwölf Querschnittsbereiche,
die Neustrukturierung des Studiums und auf die neuen fakultären
Prüfungen eingegangen. Diese Themen können heute nicht noch einmal
behandelt werden.
In meinen heutigen Ausführungen möchte ich neben
dem Bericht über den Stand der Umsetzung einen Schritt weitergehen.
Ich werde einen Ausblick auf den zu erwartenden weiteren Verlauf der
ÄAppO unternehmen.
Es sei jedoch betont, dass die damals dargestellten
zentralen Forderungen nach wie vor Goldstandard sind. Wir brauchen
erstens einen deutlich stärkeren Praxisbezug, der konzentriert in
den Blockpraktika verankert ist. Wir brauchen zweitens eine verstärkte
Ausbildung am konkreten Krankheitsbild, die bereits am Beginn des
Studiums stehen muss. Dabei brauchen wir drittens eine Fokussierung
der Lehre auf die häufigsten Krankheitsbilder. Viertens benötigen
wir dabei den Ausbau der interdisziplinären Lehre, insbesondere der
Querschnittsbereiche, mit einem ständigen Austausch von Theorie und
Praxis. Fünftens brauchen wir eine verstärkte Profilbildung. Dazu
können die obligatorischen Wahlfächer beitragen, die in der Vorklinik
und der Klinik angeboten werden müssen.
Welches sind die derzeit dringlichst
zu erfüllenden Aufgaben? Wir müssen Form und Inhalt der Blockpraktika
weiter ausarbeiten. Das bereitet uns gewisse Schwierigkeiten. Das
Kennenlernen der häufigsten Krankheitsbilder
erfordert unabdinglich die Einbindung der Lehrkrankenhäuser. Gleiches
trifft für die Einbindung der Lehrpraxen zu, die häufig den Schwerpunkt
Allgemeinmedizin besitzen sollen.
Das Zeitraster der Umsetzung unserer Bemühungen
legen wir in den Bereich mehrerer Jahre.
Kontraproduktiv zu unseren Anstrengungen stehen
die ständigen Kürzungen der Landeszuführungen für Forschung und Lehre
und die zu erwartenden Mindereinnahmen der Universitätsklinika infolge
der Fallpauschalenvergütung.
Trotz aller Anfechtungen betreiben wir die Neugestaltung
der deutschen Hochschulmedizin mit ungebrochenem Elan. Wir folgen
nicht dem Motto „nach der Reform ist vor der Reform“, sondern konzentrieren
uns auf die Verwirklichung der neuen ÄAppO.
Wer sind die Akteure? Als oberste Instanz möchte
ich das BMGS benennen, das in Abstimmung mit dem Bundesrat die Verordnung
erarbeitet hat und das In-Kraft-Treten begleitet. Die Medizinischen
Fakultäten mit ihren Universitätsklinika, die das neue Ausbildungskonzept
realisieren müssen, stehen im Brennpunkt des Geschehens, vor allen
Dingen die Dekane und Studiendekane und – das ist zu betonen – ihr
Mitarbeiterstab, der oft die meiste Arbeit erledigt. Akteure dieses
Prozesses sind auch die Studierenden.
Die Landesprüfungsämter haben alle Neuerungen juristisch
zu begleiten. Das Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen
muss die neuen Staatsexamina erarbeiten, ihre Durchführbarkeit und
ihre juristische Validität absichern.
Der Medizinische Fakultätentag
berät und koordiniert diesen Prozess.
Die Studierenden mit ihrer bundesweiten Vertretung,
der Fachtagung Medizin, bringen sich ebenfalls in diesen Prozess
ein. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften bringt sich mit ihrem Input an Fachwissen ein.
Die Bundesärztekammer, der Marburger Bund und weitere
Kammern und Verbände analysieren in Fachausschüssen den Umsetzungsprozess.
