Von
vielen kaum beachtet hat die Bundesknappschaft bereits 1998 damit begonnen, ein
umfassendes integriertes Netz aufzubauen. Die Bundesknappschaft mit Hauptsitz
in Bochum setzt sich aus verschiedenen Sparten zusammen. Ein Baustein stellt
die Krankenversicherung dar, die rund 1,4 Millionen Versicherte, davon 28
Prozent Pflichtversicherte und 72 Prozent Rentner, zählt. Die
Rentenversicherung umfasst rund eine Million Versicherte und eine Million
Rentner, wobei 55 Prozent Versicherten- und 45 Prozent Hinterbliebenenrenten
ausgezahlt werden. Darüber hinaus unterhält die Bundesknappschaft als
Krankenhausträger sieben Krankenhäuser und ist an vier Kliniken beteiligt. Die
Krankenhäuser halten rund 6000 Betten vor. Im eigenen sozialmedizinischen
Dienst sind circa 180 Ärzte an 25 Standorten tätig. Außerdem betreibt die
Knappschaft fünf Rehabilitationskliniken mit rund 800 Betten. Neue
Rehabilitationskliniken werden in der unmittelbaren Nähe der Akutkrankenhäuser
wohnortnah gebaut. Die Bundesknappschaft versichert etwa 2,4 Millionen
Personen; sie verfügt über ein Haushaltsvolumen von circa 20 Milliarden Euro.
Eine weitere Besonderheit des Knappschaftssystems ist, dass die Knappschaft
einerseits die Aufgabe einer Krankenkasse, andererseits gemeinsam mit dem
Bundesverband der Knappschaftsärzte, der etwa 1400 Ärzte vertritt, die Funktion
einer Kassenärztlichen Vereinigung einnimmt. Es werden Rahmenvereinbarungen
getroffen sowie Einzel- und Honorarverträge geschlossen. Weitere Aufgaben des
Bundesverbandes sind die Erfüllung des Sicherstellungsauftrages und die Vertretung
berufspolitischer Interessen der Knappschaftsärzte gegenüber der
knappschaftlichen Krankenkasse.
Die
Bundesknappschaft weist bei der Bewertung dieses Modellprojektes zu
berücksichtigende Besonderheiten auf. Die Versicherten der Bundesknappschaft
stammen überwiegend aus dem Steinkohlebergbau. Dies bedeutet, dass auf Grund
der Verminderung der Kohleförderung und Schließung der Zechen die
Mitgliederzahl deutlich sinkt; der Altersdurchschnitt der Krankenversicherten
beträgt zurzeit 59,1 Jahre. Damit sind die Knappschaftsversicherten im
Durchschnitt 18 Jahre älter als die Versicherten in der gesamten Gesetzlichen
Krankenversicherung. Darüber hinaus ist der Anteil der Versicherten, die an
Herz-Kreislauferkrankungen sowie an bösartigen Neubildungen leiden, überproportional
höher als im Gesamtdurchschnitt der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Auf Grund
dieser Ausgangslage entwickelte die Bundesknappschaft ein integriertes
Netzwerk. Sie gründete am 1. Oktober 1999 das „Integrierte Versorgungsmodell
‚Prosper' Bottrop“. Das Netz ist wie folgt organisiert: Knappschaftsärzte aus
einer Region schließen sich zu einem Netz um ein regiebetriebenes
Knappschaftskrankenhaus zusammen. Die Krankenversicherung ist nicht am
Honorarverteilungsmaßstab der regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen
beteiligt, sondern verwaltet ihr eigenes Budget, wobei sie Kostenentwicklungen
zulässt. Die Arbeitsebene dieses Netzwerks stellt für Ärzte die
Netzwerkkonferenz dar. Mitglieder dieser Konferenz sind Vertreter des
Bundesverbandes der Knappschaftsärzte sowie Chefärzte als Repräsentanten der
Knappschaftskrankenhäuser. Sie bilden Arbeitsgruppen und Qualitätszirkel, in
denen Behandlungsleitlinien und Therapiekonzepte sektorübergreifend erarbeitet
und weiterentwickelt sowie Behandlungsfälle beraten werden. Für die Teilnahme
