Wolfgang Zöller, stellvertretender Vorsitzender der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Grüß Gott, meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich darf mich für die Begrüßung recht herzlich bedanken. Wenn ich ein
bisschen zerknittert aussehe, liegt das schlicht und ergreifend daran, dass wir
heute Nacht um 3 Uhr noch verhandelt haben,
(Zuruf)
unter anderem auch über den Punkt: Wie sieht es mit der
privaten Krankenversicherung aus? Ich sage ganz klar, was hier die Position der
Union ist: Wir halten es nach wie vor für das deutsche Gesundheitswesen für
notwendig, dass wir die private Krankenversicherung als Vollversicherung
erhalten, weil wir genau wissen, dass zum Beispiel ohne die private
Krankenversicherung in etlichen Krankenhäusern und in sehr vielen Arztpraxen
die finanzielle Situation wesentlich schlechter aussähe.
Wenn 10 Prozent der Versicherten rund 20 Prozent
der Kosten im stationären Bereich und
10 Prozent der Versicherten
rund 30 Prozent im ambulanten Bereich finanzieren, muss dies auch
für die Zukunft ein Angebot sein, wobei gleichzeitig das System
bei der privaten Krankenversicherung, dass man Altersrückstellungen
bildet, eigentlich auf die gesetzliche Krankenversicherung überlagert
werden sollte.
(Beifall)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, allerdings muss man auch
hier die Realität erkennen: Wenn in der privaten Krankenversicherung heute rund
90 Milliarden Euro Rücklagen gebildet werden, würde das im Umkehrschluss
natürlich bedeuten, dass wir in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Größenordnung
von 700 Milliarden Euro bräuchten. Ich glaube, angesichts dieses Ausmaßes muss
man sich fragen, ob das der richtige Weg ist oder ob man nicht andere Wege
gehen muss.
(Zuruf: Anfangen!)
- Ich bin für diesen Zwischenruf recht herzlich dankbar.
Unsere jungen Abgeordneten haben beispielsweise gesagt: Dann fangt wenigstens
einmal mit 2 Milliarden Euro im Jahr an.
(Beifall)
Dann hätten wir das Problem "schon" in 350 Jahren gelöst.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb lasst uns
überlegen: Wie können wir die demografische Festigkeit anders regeln? Da gibt
es auch Ansätze. Ich bin Herrn Hoppe für den letzten Teil seiner Ausführungen
dankbar: Wir sollten gemeinsam versuchen, es ist ja nicht so, dass wir
beratungsresistent sind - -
(Lachen - Widerspruch)
- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden ja merken,
was bei der Anhörung noch alles an Positivem, an Vorschlägen von Ihnen kommt.
Lassen Sie mich bitte auch eines sagen: Wir tun ja gerade so,
als würde eine Reform gemacht, weil man unbedingt eine Reform haben will.
(Beifall)
- Ich hätte mir den Applaus lieber bei meinen inhaltlichen
Aussagen als an dieser Stelle gewünscht, wie Sie sich vorstellen können.
Versuchen wir doch einmal,
die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Wir haben heute einen Beitragssatz von
durchschnittlich 14,3 Prozent. Wir hätten einen wesentlich niedrigeren
Beitragssatz, wenn nicht auch durch Rahmenbedingungen und auch durch falsche
gesetzliche Maßnahmen diese finanzielle Entwicklung so entstanden wäre. Ich
behaupte nach wie vor: Wir haben im gesetzlichen Gesundheitswesen kein
Ausgaben-, sondern primär ein Einnahmeproblem.
(Beifall)
Dann sollten wir unser Augenmerk darauf richten: Wie können
wir diese Einnahmeprobleme beseitigen?
Das Erste ist: Allein der Rückgang von rund 1,5 Millionen
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen kostet uns auf der Einnahmeseite
5 bis 6 Milliarden Euro. Zur Ehrlichkeit gehört auch: In dem Bestreben,
einen ausgeglichenen Bundeshaushalt hinzubringen, ist die Kürzung der
Bundesmittel eine zusätzliche Belastung der gesetzlichen Krankenversicherung,
die wir gerade als Sozialpolitiker sehr bedauern. Wir versuchen, vielleicht
noch im nächsten Jahr dies einigermaßen korrigieren zu können.
Ein weiterer Punkt - da sind alle Parteien betroffen, da nehme
ich keine Partei aus -: Wir müssen als Sozialpolitiker endlich mehr Gewicht
bekommen, damit endlich Schluss ist mit den Verschiebebahnhöfen zwischen den
Sozialsystemen. Bisher wurde nämlich alles zum Schluss zulasten der
gesetzlichen Krankenversicherung ausgehandelt. Hier haben wir einen Betrag von
rund 5 Milliarden Euro. Wir müssen versuchen, das künftig zu vermeiden.
