Fragen der Beihilfegestaltung
werden, auch nach Einführung des Standardtarifs in die GOÄ, immer wieder in der
gesundheitspolitischen Reformdebatte aufgegriffen.
Der
Deutsche Gewerkschaftsbund führte am 17. Oktober 2002 in Berlin eine Anhörung
zum Thema „Reformoptionen im Beihilfesystem“ durch. Das Hearing wurde geleitet
von Frau Ingrid Sehrbrock, Mitglied des geschäftsführenden
DGB-Bundesvorstandes, und wurde für Angehörige des DGB und anderer
Gewerkschaften, z. B. ver.di, durchgeführt. Die Anhörung wurde in drei Blöcken
durchgeführt, Block A „Wissenschaft“, Block B „Gestaltung und Verwaltung“ und
Block C „Interessensverbände“, in der verschiedene Vertreter dieser Blöcke zu einem
Fragenkatalog des DGB, der der Anhörung zu Grunde lag, Stellung nahmen. Die
Bundesärztekammer war unter Block C um Ihre Stellungnahme gebeten worden.
Unter
Block A „Wissenschaft“ wurde unter anderem ausgeführt, dass die
Risikoabsicherung in der Beihilfe funktioniert; als Probleme wurden jedoch die
Möglichkeit des Dienstherrn, Beihilferegelungen beliebig anzupassen und das
Fehlen von Steuerungsmöglichkeiten identifiziert. Als weiteres Problem wurde
die fehlende Wechselmöglichkeit zwischen den die Beihilfe ergänzenden
Versicherungen auf Grund der Nichttransferierbarkeit der
Alterungsrückstellungen gesehen. Als Reformoptionen, vor allem um die Effizienz
des Systems zu erhöhen, wurde die Einräumung von Steuerungskompetenz der
Kostenträger (weg von der reinen Zahlerrolle),die Einführung eines
Kontrahierungszwangs innerhalb der PKV für Beamten-Anwärter, der Verzicht auf
Risikozuschläge sowie die Einführung eines Umverteilungssystems in der PKV für
den Beihilfebereich gesehen, um einen Wechsel der Versicherung auch im höheren
Alter zu ermöglichen; anders als für privat Krankenversicherte wurde ein
Wechselrecht als möglich betrachtet, da der Versicherungsschutz in der Beihilfe
stärker normiert ist.
Im Block
A „Wissenschaft“ berichtete des Weiteren eine Vertreterin der
Bertelsmann-Stiftung über eine Bevölkerungs-Umfrage zum Thema
Gesundheitspolitik, ambulante Versorgung etc. Die Befragung von
Beihilfeberechtigten ergab danach, dass deren Reformbereitschaft sehr gering
ist, dass sowohl gate-keeper-Systeme als auch Managed-Care-Systeme abgelehnt
werden, die freie Arztwahl eine hohe Priorität genießt und
Veränderungsbereitschaft äußerst gering ist. Fazit ist eine hohe Zufriedenheit
mit dem System und ein hohes Vertrauen auf Beibehaltung des Leistungsniveaus;
die Ängste im Bezug auf Beitragsentwicklungen im Beihilfebereich sind geringer,
die Zufriedenheit mit dem Gesundheitswesen größer als in anderen
Versichertenkreisen. Daraus ergibt sich, dass Reformen im Beihilfesystem nicht
auf Zuspruch aus dem beihilfeberechtigten Kreis treffen, sondern nur gegen
dessen Willen durchgeführt werden können.
Im Block
A „Wissenschaft“ wurde schließlich zu der Frage Stellung genommen, inwieweit
Einschränkungen des Beihilferechtes rechtlich zulässig sind. In Artikel 33 Abs.