Durch konstruktive Kritik und Vorschläge geben sie den Fakultäten
und Behörden wichtige Anregungen. Ich möchte hier der Bundesärztekammer
und auch dem Marburger Bund meinen Dank für ihre Unterstützung bei
der Abschaffung des AiP aussprechen. Der Bundestag hat, wie Sie wissen, mittlerweile
beschlossen, diese seit langem auch vom MFT kritisierte Phase der
Unterbezahlung des ärztlichen Nachwuchses zum 1. Oktober 2004 zu beenden.
(Beifall)
Die neue Ausbildungsordnung erschien im Juni 2002
im Bundesgesetzblatt. Ab 1. Oktober 2003 trat sie in Kraft. Bis zum
Beginn des reformierten Studiums verblieb nur sehr wenig Zeit.
Wie war das prozessuale Vorgehen? Es waren zu erstellen:
neue Studienordnungen, Curricula mit ihren Lehr- und Prüfungsinhalten,
die Lehrpläne, die Prüfungsordnungen und Prüfungspläne. Die Genehmigung
dieser Ordnungen erfolgte durch die Fachbereichs- bzw. Fakultätsräte,
die Universitätssenate und die Wissenschaftsministerien.
Die Landesprüfungsämter spielten bei der Genehmigung
der verschiedenen neuen Regelungen eine ganz wichtige Rolle.
Die Umsetzung ist so diffizil, da wir im föderalistischen
System der Bundesrepublik eine Bundesverordnung in elf Bundesländern
und zwei Stadtstaaten mit eigenen Landesgesetzen umsetzen müssen.
Hinzu kommt, dass jede Fakultät einen sehr großen Spielraum hat und
diesen in der Gestaltung der neuen Ausbildungsordnung intensiv nutzt.
Zur Verdeutlichung der Probleme, die auf den Medizinischen
Fakultätentag bei der Begleitung dieses
Prozesses zukommen, sei für die einzelnen Bundesländer die Zahl ihrer
Fakultäten aufgeführt: Nordrhein-Westfalen acht, Bayern und Baden-Württemberg
je fünf, Hessen drei, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen,
Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils zwei, Berlin, Hamburg,
Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen jeweils eine Fakultät.
Es beeindruckt wirklich, welchen Reichtum an Medizinischen
Fakultäten die Bundesrepublik besitzt, noch besitzt. Wir wissen ja,
dass in Berlin eine Vereinigung von zwei Fakultäten und drei oder
vier Klinika stattgefunden hat. Wir wissen, dass es in Kiel und Lübeck
nur noch ein Klinikum gibt.
Der Medizinische Fakultätentag
hat unmittelbar nach Ablauf des ersten neu gestalteten Wintersemesters
durch eine Umfrage eine Analyse der Umsetzung durchgeführt. Die Fragebögen
wurden zu unserer Freude lückenlos und umgehend von allen Fakultäten
beantwortet. Hier das Ergebnis: Mit wenigen Ausnahmen wurde mit der
Unterrichtung nach der neuen ÄAppO im Wintersemester 2003/2004 begonnen. Eine modifizierte
Umstellung erfolgte nur bei den Fakultäten, die über einen Reformstudiengang
verfügten, den Unterricht teilweise oder bereits ganz nach der neuen
ÄAppO durchführten, beispielsweise die Fakultät
Dresden. Mit dem zweiten Studienabschnitt wurde im Wintersemester
2003/2004 oder im Sommersemester 2004 begonnen. Alle Fakultäten verfügen
über ein Curriculum für beide Studienabschnitte, das nun schrittweise,
Semester für Semester umgesetzt wird.
Es sei nochmals betont, die Zusammenarbeit mit
den Landesprüfungsämtern war zu unserer Freude äußerst erfolgreich.
Ich fasse zusammen: Die neue ÄAppO
wird nachdrücklich umgesetzt. Sie befindet sich in der Anfangsphase
der Umsetzung, ist aber in vollem Gange.