Ich glaube, wir sind parteiübergreifend einer Meinung, dass bei künftigen
Gesetzen von vornherein auf die Auswirkungen auf die gesetzliche Krankenversicherung
hingewiesen werden muss.
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der vielleicht zu
wenig in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wenn in den letzten fünf Jahren
rund 1 Million bestausgebildete Deutsche Deutschland verlassen haben
(Zuruf: Mehr!)
und sich zum großen Teil im Ausland niedergelassen haben,
müssen wir die Frage stellen: Wo liegen die Ursachen?
(Beifall)
Die Ursachen liegen bei zwei Punkten: zum einen an der hohen
Abgabenquote, die wir haben, und zum anderen an der überbordenden Bürokratie.
(Beifall)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will versuchen, an
ein paar Punkten klarzumachen, dass man hier etwas gegen die Ursachen tun muss,
wenn man eine nachhaltige Finanzierung sicherstellen will. Ich halte nach wie
vor eine nachhaltige Finanzierung im Gesundheitswesen deshalb für notwendig, damit
wir endlich einmal von diesem Rhythmus wegkommen, alle zwei Jahre eine
Gesundheitsreform nur aus Finanzierungsgründen zu machen.
Deshalb wollen wir als ersten Schritt zu einer nachhaltigen
Finanzierung eine Abkoppelung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten
erreichen. Ich habe Verständnis dafür, dass Kritik kommt, das sei nicht
genügend. Man muss natürlich auch sehen, wie die Mehrheitsverhältnisse sind.
Aber der erste Schritt ist getan: Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge werden
festgeschrieben und der Wettbewerb wird sich über die Steuersäule und den
Zusatzbeitrag ausweiten können.
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, mehr Transparenz und mehr
Wettbewerb zu erreichen. Folgende Kritik kann ich nicht ganz verstehen: Sie
sagen, mit dem Bundesverband wäre weniger Wettbewerb möglich. Wir haben jetzt
sieben Spitzenverbände auf Bundesebene, die sich zum Teil gegenseitig
blockieren. Das Entscheidende für uns ist Folgendes: Diese sieben Spitzenverbände
haben nach heutiger Rechtslage mehr Aufgaben einheitlich und gemeinsam zu
regeln, als es künftig bei dem neuen einen Spitzenverband der Fall sein wird.
Es wird wesentlich weniger sein, denn dem neuen Bundesverband werden nur noch
Aufgaben übertragen, die Rahmenrichtlinien entsprechen und die nicht mehr
wettbewerbsverzerrend sein können.
Dass wir doch nicht ganz beratungsresistent sind, sehen Sie
daran, dass wir die Spitzenverbände auf Landesebene ersatzlos gestrichen haben.
Wir diskutieren immer noch über den ersten Arbeitsentwurf; wir sind ja schon
weiter. Diese Anregung von Ihnen ist sogar aufgenommen worden, indem wir sagen:
Auf Landesebene wird der Wettbewerb vor Ort gegenüber der bisherigen Regelung
sogar gestärkt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was den Wettbewerb der
Kassen angeht, so haben wir jetzt die Möglichkeit geschaffen, dass die Kassen
Kostenerstattungstarife wie in der PKV anbieten können. Es besteht also die
Möglichkeit, dass sich eine gesetzliche Krankenversicherung dahin entwickeln
kann. Diese Möglichkeit ist geschaffen; inwieweit sie von den Kassen genutzt
wird, müssen wir dem Wettbewerb überlassen. Aber die Möglichkeit ist geschaffen
worden. Wir haben auch die Möglichkeit geschaffen, dass für gesetzlich
Krankenversicherte Selbstbehalttarife und Ähnliches mehr eingeführt werden.
Die Vertragswettbewerbsmöglichkeiten der Kassen wurden
wesentlich erweitert. Sie können zum Beispiel mit Arztgruppen Verträge
abschließen.
(Lachen)
Wir haben verhindert, dass es ein Primärarztsystem gibt. Wir
wollen nach wie vor die Wahlmöglichkeiten offenhalten.
Wir haben im Zusammenhang mit den Verträgen zur integrierten
Versorgung erstmals aufgenommen, dass dort auch die
Pflegeversicherungsleistungen aufgenommen werden können, genau mit der Begründung,
dass man den Patienten wieder mehr in den Mittelpunkt stellt und nicht die
Verschiebung - -
(Lachen)
- Entschuldigung, wenn das Budget im Krankenhaus nicht
funktioniert, versucht man den Patienten möglichst schnell in die
Pflegeversicherung zu bringen. Heute werden die Patienten doch je nach Budget
behandelt, sage ich mal. Das wollen wir auch aufheben.
(Widerspruch - Pfiffe)
- Sind Sie der Auffassung, dass das sinnvoll ist? Ich bin der
Auffassung, dass es sinnvoller ist, dass die Leute dort behandelt werden, wo
die Versorgung optimal ist. Die Finanzierung hat der Versorgung zu folgen und
nicht umgedreht.