5 Grundgesetz (GG) sind die Grundprinzipien des Berufsbeamtentums verankert,
das Alimentationsprinzip und das Fürsorgeprinzip. Das Beihilfesystem ist
wiederum eine Ausprägung dieser beiden Prinzipien, jedoch grundsätzlich nicht
durch die Verfassung und die Grundsätze zum Berufsbeamtentum geschützt. Der
Gesetzgeber kann daher die Krankenversorgung der Beamten anders regeln, muss
allerdings die Rechtsprechung beachten, d. h. Einschränkungen und Restriktionen
dürfen nicht zu unzumutbaren Belastungen führen, Änderungen im Beihilfesystem
dürfen z. B. nicht ohne Berücksichtigung von bestehenden
Versicherungsmöglichkeiten erfolgen, es darf nicht in Grundrechte bestimmter
Gruppen – Familien, Behinderte – eingegriffen werden.
Im Block
B „Gestaltung und Verwaltung“ kamen Vertreter von Landesregierungen und
Verwaltungen zu Wort. Die Referenten in diesem Block identifizierten sich im
wesentlichen mit dem bestehenden System, sahen Verbesserungsmöglichkeiten im
System und befassten sich mit Möglichkeiten der Kostendämpfung, wie z.B. die
wirkungsgleiche Übertragung von GKV-Kostendämpfungsmaßnahmen, wie sie bereits
in der Vergangenheit weitgehend durchgeführt wurde. Des Weiteren wurden
grundsätzlich drei Reformmöglichkeiten vorgestellt:
1. Die GKV-Überführung der Beihilfe
Dieses
Modell wurde als irrelevant angesehen, weil es mit erheblichen finanziellen
Belastungen im Übergang befrachtet ist; der Dienstherr müsste sowohl die
regelmäßig anfallenden Beiträge der Krankenversicherung in Form des
Arbeitgeberanteils für die jüngeren Beamten als auch die Versorgungslasten der
Alten tragen; dies wäre im übrigen ein Verlust für die private
Krankenversicherung und wegen der Leistungseinschränkungen und
Finanzierungsprobleme politisch nicht durchsetzbar.
2. Das Wahlrecht
Diese
Option wurde als realistischer eingeschätzt; bei Neueintritt als Beamter soll
danach die Option bestehen, GKV oder Beihilfe zu wählen. Diese Option ist
allerdings ebenfalls mit Problemen behaftet, die z. B. in einer negativen Selektion bestehen können.
Die GKV kann mit größeren Risiken belastet werden, weil die jungen Gesunden für
das Beihilfesystem optieren, während die schlechteren Risiken eher in die GKV
eintreten würden, was zu höheren Belastungen der GKV führt.
3. Reformen im System
Vorgeschlagen
wurde zunächst die Schaffung von Transparenz; dazu soll eine Analyse durch
Beihilfeberichte erfolgen. Des Weiteren wären aus Wirtschaftlichkeitsgründen
Zusammenschlüsse der Träger der Beihilfe sinnvoll, auch, um eine bessere
Verhandlungsposition mit Leistungserbringern zu haben (Marktmacht entfalten).
In der
Folge wurde von den übrigen Referenten ebenfalls bezweifelt, ob sich die
Entwicklung eines neuen Systems für die Beihilfe der Beamten kostengünstiger
darstellen wird. Es wurde auf Vergleichsrechnungen in Hessen und dem Bund verwiesen,
die eine GKV-Lösung als nicht kostengünstiger bewerten (Beamte haben eine
höhere Lebenserwartung und viele beitragsfreie Familienmitglieder), insofern
würde sich die Kostendynamik auch in der GKV niederschlagen. Als eine
Möglichkeit der Kostensenkung im System wurde die Beihilfeablöseversicherung
genannt, die das Risiko von Kostensteigerungen begrenzt. Der Vertreter des
Bundesministeriums des Innern war überaus zurückhaltend in Bezug auf Änderungen
im System; er sprach sich für einen Erhalt des gegliederten Gesundheitssystems
aus und damit für den Wettbewerb zwischen den einzelnen Versicherungszweigen.
Eine Konzentration der Abrechnungen mit Blick auf die Verwaltungskosten wurde
für sinnvoll erachtet, allerdings auf die gleichermaßen bestehende Ausgabendynamik
in GKV und PKV verwiesen und zur Kosteneindämmung nur kleinere „Stellschrauben“
für möglich gehalten. Der diskutierte Beihilfe-Bericht wurde als
Übermaßregelung betrachtet, eine Harmonisierung der Beihilferegelungen nicht
für unbedingt erforderlich, jedoch für wünschenswert gehalten.
