Tagesordnungspunkt auf dem 105. Deutschen Ärztetag 2002 in Rostock – Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin

Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat sich der Deutsche Ärztetag ausführlich mit der beruflichen Situation von Ärztinnen als herausgehobenem Tagesordnungspunkt befasst. Im Jahr 1998, noch zu einer Zeit, als von einer Ärzteschwemme gesprochen wurde, hatten die Delegierten auf dem Ärztetag in Köln dieses Schwerpunktthema bestimmt. Heutzutage zeichnet sich genau das Gegenteil ab, und zwar ein Ärztinnen- und Ärztemangel, nicht zuletzt eine Folge davon, dass in der Vergangenheit nie konkret an die Umsetzung von Arbeitsbedingungen gedacht wurde, die Ärztinnen und Ärzten ein zufrieden stellen des Nebeneinander von Beruf und Familie ermöglichen. Der Deutsche Ärztetag appellierte daher an die Politik, die Krankenhäuser und Universitäten, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, um mehr Ärztinnen trotz Familienaufgaben eine ihren Qualifikationen entsprechende Ausübung ihres Berufes zu ermöglichen.

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Edelgard Bulmahn sprach zu den Delegierten über „Frauen in Wissenschaft und Lehre – Familie und Beruf als gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. In ihrem Eingangsreferat verwies sie auf die paradoxe Situation, dass trotz der inzwischen sehr guten beruflichen Aus- und Weiterbildung von Frauen die besten Positionen in Wissenschaft und Wirtschaft weiterhin von Männern dominiert werden. Damit Frauen endlich ihrer Qualifikation entsprechend an beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten teilhaben können, sind Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf nötig. Die Ministerin verwies darauf, dass es nach wie vor die Frauen sind, die den Spagat zwischen Kindern und Karriere meistern müssen. Für ihren Zuständigkeitsbereich bekräftigt sie ihre Absicht, an den Universitäten den Anteil an Frauen an den Lebenszeitprofessuren von heute 10 % auf 20 % im Jahr 2005 zu erhöhen. Der im nächsten Jahrzehnt anstehende Generationswechsel an den Universitäten – fasst die Hälfte aller Professoren wird in den Ruhestand gehen – muss genutzt werden, um mehr Frauen in wissenschaftliche Spitzenpositionen zu bekommen. Gemeinsam mit den zuständigen Länderministerien will Frau Bulmahn die Auswahl- und Berufungsverfahren für wissenschaftliche Spitzenposten kritisch in Augenschein nehmen. Untersuchungen haben gezeigt, dass diese nicht objektiv sind, sondern dass sich von Männern dominierte Auswahl-Gremien bevorzugt für männliche Kandidaten entscheiden. Sie weist darauf hin, dass nach dem Hochschulrahmengesetz die Gleichstellung von Männern und Frauen explizit zu den Aufgaben der Hochschulen gehört. Mehr als bisher müssen Fortschritte in diesem Bereich als Kriterium für die Qualitäts- und Leistungsbewertung einer Hochschule und damit auch für die Mittelzuweisung berücksichtigt werden. Wichtig ist der Wandel in den Köpfen: Gleichstellungspolitik muss als eine gemeinsame Angelegenheit von Frauen und Männern verstanden werden.

Frau Prof. Dr. Doris Henne-Bruns, Ärztliche Direktorin der Abteilung für Viszeral- und Transplantationschirurgie der Universität Ulm, sah bereits einen vollzogenen Wandel in der Grundeinstellung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Inzwischen sind es nicht mehr allein die Frauen, die an einer Veränderung interessiert sind. Auch bei den Männern rangiert die berufliche Karriere nicht mehr alleine oben auf der Werteskala. Familie und Privatleben nehmen inzwischen auch bei den Männern einen höheren Stellenwert ein. Dies kollidiert allerdings mit weiterhin bestehenden Rollenerwartungen, wobei jedoch das Stereotyp des permanent leistungsstarken, unermüdlichen, stets rational entscheidenden, erfolgreichen Chirurgen zum einem irrational und zum anderen nicht erreichbar ist. Einen Schlüssel zur Veränderung sieht Frau Prof. Henne-Bruns in der Aus- und Weiterbildung junger Ärztinnen und Ärzte, denn gerade die Hochschullehrer sind als Rollenvorbild prägend. Die Veränderungen müssen schon zu Beginn der Ausbildung ansetzen, damit sie in zukünftigen Generationen greifen können. Sie selbst setzt in ihrer Abteilung auf eine flache hierarchische Strukturierung, um die Attraktivität der klinischen Laufbahn zu erhöhen.