an diesen Arbeitsgruppen werden die Teilnehmer mit 150 Euro honoriert. Die
Netzkonferenz, die Krankenhäuser und die Bundesknappschaft entsenden ihre
Vertreter in ein übergeordnetes Lenkungsgremium, den Netzvorstand, dessen Hauptaufgabe
es ist, das Netzgeschehen zu fördern. Die Versicherten der Region werden durch
Befragung in das Netz eingeschlossen; rund 7800 haben sich bisher in Bottrop
angemeldet. Weil zur Unterstützung, Vermittlung und Koordinierung der
Netzaktivitäten ein Netzmanagement erforderlich ist, hat die Bundesknappschaft
eine sechsköpfige Koordinierungsstelle gegründet. Zur verbesserten Vernetzung
wurden den Ärzten EDV-Systeme zur Verfügung gestellt und die erste
sektorübergreifende elektronische Patientenakte in Deutschland eingeführt, die
aber noch nicht - wie gewünscht - funktioniert. Diese Akte, die mit dem
Innovationspreis im Wettbewerb „Telematik im Gesundheitswesen“ ausgezeichnet
wurde, ist intranetbasiert und sorgt für Transparenz für alle, die am medizinischen
Prozess beteiligt sind.
Die
dreijährige Testphase zeigt, dass alle Beteiligten von den Vorteilen des
Systems profitieren können. Die Ergebnisqualität wird durch halbjährliche
Befragungen der Versicherten im Netz geprüft. Die Umfrage zeigt, dass die Patienten
sehr zufrieden sind und dass dem Netz die Treue gehalten wird. Im Hinblick auf
diesen Erfolg entschloss sich die Bundesknappschaft, weitere integrierte
Versorgungsnetze einzuführen: ab April 2001 im Saarland und ab 1. Oktober 2002
in Recklinghausen. Insgesamt werden derzeit 25 000 bis 30 000 Versicherte im
Netz versorgt.
Gewichtiger
Faktor und eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des „Integrierten
Versorgungsmodells ‚Prosper'“ ist vor allem die besondere komplexe Struktur der
Bundesknappschaft. Sie ist gleichzeitig Versicherungs- und Versorgungsträger
und verfügt über ein nicht gedeckeltes sektorübergreifendes Budget. Darüber
hinaus sorgt eine gute Kommunikation und Verständigung zwischen den
unterschiedlichen Akteuren des Netzes in der Netzkonferenz und in den
Qualitätszirkeln für reibungslose Abläufe. Außerdem ist innerhalb des
Netzwerkes das Konflikt- und Konkurrenzpotential relativ gering. Diese Struktur
ist beispielgebend, aber wegen der Besonderheit der Struktur nur in Teilen auf
andere Netze übertragbar. In diesem Modell ist es gelungen, den
Vernetzungsgedanken in die Praxis umzusetzen, indem die Verantwortung für die
Patientenversorgung gemeinsam und ausgewogen von der knappschaftlichen
Krankenversicherung und den Knappschaftsärzten getragen wird. Dieses Modell ist
zwar nicht auf das Gesundheitssystem übertragbar, aber einzelne Elemente dieses
Konzepts sind beispielgebend und können auch für andere Netze hilfreich sein.
Dieses
Modellprojekt zeigt, dass es möglich ist, dass Krankenversicherungen
niedergelassenen Ärzten eine langfristige Perspektive für die Entwicklung
integrierter Anbietersysteme bieten. Nicht nur die Leistungsanbieter, sondern
auch die Krankenkassen müssen gleichermaßen bereit und fähig sein wie auch die
Bundesknappschaft - in den Aufbau integrierter Anbietersysteme zu investieren
und Prozesse im Hinblick auf die Personal- und Organisationsentwicklung mit
anzustoßen und zu gestalten. Die Gesundheitspolitik ist gehalten, das
unternehmerische Engagement aller Beteiligten zu fördern, indem sie den
Initiatoren und Akteuren mehr Gestaltungsmöglichkeiten bietet und adäquate
Rahmenbedingungen schafft.
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