Ständige Konferenz „Ärztliche Versorgungswerke und Fürsorge“

Zwischen den einzelnen Versorgungseinrichtungen der Landesärztekammern bestehen Unterschiede sowohl hinsichtlich des Leistungs- wie des Beitragsrechts. Diese Unterschiede sind Ausdruck des föderativen Charakters und der den Freien Berufen gegebenen Möglichkeiten zur freien Gestaltung der Alterssicherung. Vergleichbares gilt für die Fürsorgeeinrichtungen der einzelnen Ärztekammern. Um den Meinungs- und Informationsaustausch zwischen den Versorgungswerken zu fördern, wurde eine Ständige Konferenz bei der Bundesärztekammer eingerichtet. Dieser obliegt die Beobachtung der allgemeinen sozialpolitischen Entwicklung, insbesondere unter Versorgungsaspekten.

Vorsitzender der Ständigen Konferenz „Ärztliche Versorgungswerke und Fürsorge“ der Bundesärztekammer ist nach den Neuwahlen für die Wahlperiode 1999/2003 Herr Dr. Möhrle, Frankfurt, Präsident der Hessischen Landesärztekammer. Stellvertretende Vorsitzende ist nunmehr Frau Dr. Bühren, Murnau, Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer.

In der routinemäßigen jährlichen Sitzung der Ständigen Konferenz 20. April 2002 in Saarbrücken berichteten die Mitglieder über aktuelle Entwicklungen auf Landesebene. Es wurde eine Reihe von Grundsatzfragen diskutiert. Im Bericht zur Lage des Vorsitzenden, Dr. Möhrle, werden folgende Aspekte behandelt:

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, man kann wirklich nicht behaupten, dass sich die deutsche Ärzteschaft derzeit in ruhigen Gewässern bewege. Die schon aus den letzten Jahren bekannte Manier, unser Gesundheitswesen mit überhasteten und mit heißer Nadel gestrickten Gesetzen retten zu wollen, führt zu nichts, außer zu zunehmender Unruhe bei den Leistungserbringern und bei der Bevölkerung. Jüngstes Beispiel ist die Androhung der Ministerin Schmidt mit Ersatzvornahmen, sollte sich der Koordinationsausschuss nicht über die Modalitäten der Einführung der Disease-Management-Programme zum 1.7.diesen Jahres einigen.

Gott sei Dank gibt es für die ärztlichen Versorgungswerke im Moment offenbar keine allzu bedrohlichen Ereignisse. Das soll nicht heißen, dass wir uns beruhigt zurücklehnen und abwarten sollen, welche Überraschungen die deutsche und die europäische Politik vielleicht noch für uns bereithalten. Es gibt durchaus Punkte, in denen ein aktiver Dialog mit der Politik nötig ist. Als Beispiel sei die Zahlung von Beiträgen des Bundes für Kindererziehungszeiten an die Rentenversicherer genannt, welche die berufsständischen Versorgungswerke bisher nicht einschließen. Zu diesem Punkt hat sich Herr Dr. Kirchhoff kürzlich im Deutschen Ärzteblatt geäußert, ebenso wie zu der Frage der Einbeziehung der Mitglieder der Versorgungswerke in die „Riester-Rente“, also einem zusätzlichen deckungskapitalfinanzierten Standbein, um längerfristig eine zu erwartendende weitere Senkung des Rentenniveaus durch verlängerte Lebenserwartung zu kompensieren. Auch der Wegfall der Befreiungsvoraussetzung von der Rentenversicherung schwebt dauerhaft über den berufsständischen Versorgungswerken, wenn auch derzeit keine besonderen Gelüste dieser Art zu bemerken sind. Schließlich ist der Übergang zur Steuerfreiheit der Beiträge zu den Versorgungswerken und zur nachgelagerten Besteuerung der daraus resultierenden Renten ein Thema, welches alle derzeitigen Rentenbezieher und die der nächsten Jahre betrifft und daher dringend einer Diskussion mit dem Finanzminister bedarf.

Auch auf der Vermögensanlageseite ist die Situation für die Versorgungswerke alles andere als rosig. Der steile Sturz des Aktienmarktes schon vor und erst recht nach dem 11. September 2001 hat wohl für die Jahresabschlüsse aller Versorgungswerke Verluste gebracht, und eine Erholung der Börse kommt nur mühsam in Gang. Die (zu unserem Glück nur zögerliche) Senkung der Leitzinsen durch die EZB hat ein übriges getan, um auch aus den Anlagen in Rentenpapieren keine großen Gewinne machen zu können. Und dass sich mit Immobilienanlagen nicht viel für das Gesamtergebnis verdienen lässt, ist allseits bekannt.

Eine weitere Entwicklung, welche die Versorgungswerke tangiert, scheint sich abzuzeichnen: Es ist dies der Rückgang der neu hinzukommenden Ärztinnen und Ärzte, der sich derzeit bereits in einem Ärztemangel in den Kliniken, demnächst wohl auch im niedergelassenen Bereich bemerkbar macht. Herr Dr. Kopetsch hat für die KBV eine Untersuchung auf der Basis von Zahlen des Statistischen Bundesamtes durchgeführt, die beeindruckende Ergebnisse zeigte. Ich möchte Ihnen diese zusammengefasst vorstellen:

Das Durchschnittsalter der Ärzte in Klinik und Praxis steigt kontinuierlich an: 1993 betrug es bei den Klinikärzten 38,05 Jahre, bei den Niedergelassenen 46,56 Jahre; 2000 waren dies 39,92 bzw. 49,48 Jahre.