Dass Handlungsbedarf besteht, machten die Zahlen und Fakten deutlich, die Dr. Astrid Bühren, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes in ihrem Hauptreferat präsentierte. Dort, wo die wichtigen Entscheidungen in den Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung der Berufsverbände oder der wissenschaftlichen Fachverbände getroffen werden, sind Ärztinnen entweder gar nicht oder nur kaum vertreten. Komplett fehlen Ärztinnen im Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen, im Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, im Vorstand des Berufsverbandes der allgemeinen Ärzte Deutschlands und des Berufsverbandes deutscher Internisten, in den Vorständen wichtiger Fachgesellschaften wie z.B. Gynäkologie/Geburtshilfe, Chirurgie, im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachverbände und des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer. Keine einzige der 23 Kassenärztlichen Vereinigungen wird durch eine Frau an der Spitze vertreten. Der Vorstand der Bundesärztekammer besteht aus 17 Ärzten und zwei Ärztinnen.

Zur Förderung der Gremienbeteiligung von Ärztinnen sprach sich Frau Dr. Bühren für eine Änderung der Wahlvorschriften in den Heilberufegesetzen der Länder aus. Nach dem Vorbild des Kammer- und Heilberufegesetzes Schleswig-Holstein von 1996 sollte bei der Wahl zur Kammerversammlung jeder Wahlvorschlag mindestens so viele Bewerberinnen und Bewerber enthalten wie erforderlich sind, um die Verteilung der Sitze in der Kammerversammlung nach dem Anteil an der Gesamtzahl der wahlberechtigten Berufsangehörigen zu ermöglichen. Das Beispiel Schleswig-Holsteins hat gezeigt, dass allein schon die Möglichkeit, weibliche Delegierte in entsprechender Zahl in die Kammerversammlung wählen zu können, signifikante Änderungen nach sich ziehen kann. So entspricht heute der Anteil der Ärztinnen in der Kammerversammlung mit 37,2 % fast genau ihrem prozentualen Anteil an der Gesamtärzteschaft in Schleswig-Holstein, wo hingegen er vor Änderung der Wahlbestimmungen sehr viel niedriger bei 21,4 % lag. Mit dem Leitantrag zum Tagesordnungspunkt III, der mit großer Mehrheit angenommen wurde, folgte der Deutsche Ärztetag auch in dieser Hinsicht den Vorstellungen von Frau Dr. Bühren und empfahl den ärztlichen Selbstveraltungsorganen nach Schleswig-Holsteinischem Vorbild eine repräsentative Besetzung ihrer Gremien anzustreben.

Insgesamt verlief die Beratung des Tagesordnungspunktes „Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin“, die mit fundierten Vorträgen eingeleitet wurde, konstruktiv und wenig kontrovers. Dass ein großer Bedarf bestand, über diese Thematik zu diskutieren, zeigte sich schon darin, dass die Belange von Ärztinnen in einer fast fünfstündigen Sitzung, an der sich Ärztinnen und Ärzte fast gleichermaßen beteiligten, behandelt wurde. Die Liste der Redebeiträge war zudem ungewöhnlich lang:54 Wortmeldungen von Ärztinnen und Ärzten, um sich zu den vorliegenden 28 Anträgen zu äußern. Ein beachtliches Medienecho sorgte für eine gebührende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.