Bedauerlicherweise konnten diese positiven Verhandlungsergebnisse
mit dem BMGS nicht erzielt werden. Hierbei handelt es sich um eine
Gruppe von Studierenden, die den ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung
zum Stichtag Oktober 2003 noch nicht abgelegt hatten und auch noch
nicht abgelegt haben mussten. Ein gemeinsamer Antrag durch eine Interessengemeinschaft
der Studierenden, der Fachtagung Medizin
und des Medizinischen Fakultätentages zur
Novellierung des § 43 ÄAppO, die diese Probleme
sehr leicht gelöst hätte, fand bei einer Anhörung des Bundesausschusses
für Gesundheit und Soziale Sicherung keine positive Resonanz. Es muss
nun mit einer Gruppe von 1 000 bis 1 500 Studierenden
gerechnet werden, die dadurch mehrere Semester verlieren. Das ist
ein Missstand, den das BMGS bzw. die rot-grüne Regierung zu vertreten
hat.
Ich komme zur Gestaltung der ÄAppO
zurück. Ein zentraler Aufgabenpunkt besteht in der Gestaltung des
zweiten Staatsexamens, welches die Studierenden ja immer noch als
das „Hammerexamen“ bezeichnen. Zu verhindern, dass es zu einem „Hammerexamen“
wird, ist Aufgabe des IMPP. Das Examen soll durch Fallstudien gestaltet
werden, bei denen die wichtigsten Krankheitsbilder in einer fächerübergreifenden
und problemorientierten Weise geprüft werden. Zurzeit wird eine Machbarkeitsstudie
mit zwei Varianten erstellt. Bei Variante 1 soll ein sequenzielles
Fallmodell ärztliches Handeln in der Prüfung simulieren. Hierfür sind
computerbasierte Prüfungen besonders geeignet. Bei Variante 2 sollen
die Fragen radiär um einen Krankheitsfall aufgebaut werden. Dadurch
kann die Methode der Prüfungshefte angewendet werden. Diese Variante
ist technisch sicher etwas einfacher; ich hoffe aber, dass Variante
1 angewendet wird.
Der neu zu erstellende Gegenstandskatalog – der
alte ist noch mehrere Semester gültig, weil wir im Moment beide Arten
des Studiums anbieten müssen –, muss nosologisch
orientiert sein und soll nicht mehr fachspezifisch aufgebaut sein.
Diese Arbeit wird zurzeit durch eine Medizinerkommission begleitet.
Die AWMF und die Sachverständigen des IMPP haben einen Katalog der
wichtigsten Erkrankungen erstellt, der – wie so oft – von einer Expertenkommission
komprimiert werden musste. Der nun erstellte Katalog enthält 350 Krankheitsbilder.
Dieser Katalog wurde um 250 bis 300 Befindlichkeitsstörungen ergänzt.
Die Liste wird zurzeit von einer Sachverständigenkommission diskutiert.
Das IMPP plant, den neuen Gegenstandskatalog noch
im Sommer dieses Jahres zu publizieren, in einem Forum vorzustellen.
Er soll ja den Studierenden so früh wie möglich zur Verfügung gestellt
werden.
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor Abschluss meines Referats noch wenige Worte über die Bemühungen
des Medizinischen Fakultätentages sagen.
Nachdem sich der MFT an der Gestaltung der neuen Ausbildungsordnung
maßgeblich beteiligt hat, obliegt ihm nun, in beratender und stimulierender
Weise ihre Umsetzung zu beschleunigen. Generelle Probleme werden von
unserer Präsidialkommission „Neue Ausbildungsordnung“ bearbeitet.
Diese Kommissionen bestehen immer aus einigen Dekanen, Prodekanen
oder Mitarbeitern der Studiendekanate.
Die regelmäßige Evaluierung der Lehre, die durch
§ 2 Abs. 9 der ÄAppO vorgegeben wird, stellt
in meinen Augen eine bedeutungsvolle Maßnahme dar, welche für die
Optimierung des Umsetzungsprozesses unerlässlich scheint. Eine eigene
Präsidialkommission „Evaluation der Lehre“ wird hierzu Vorschläge
erarbeiten.
Es ist uns gelungen, eine „Akademie für Ausbildung
in der Hochschulmedizin“ (AHM) zu gründen. Sie wird die vorhandenen
didaktischen Ressourcen der Fakultäten bündeln und umfassend ausgestalten.