Im
Block C „Interessenverbände“ sprach sich ein Vertreter der gesetzlichen
Krankenversicherung für ein Wahlrecht der Beihilfeberechtigten aus. Der
Vertreter des PKV-Verbandes widersprach einem solchen Wahlrecht mit Blick auf
die Auswirkungen auf die Versichertenstruktur – sowohl in der GKV als auch in
der PKV – und bestätigte ebenso wie die Vertreter der Ärzteschaft, dass das
Beihilfesystem sich bewährt hat, weil es keine über-proportionalen
Ausgabensteigerungen im Beihilfebereich gibt; er verwies insbesondere auf die
Quersubventionierung der GKV durch Beihilfe und PKV. Er sah
Kostendämpfungsbemühungen eher in Teilbereichen für möglich, hielt das
Vergütungssystem für überholungsbedürftig, sprach sich für mehr Pauschalierungen
sowie für Steuerung des Leistungsgeschehens aus, die bisher nur die
Tarifgestaltung der PKV ermöglicht und für unmittelbare Vertragsbeziehungen; er
sah keinen grundsätzlichen Reformbedarf im Beihilfesystem. Die Positionen der
Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gingen in die
gleiche Richtung: das System habe sich bewährt, auf die Beiträge der
Ärzteschaft zur Stabilisierung des Systems wurde hingewiesen, die im
Standardtarif, in der Ordnungsfunktion der Landesärztekammern und
Bundesärztekammer hinsichtlich von Anwendungsproblemen der GOÄ gesehen werden.
Als dringlich wurde die Novellierung der Amtlichen Gebührenordnung gefordert.
Vorteile wurden vor allem in der Transparenz des Verfahrens und in seiner
Leistungsfähigkeit gesehen sowie in der Qualität, die sich durch Berufsrecht
und Kassenarztrecht auch auf die Beihilfe und die privat Krankenversicherten
auswirken. Eine Steuerung des Leistungsgeschehens durch Kostenträger wurde
abgelehnt.
Die vom
DGB herausgegebene Pressemitteilung zur Veranstaltung wurde allgemein kritisch
gesehen, da hier für eine Wahlmöglichkeit zwischen gesetzlicher und privater
Krankenkasse zu Beginn des Beamtenverhältnisses votiert wird, obwohl diese
Option von der Mehrheit der an der Anhörung Beteiligten nicht als zweckmäßig
angesehen wurde. Diskussionsbemerkungen von einzelnen Mitgliedern der
Gewerkschaften, mit der Beihilfe würde das GKV-System subventioniert und die
Einkommen der Ärzte gesichert, wurde seitens der Vertreter der Ärzteschaft
dahingehend beschieden, dass Beihilfe und PKV im Gegenzug auch erheblich von
der Preisgestaltung und Rationalisierung der Leistungserbringung im GKV-Bereich
profitieren und daher nicht von einer einseitigen, sondern von wechselseitigen
Subventionierungen gesprochen werden muss. Der Beitrag der Ärzteschaft, eine
Vergütungsabsenkung durch den Standardtarif akzeptiert zu haben, wurde
unterstrichen. Die Tatsache, dass eine Kostendämpfung über den Standardtarif
wegen des geringen Zuspruchs seitens der Beamtenschaft nicht ihre Wirkung
entfaltet, muss als Entscheidung der Beihilfeberechtigten akzeptiert werden,
Leistungseinschränkungen zu geringeren Beiträgen abzulehnen und stattdessen den
Status des Beihilfeberechtigten mit höherem Leistungsstandard als dem des
Standardversicherten zu bevorzugen.
Der DBG
will die Überlegungen in diesem Bereich fortsetzen, allgemein war jedoch von
Diskutanten und Beteiligten zu hören, dass in dieser Legislaturperiode keine
gesetzlichen Änderungen anstehen.
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