Darüber hinaus wurden auf Empfehlung des Ausschusses und der Ständigen Konferenz „Ärztinnen“, insbesondere von Frau Dr. Auerswald, mit Zustimmung des Vorstandes der Bundesärztekammer Poster zur Situation von Ärztinnen in den jeweiligen Ärztekammern für den Deutschen Ärztetag erstellt und im Foyer der Tagungsstätte präsentiert. Die Poster beinhalteten die Ärztinnenstatistik der jeweiligen Kammerbereiche. Es wurden Daten im Hinblick auf die Entwicklung der Ärztinnenzahlen, Ärztinnen nach Tätigkeitsarten, Ärztinnen-Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung sowie Initiativen der Kammer zur Förderung und Unterstützung von Ärztinnen in Form von Tabellen und Grafiken aufbereitet. Darüber hinaus stellten die Landesärztekammern exemplarische Lebensläufe von Ärztinnen des Kammerbereiches mit herausragenden Leistungen vor. Dass diese Posterpräsentation sehr gut angenommen wurde, zeigte sich schon darin, dass der 105. Deutsche Ärztetag die Bundesärztekammer bat, die Zahlen – Daten – Fakten dieser Posterpräsentation in das Internet einzustellen, damit interessierte Ärztinnen diese Daten bei Bedarf abrufen können. Dies ist bereits Mitte 2002 geschehen: Unter www.bundesaerztekammer.de sind diese Daten erhältlich.

Die Entschließung des 105. Deutschen Ärztetages im Hinblick auf berufliche Belange und die darin enthaltenen Forderungen von Ärztinnen sind in folgendem abgedruckt:

100 Jahre Ärztinnen – Zukunftsperspektive für die Medizin

Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache III-1) unter Berücksichtigung der Anträge von Dr. Fabian (Drucksache III-1a), PD Dr. Benninger und Frau Dr. Machnik (Drucksache III-1b) fasst der 105. Deutsche Ärztetag einstimmig folgende Entschließung:

Der Beruf der Ärztin im Spiegel der Statistik

Im Jahr 1900 wurde es Frauen in Deutschland erstmals ermöglicht, ein Studium der Humanmedizin aufzunehmen. Wie sieht – mehr als 100 Jahre später – die berufliche Situation der Ärztinnen aus? Nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts aus dem Jahr 2000 zur Beliebtheit von Berufen bei 14-jährigen steht der ärztliche Beruf bei den Mädchen auf dem zweiten Platz der Hitliste für Traumberufe, hingegen bei den Jungen nicht mehr auf den ersten zehn Plätzen. Dieser Trend ist auch später festzustellen, denn es entscheiden sich heute mehr Frauen als Männer für ein Medizinstudium: 62 % der Studienanfänger des Wintersemesters 2000/2001 waren Frauen und über alle laufenden Semester gesehen liegt der Frauenanteil bei insgesamt 53 %. Auch begaben sich im Jahr 2001 deutlich mehr Frauen als Männer in die „Ärztin/Arzt im Praktikum“ Phase als noch im Vorjahr. Der Anteil an Frauen in der Medizin mit derzeit 40 %, gemessen an der Gesamtzahl aller Ärzte, ist im Gegensatz zu anderen qualifizierten Berufen in den letzten 100 Jahren beachtlich gestiegen.

Obwohl viele Frauen den ärztlichen Beruf wählen und ausüben, zeigt sich in den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen ein großer Unterschied bei den Karrieremöglichkeiten von Ärztinnen und Ärzten.