(Zuruf)
- Ich bin für diesen Einwurf "Dann müsst ihr die DRGs
abschaffen!" sehr dankbar, weil ich dadurch auf ein Problem aufmerksam machen
kann. Mit den DRGs wollten wir eine leistungsgerechte Vergütung der Leistungen,
die am Krankenhaus erbracht werden, einführen. Das war das Ziel: eine
leistungsgerechte Vergütung.
Was ist jetzt passiert? Auch das muss in einem solchen Kreis
einmal angesprochen werden dürfen. Die Vergütung für eine Geburt beträgt 900
Euro, für eine komplizierte Geburt mit Kaiserschnitt 2 000 Euro. Was ist
jetzt passiert? Es gibt Krankenhäuser, da gibt es nur noch Kaiserschnitte.
(Zurufe)
- Wenn Sie so freundlich sind, hören Sie mir kurz zu. Ich bin
doch gern bereit, darüber zu diskutieren.
Es könnte folgende Gründe geben: Grund Nummer eins könnte
sein, dass die Frauen das unbedingt wünschen. Aber die Umfragen haben ergeben:
Das sind meistens 3 bis 5 Prozent, mehr nicht. Also kann es das allein nicht
sein.
Der zweite Grund könnte sein, dass man zum Beispiel sagt:
(Zuruf: Aufhören!)
Es liegt daran, dass das Krankenhaus sagt, wir müssen sehen,
dass wir die 2 000 Euro Vergütung in unseren Topf bekommen.
Eine weitere Begründung könnte sein - -
(Zurufe)
- Wenn Sie mir vielleicht noch zwei Sätze zuhören. Wir kommen
uns ja viel näher.
Eine weitere Begründung könnte sein, dass zum Beispiel ein
Arzt sagt: Hier bekomme ich 900 Euro, dort 2 000 Euro.
Eine Begründung, über die bisher noch nicht gesprochen wird,
könnte sein, dass der Arzt sagt: Ich muss die zweite Methode wählen, weil ich
sonst Gefahr laufe, in Haftungsfragen in Anspruch genommen zu werden. Wenn ich
sehe, dass vor zwei Monaten in Deutschland ein Gericht die Klage eines Vaters gegen
den Arzt angenommen hat, der bei der Geburt seiner Tochter vor 19 Jahren
Beistand geleistet hat, und zwar mit der Begründung, seine Tochter sei zweimal
durchs Abitur gefallen, deshalb müsse der Arzt etwas verkehrt gemacht haben,
kann ich nur sagen: Wir bekommen langsam amerikanische Verhältnisse, dass mehr
Geld für Haftungsabsicherungsgründe ausgegeben wird als für die medizinische
Versorgung. Wir sollten gemeinsam darüber diskutieren, wie wir das regeln
können.
(Zuruf: Sie haben keine Ahnung! - Weitere Zurufe)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin fest davon
überzeugt: Wir müssen auch in unserem System die Eigenverantwortung stärken.
Eigenverantwortung heißt: jeder an seinem Ort. Ich möchte jetzt speziell auf
Ihren Bereich zurückkommen und vier Punkte ansprechen, bei denen Sie eigentlich
sagen müssten: Das ist der Schritt in die richtige Richtung.
Erstens. Erstmals wird das Morbiditätsrisiko von den Ärzten
weggenommen und dorthin verlagert, wohin es gehört: zur
Versichertengemeinschaft.
(Widerspruch)
Das ist der erste Schritt, meine sehr geehrten Damen und
Herren.
Zweitens. Wenn Sie die letzte Formulierung genau lesen,
erkennen Sie: Die Budgetierung, die an die Grundlohnsumme gebunden ist, ist
weg. Auch das ist ein wichtiger Schritt, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Drittens. Die Anbindung an die Arbeitskosten wurde
schrittweise gelockert. Wir sagen: Künftig müssen bestimmte Dinge, besonders
versicherungsfremde Leistungen, über Steuern und nicht mehr über die
Arbeitskosten finanziert werden.
Das sind, wie ich meine, zumindest vier Schritte in die
richtige Richtung. Wir nehmen Ihre Anregungen ernst. Ich würde bitten, dass wir
die nächsten Wochen und Monate nutzen, um die gemeinsamen Anregungen umzusetzen
zu versuchen. Ich glaube, uns allen ist geholfen, wenn wir sehr sachlich über
die einzelnen Punkte diskutieren. Ich biete Ihnen hierzu meine Mitarbeit an.
Recht herzlichen Dank.
(Beifall - Pfiffe)
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident
der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Vielen Dank, Herr
Abgeordneter Zöller. Herr Dr. Köhler wird nachher im Einzelnen auf den einen
oder anderen Satz eingehen.
Als nächste Rednerin kommt die stellvertretende Vorsitzende
der SPD-Bundestagsfraktion, Frau Elke Ferner. Bitte schön, Frau Ferner.
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