Der Anteil der über 59-jährigen Ärzte ist zwischen 1995 und 2000 um knapp 45% gestiegen. Zugleich sinkt der Anteil der jungen Ärzte. 1991 waren noch 27,4% aller berufstätigen Ärzte unter 35 Jahre alt, 2000 waren es nur noch 18,8%, also ein Drittel weniger.

Während die Zahl der Studienanfänger sich in den letzten Jahren konstant bei etwa 12.000 pro Jahr hält, ist in den letzten Jahren die Zahl der Absolventen um 23% auf 9.165 im Jahre 2000 gesunken. Die Zahl der Studienabbrecher steigt an und beträgt etwa 20%. Die Zahl der Ärzte im Praktikum ist zwischen 1994 und 2000 um 25% gesunken, die Zahl der Approbationen im gleichen Zeitraum um 22%.

Etwa 20% der Absolventen eines Medizinstudiums beginnt nicht mit dem ärztlichen Praktikum, wird also nicht am Patienten tätig werden. Die „Schwundmenge“ vom Studienbeginn bis zum AiP beträgt also insgesamt etwa 40%. Natürlich müssen wir uns fragen, woran das liegt; ich werde gleich darauf zurückkommen.

Das von der Politik gewünschte Verhältnis von Hausärzten zu Fachärzten von 60 zu 40 existierte in etwa im Jahre 1991. Seither ist der Anteil der Fachärzte jedoch um ein Fünftel auf 48% gestiegen.

Der Anteil der in anderen Bereichen berufstätigen Ärzte ist seit Jahren mit etwa 9% konstant. Die Zahl der Ärzte, die ins Ausland gehen, ist immer noch eine zu vernachlässigende Größe. Die Zahl der arbeitslos gemeldeten Ärzte ist seit einem Höhepunkt im Jahre 1997 rückläufig und beträgt derzeit 2,4%; dabei beträgt die „natürliche“ Arbeitslosigkeit etwa 4,5% und es gab im November 2001 3.600 offene Stellen. Wir haben also eine Überbeschäftigung der Ärzte.

Die demographische Entwicklung, also mehr ältere und damit multimorbide Menschen, erfordert ebenso eine höhere Zahl von Ärzten wie der medizinische Fortschritt, um den Erfordernissen gerecht werden zu können.

Besonders dramatisch ist die zu erwartende Entwicklung im Hausarztbereich: Bis zum Jahre 2010 werden etwa 22.000 Hausärzte aus Altersgründen ausscheiden. Wegen der Altersstruktur ist besonders in den neuen Bundesländern ein Kollaps der hausärztlichen Versorgung zu befürchten.

Die Zuwanderung ausländischer Ärzte hat in den letzten Jahren nur im Rahmen der allgemeinen Arztzahlenentwicklung stattgefunden. Dabei kamen in den letzten fünf Jahren vorwiegend Ärzte aus der ehemaligen Sowjetunion und dem ehemaligen Jugoslawien. Jetzt haben wir endlich nach dem Podologen-Gesetz, einem „Artikelgesetz“, die Möglichkeit, diese Kollegen hinsichtlich der Qualität ihrer Ausbildung und Weiterbildung zu überprüfen, was wir bisher im Gegensatz zu den Zahnärzten nicht konnten. Von daher ist also keine wesentliche und bundesweite Entlastung der Situation zu erwarten.

Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass die deutsche Ärzteschaft überaltert und dass sie ein Nachwuchsproblem hat. Es ist vordringlich zu klären, warum immer weniger Medizinstudenten ihr Studium abschließen und warum immer mehr Absolventen des Studiums letztlich nicht ärztlich tätig werden wollen. Hier spielen sicherlich einerseits die Studienbedingungen eine Rolle, andererseits aber auch die mangelnde Wertschätzung, welche die Ärzte als Berufsgruppe bei der Politik, in den Medien und in der Bevölkerung genießen. Auch die schlechte Bezahlung ärztlicher Leistung in Klinik und Praxis im Vergleich mit anderen Berufen mit gleicher Qualifikation wirkt nicht gerade attraktiv bei der Berufswahl.

Für die Versorgungswerke, besonders diejenigen mit einem offenen Deckungsplanverfahren, ist natürlich jeder Rückgang der Nachwuchszahlen bedenklich. Der Vorstand der Bundesärztekammer hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche die Entwicklung der Arztzahlen weiter verfolgen und noch genauer analysieren soll.

Der Vorstand der Bundesärztekammer befasst sich seit längerem, wie auch Politiker, private und gesetzliche Krankenversicherungen und mehr oder weniger kompetente Gesundheitsökonomen mit der Frage einer grundlegenden Reform unseres Gesundheitswesens. In diesem Zusammenhang ist es interessant, zu lesen, dass in der Bevölkerung offenbar ein erheblicher Grad von Zufriedenheit mit unserem sozialen Sicherungssystem besteht und nur geringe Bereitschaft, daran etwas Grundlegendes zu ändern. So nachzulesen in einer Studie, die im Bundesarbeitsblatt 12/2001 veröffentlicht wurde; auf Einzelheiten möchte ich hier und heute verzichten.

Überhaupt werde ich auf manche Themen heute nicht eingehen, da sie Gegenstand späterer Referate sein werden. Ein Thema haben wir auf Wunsch der Ausschüsse und der Ständigen Konferenzen „Krankenhaus“ und „Arbeitsmedizin“ zusätzlich auf die Tagesordnung genommen: Die Versorgung für HIV- und Hepatitis B- und C-Virenträger, welche Mitglieder der ärztlichen Versorgungswerke sind.

Damit möchte ich es für heute bewenden lassen und für die nachfolgenden Redner Platz machen. Wir haben in der Diskussion noch Gelegenheit, das Eine oder Andere zu vertiefen.“

© 2003, Bundesärztekammer.