Allgemeine Situation von Ärztinnen

Nach wie vor sind Ärztinnen mit Fachärztinnen-Qualifikation in leitenden Positionen der Krankenhäuser unterrepräsentiert. Nur jede zehnte leitende Stelle in Krankenhäusern ist mit einer Ärztin besetzt. In der Chirurgie nehmen sogar nur 1,4 % der Ärztinnen eine leitende Stelle ein. Es ist offensichtlich, dass Strukturen für die Karriereförderung von Ärztinnen fehlen, auch für diejenigen, die bewusst auf Kinder verzichtet haben, um sich ganz dem Beruf zu widmen. Gemäß einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden 32 % der Frauen aus der Alterskohorte 1965 kinderlos sein, unter den Akademikerinnen 40 %. Für diejenigen, die sich für Beruf und Familie entschieden haben, führt die Leistungsverdichtung bei verminderten Planstellen zu einer enormen Arbeitsbelastung und damit zur Ausgrenzung. Kindertagesstätten, die eine wesentliche Hilfe für Ärztinnen und Ärzte mit Familienverantwortung darstellen könnten, fehlen an Krankenhäusern. In der ehemaligen DDR war dieses Problem nahezu flächendeckend gelöst, so dass Frauen wie selbstverständlich den ärztlichen Beruf mit ihrer Familie vereinbaren konnten. 1991 betrug der Anteil der berufstätigen Ärztinnen an allen berufstätigen Ärzten in den Bundesländern West 29 %,hingegen in den Bundesländern Ost über 52 %. Diese Zahlen erlauben die Schlussfolgerung, dass soziale und politische Rahmenbedingungen maßgeblich mitbestimmen, ob sich Ärztinnen beruflich entfalten können oder nicht.

Flexible Arbeitszeitmodelle in Krankenhäusern

Nach wie vor sind flexible Arbeitszeitmodelle in Krankenhäusern nicht ausreichend etabliert. Dabei könnten diese Modelle den Krankenhäusern unübersehbare Vorteile bieten, wie die Reduzierung der Anzahl der Bereitschaftsdienste und Überstunden durch die höhere Anzahl des Personals sowie größere Flexibilität beim Ausfall von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch Urlaub, Krankheit etc.. Flexible Arbeitszeitmodelle sind insbesondere für den Berufsein- und -ausstieg, für den Erwerb von Zusatzqualifikationen sowie für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie von Vorteil. In bestimmten Bereichen der Medizin sind für Ärztinnen flexible Arbeitszeiten sowie Aufstiegschancen bereits möglich, so beispielsweise in Behörden wie dem Öffentlichen Gesundheitsdienst oder in der Arbeitsmedizin.

Ärztinnen im niedergelassenen Bereich

Ein Drittel aller ambulant in einer Praxis tätigen Ärzte sind Ärztinnen. Von allen berufs-tätigen Ärztinnen wählten 42 % im Jahr 2001 die Niederlassung zur ambulanten Versorgung. Dies bedeutet, dass für Ärztinnen die Niederlassung eine Alternative für die Krankenhaustätigkeit darstellt. Ein zentrales Anliegen der Ärztinnen-Gremien der Bundesärztekammer, die Arbeitszeit zu flexibilisieren, indem Vertragsarztstellen auf mehrere Ärztinnen und Ärzte aufgeteilt werden können, wurde im Sozialgesetzbuch V, in den Bedarfsplanungs-Richtlinien und in den Angestellten-Ärzte-Richtlinien berücksichtigt. Eine 1998 durchgeführte Erhebung zur Belastung von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in Hamburg ergab, dass es gerade für Ärztinnen von Vorteil ist, in Gemeinschaftspraxen oder Praxisgemeinschaften tätig zu sein. Neben den medizinisch qualifizierten und kollegialen Informationsaustausch bietet diese Tätigkeit die Chance der gegenseitigen Vertretung und Kostenteilung. Diejenigen Ärztinnen, die Job Sharing in Anspruch nehmen, nannten als Gründe für diese Entscheidung in erster Linie Kindererziehung, dann Freizeit oder altersbedingte und gesundheitliche Gründe.