Das Projekt wird vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
unterstützt. Bei der Akademie handelt es sich nicht um ein Institut,
sondern um eine reine Organisationsform, die mit einer halben Sekretärinnenstelle
ausgestattet ist.
Der MFT hat beratende Funktion bei Kommissionsarbeiten
und bei Anhörungen zur neuen ÄAppO. Diese
Arbeit hat sich sehr stark ausgeweitet. Sie wissen: Wir sind ein Einmannbetrieb.
Lassen Sie mich meinen Beitrag mit wenigen, zum
Teil jedoch kritischen Anmerkungen beschließen. Ich bezeichne die
neue ÄAppO als eine Agenda 2009/2010. Dies erscheint mir angemessen,
da ja zumindest ein Studiengang, der Pilotstudiengang Wintersemester
2003/2004, das Studium voll durchlaufen haben muss, damit wir uns
ein Bild von den Erfolgen machen können, die wir mit dieser neuen
ÄAppO erzielen konnten.
Wo besteht der dringlichste Handlungsbedarf in
den kommenden Semestern?
Durch eine ständige intramurale
Absprache muss die Verteilung der Lehrressourcen – dies trifft auch
für die Personalbestände zu – zwischen den Kollegen und zwischen den
Instituten und Klinika sichergestellt werden, um eine optimierte Budgetnutzung
bei eingeengten Haushalten zu garantieren. Es ist ja allgemein bekannt,
dass in den Universitätsklinika die Krankenversorgung einen Großteil
der Kräfte bindet. Deshalb ist es essenziell, dass ein enger Schulterschluss
zwischen Fakultät und Universitätsklinikum existiert. Das ist nicht
immer ganz leicht. Bei der derzeitigen mangelnden Personalbesetzung
auf den Stationen und Polikliniken bereitet die Umsetzung der neuen
ÄAppO Schwierigkeiten. Eine Präzisierung
und Koordinierung der Lehrinhalte der klinischen Fächer wird die Effizienz
der Umsetzung verbessern.
Die Abstimmung der Querschnittsbereiche mit einer
gedeihlichen Zusammenarbeit der Kollegen sollte ebenfalls eine Effizienzsteigerung
bewirken.
Die Gestaltung der fakultären
Prüfungen, die für uns völlig neu sind, sollte zum Zwecke der Rationalisierung
zentral von den Studiendekanaten durchgeführt werden.
Ich ging bereits darauf ein: Die Einbeziehung der
außeruniversitären Krankenhäuser und Lehrpraxen ist ein Obligo.
Wie stellt sich der Ausblick dar und welche Forderungen
sind zu erheben? Die Fakultäten stehen am Beginn der Ausgestaltung
des neuen Lehrkonzepts. Sie werden es umsetzen. Sie benötigen jedoch
zusätzliche Unterstützung vom BMGS und von den Landesregierungen.
An die Bundesregierung gerichtet sage ich: Die Einsetzung einer Evaluationskommission
des Bundes sollte in Betracht gezogen werden, die in mehrjähriger
Tätigkeit die Umsetzung der ÄAppO an den
einzelnen Fakultäten evaluiert und damit vorantreibt.
An die Landesregierungen gerichtet sage ich: Der
MFT wiederholt seinen Appell, in einer Situation der deutlich erhöhten
Unterrichtsbelastung die Landeszuschüsse für Forschung und Lehre nicht
ständig zu kürzen, sondern sie wieder auf ihre ursprüngliche Höhe
zurückzubringen.
(Beifall)
Eine rühmliche Ausnahme ist Nordrhein-Westfalen.
Herr Dieckmann hat die Landeszuschüsse um 2,4 Prozent erhöht. Ich
hoffe, dass diese Summe nicht an einer anderen Ecke wieder abgezogen
wird.
(Beifall)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich konnte
ich Ihnen in der Kürze der Zeit nur einen summarischen Überblick geben.
Es sollte jedoch gelungen sein, zu verdeutlichen, welche enormen Anstrengungen
die Medizinischen Fakultäten zur Umsetzung der neuen ÄAppO
unternehmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall) |