Karrierechancen für Ärztinnen an Universitäten

Bisher haben Ärztinnen auch bei gleicher oder sogar besserer Qualifikation unterdurchschnittliche Karrierechancen an deutschen Universitäten. Diese im internationalen Vergleich deutlich schlechtere Situation muss grundlegend verändert werden. In den vergangenen drei Jahren wurden in der Bundesrepublik erstmalig Lehrstühle in der Frauenheilkunde und in der Chirurgie mit Frauen besetzt. Der Anteil der Lehrstuhlinhaberinnen an den medizinischen Fakultäten spricht für sich: im Jahr 2001 betrug der Frauenanteil bei C4-Professorinnen in den klinischen Abteilungen nur 2,8 %, bei den C3-Professorinnen lag er bei 6,6 %. Das bedeutet, dass die mit Einfluss, Macht und Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Positionen in den Universitäten nach wie vor zu über 90 % von Männern eingenommen werden. Der Verzicht auf die Humanressourcen der Frauen stellt eine volkswirtschaftliche Verschwendung dar, die sich die heutige Gesellschaft nicht mehr leisten kann.

Ärztinnen in der ärztlichen Selbstverwaltung

Ärztinnen sind nicht entsprechend ihrem Anteil in der ärztlichen Versorgung in den Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung angemessen vertreten. Die Erfahrung von Ärztinnen muss verstärkt in die Arbeit der Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung einfließen, denn hier werden die Weichen für die Berufstätigkeit von Ärztinnen und Ärzten gestellt. Die Erfahrung von Ärztinnen muss auch im Hinblick auf die Patientinnen und Patienten-Versorgung einfließen.

Auf Grund der spezifischen Berufswege von Ärztinnen ergeben sich Nachteile in der Weiterbildung, der Niederlassung, den allgemeinen Karrierechancen und in der Altersversorgung. Dieses Wissen sollte gemäß den Zielsetzungen des Bundesgremienbesetzungsgesetzes von 1994 stärker in alle Gremien der Selbstverwaltung eingebracht werden. Ein erfolgreiches Beispiel stellt die Änderung des Heilberufegesetzes in Schleswig-Holstein von 1996 dar. Die Wahlordnung dieser Ärztekammer wurde dahingehend geändert ,dass in jedem Wahlvorschlag mindestens so viele Bewerberinnen und Bewerber enthalten sind, wie es erforderlich ist, um die anteilige Verteilung der Sitze in der Kammerversammlung auf Frauen und Männer zu ermöglichen. Darauf hin stieg der Ärztinnen-Anteil in der Delegiertenversammlung bei den Kammerwahlen 2001 von vorher 21 % auf 37,2 % an, welcher dem Anteil der Ärztinnen unter den Kammermitgliedern entspricht.

Ärztinnen als Chance zur Behebung des Ärztemangels

Derzeit entwickelt sich die prognostizierte „Ärzteschwemme“ zu einem zunehmenden „Ärztemangel“. Zwar ist die Zahl der Studienanfänger von 12.000 in den letzen acht Jahren relativ konstant geblieben, aber die Zahl der Studienabschlüsse um 20 % rück-läufig. Die Zahl der Studienabbrecher steigt kontinuierlich an. Die Zahl der Ärztinnen/Ärzte im Praktikum ist um ein Viertel gesunken. Hinzu kommt, dass in den nächsten Jahren mehr Ärztinnen und Ärzte in den Ruhestand gehen als nachwachsen, insbesondere in den östlichen Bundesländern wird sich der Ärztemangel dramatisch verstärken. Dem muss wirksam begegnet werden.

Ein Lösungsweg wäre, Ärztinnen, die aus unterschiedlichsten Gründen keine ärztliche Tätigkeit ausüben, die Möglichkeit zur Integration in den Arbeitsprozess zu geben. Von den fast 150.000 Ärztinnen in Deutschland ist jede vierte Ärztin „ohne ärztliche Tätigkeit“. Auch wenn berücksichtigt werden muss, dass sich einige Ärztinnen im Ruhestand befinden oder in andere Berufsfelder abgewandert sind, stellt diese Gruppe ein großes Potenzial für den ärztlichen Arbeitsmarkt dar.

Forderungen an Staat und Selbstverwaltung

Vor diesem Hintergrund sieht es der Deutsche Ärztetag als eine wichtige Aufgabe der Gesellschafts- und Berufspolitik an, Rahmenbedingungen zu schaffen, die bewirken, dass qualifizierte Ärztinnen unter Einbeziehung des Gender Mainstreaming Chancen erhalten, in ihrem Beruf tätig zu werden und zu bleiben, sich beruflich zu entfalten und ihre Kompetenzen sowohl in Leitungspositionen als auch in berufspolitische Gremien einzubringen. Bei gleicher fachlicher Qualifikation sind bei Ärztinnen auf Grund ihrer spezifischen Lebenswege die Kenntnisse und die Kompetenzen, Organisationstalent, Teamfähigkeit sowie soziale und kommunikative Fähigkeit besonders ausgeprägt. Dies bietet einen wertvollen Faktor für Medizin und Forschung. Deshalb fordert der Deutsche Ärztetag:

1.    Die Krankenhäuser werden aufgerufen, vermehrt flexible Arbeitszeitmodelle sowie Weiterbildung in Teilzeit und auch Altersteilzeitmodelle etc. in den Kliniken zu etablieren. Auch könnten vermehrt Ärztinnen und Ärzte in der Elternzeit im Krankenhaus als Urlaubs- und Krankheitsvertretung eingesetzt werden. Die Kliniken profitieren davon, wenn kurzfristig Ersatz für Ausfälle gefunden werden kann und die so im Arbeitsprozess integrierten Ärztinnen und Ärzte hierdurch ihre Fachkompetenz erhalten können.

2.    An den Gesetzgeber wird appelliert, durch Änderung der Rechtsgrundlagen eine flexiblere Handhabung des Job Sharing und anderer Teilzeitmodelle zu ermöglichen. Ferner sollte schon nach fünfjähriger gemeinsamer Tätigkeit in einer Job Sharing Praxis eine Umwandlung in Vollzulassung möglich sein. Durch Erweiterung der Regelungen der Zulassungsverordnung soll es Vertragsärztinnen und -ärzten ermöglicht werden, ihre Tätigkeit in der Praxis bei gleichzeitiger Kindererziehung durch den Einsatz von Entlastungsassistenten oder einen Vertreter fortzuführen. Mehr Planungs- und Investitionssicherheit muss durch geeignete Rahmenbedingungen herbeigeführt werden. Die Befreiungsgründe für die Verpflichtung zum ärztlichen Notfalldienst sollen sich auch auf die Erziehungsjahre kleiner Kinder erstrecken.

3.    An die Landesärztekammern wird appelliert, als Teil ihres Aufgabenspektrums Ärztinnen beratend zur Seite zu stehen sowie Einstiegs- und Widereinstiegskurse für Ärztinnen kontinuierlich anzubieten, damit diejenigen, die längere Zeit keiner ärztlichen Tätigkeit nachgegangen sind, wieder in den Arbeitsprozess integriert werden können. Hierbei sollten auch Neustrukturierte Einstiegs- und Widereinstiegskurse für Ärztinnen in unterschiedlichen Modellen erprobt werden. Die Kammern werden ferner gebeten, auf die Weiterbildungsbefugten in Klinik und Praxis einzuwirken, ihre Pflichten gegenüber den Weiterzubildenden mit Mitarbeiterinnengesprächen zu erfüllen sowie sie positiv als Mentor zu begleiten, insbesondere beim Übergang vom Studium ins Berufsleben.

4.    Bund, Länder, Kommunen, Universitäten und Krankenhausgesellschaften werden aufgefordert, flächendeckend Kindertagesstätten einzurichten, damit Ärztinnen mit

Familie berufstätig bleiben können. Die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenhäusern und Krankenkassen wird gebeten, Kindertagesstätten der Krankenhäuser bei der Kalkulation der DRGs zu berücksichtigen.

5.    Bund und Länder werden aufgefordert, das Angebot an Ganztagsschulen bundesweit deutlich zu erhöhen.

6.    Bund-Länder-Kommission und Universitäten werden aufgefordert, geschlechtsdifferenzierte Datenanalysen im Hinblick auf die Ausbildungssituation von Studentinnen und Studenten der Humanmedizin zu erstellen.

7.    Ferner wird das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgefordert, die Mutterschutzgesetzgebung den heutigen Gegebenheiten zeitgemäß anzupassen. An die Landesregierungen wird appelliert, die entsprechenden Mutterschutzbestimmungen nicht zu restriktiv auszulegen, damit Ärztinnen nicht unnötigerweise aus ihrem Beruf ausgegrenzt werden. An die Ärztlichen Versorgungswerke wird appelliert zu prüfen, inwieweit auch bei den Versorgungswerken Kindererziehungszeiten berücksichtigt werden können.

8.    Das Programm des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft zur „Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre“, welches zum Ziel hat, bis zum Jahr 2005 den Professorinnenanteil auf 20 % anzuheben, wird begrüßt. Ferner wird die Förderung des Kompetenzzentrums für Frauen in der Wissenschaft und Forschung begrüßt, das eine international ausgerichtete Koordinierungsstelle für alle Aktivitäten im Bereich Frauen in Wissenschaft und Forschung darstellt. Es führt Pilotprojekte zum Gender Mainstreaming, zum Karriere- und Bewerbungstraining sowie Coaching für zukünftige Professorinnen durch und baut eine als Nachwuchsbörse dienende Datenbank für/von Wissenschaftlerinnen auf.

9.    Bund und Länder, Medizinischer Fakultätentag und wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaften werden aufgefordert, Berufungsverfahren für C4- und C3-Professuren einheitlich für beide Geschlechter an Hochschulen zu gestalten. Bei der Auswahl der Gutachter in Berufungsverfahren, bei der Platzierung von Namensvorschlägen auf Berufungslisten sowie bei der Besetzung der Berufungskommissionen ist darauf zu achten, dass immer auch Professorinnen beteiligt werden. Die Berufungsverfahren müssen nach einheitlichen Kriterien ablaufen, so dass sie in allen ihren Phasen rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen und für alle Beteiligten geschlechtsgerecht, transparent und überprüfbar sind. Es müssen standardisierte Beurteilungskriterien für fachliche Qualifikation und persönliche Eignung angewendet werden. So dürfen Altersgrenzen kein Entscheidungskriterium darstellen und neben der fachlichen Qualifikation müssen insbesondere auch didaktische, soziale und organisatorische Fähigkeiten stärkere Berücksichtigung finden, interdisziplinäre Forschungsansätze stärker gewichtet werden und die Frauenforschung die ihr gebührende Wertschätzung erfahren. Ferner müssen strukturelle Netzwerke im Sinne eines Mentoring zur gegenseitigen Hilfeleistung aufgebaut werden. Im ärztlichen Beruf kommt – im Gegensatz zu anderen Professionen – noch hinzu, dass neben der Tätigkeit in Forschung und Lehre auch die Patientenversorgung in der Klinik zu bewältigen ist. Dies bedeutet, dass anfallende Nacht- und Wochenenddienste zusätzliche Anforderungen an Ärztinnen stellen, auch im Hinblick auf die Organisation der Kinderbetreuung. Auf Grund dieser Doppelbelastung sowie der beruflichen Weiterbildung und Forschung benötigen ärztliche Wissenschaftlerinnen mehr Zeit für die Erlangung ihrer wissenschaftlichen Qualifikationen. Dieser Umstand muss bei der Befristung von Arbeitsverträgen des wissenschaftlichen Personals und bei der Altersbegrenzung für den Zugang zur Juniorprofessur im Hochschulrahmengesetz berücksichtigt werden.

10.  Der Deutsche Ärztetag appelliert an die ärztlichen Selbstverwaltungsorgane, eine repräsentative Besetzung ihrer Entscheidungsgremien mit Ärztinnen herbeizuführen, wie es beispielsweise durch die Regelungen des Heilberufegesetzes von Schleswig-Holstein gelungen ist.

© 2003, Bundesärztekammer.