Tätigkeitsbericht 2022

Tätigkeitsbericht 2022 der Bundesärztekammer

Tätigkeitsbericht 2022 der Bundesärztekammer Bundesärztekammer Deutscher Ärztetag

3 Impressum Copyright © Bundesärztekammer 2023 Herausgeber: Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern), Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin Redaktion: Dezernat Politik und Kommunikation, Bundesärztekammer Titelfotos: © Die Hoffotografen GmbH (links oben), © Alexander Raths/stock.adobe.com (rechts oben) © Romolo Tavani/stock.adobe.com (links unten), © Siam/stock.adobe.com (rechts unten) Satz: Deutscher Ärzteverlag GmbH, Dieselstraße 2, 50859 Köln Alle Rechte, insbesondere das Recht zur Vervielfältigung, Mikroskopie und zur Einspeicherung in elektronische Datenbanken sowie zur Übersetzung in Fremdsprachen für alle veröffentlichten Beiträge vorbehalten. Druck und Aufnahme in elektronische Datenbanken, auch auszugsweise – außer zur ausschließlich privaten Verwendung –, nur mit Genehmigung der Bundesärztekammer. Die in diesem Werk verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen beziehen sich auf alle Geschlechter.

4 Tätigkeitsbericht 2022 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6 Überblick Die BÄK im gesundheits- und sozialpolitischen Diskurs – Gesundheitspolitik zwischen Corona, Krieg und Klimakrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Berichte Jubiläum – „Gehört wird, wer Ideen hat“: 75 Jahre Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Corona-Pandemie – Kindeswohl stärker im Blick behalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Post-COVID-Syndrom – BÄK fordert bessere Versorgung und intensivere Forschung . . . . . . . . . 21 Krankenhausreform – Stationäre Versorgung gemeinsam gestalten statt „Revolution von oben“. . . . 22 Stationäre Versorgung – Personalbemessung im Krankenhaus für Ärztinnen und Ärzte . . . . . . . 24 Sogenannte Triage – Ein schwer zu erfüllender Regelungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Gebührenordnung für Ärzte – Ärzteeigene Bewertungsversion des GOÄneu-Entwurfs vorgelegt . . . . 26 Qualitätssicherung in der Radiologie – Leitlinien in Röntgendiagnostik und Computertomographieüberarbeitet................................................. 28 Normung in der Medizin – Erfolgreiches Engagement der BÄK beimDeutschenInstitutfürNormung............................................... 29 Ernährungsstrategie 2023 – Neuer Anlauf für eine gesundheitsfördernde Ernährung . . . . . . . . . 30 Ärztliche Ausbildung – BÄK fordert mehr Studienplätze für Medizin an staatlichen Universitäten. . . . 31 Ärztliche Weiterbildung – Umsetzung der MWBO 2018 in den Ärztekammern . . . . . . . . . . . . . . . 32 Arbeitsmedizin – Ärztliche Kompetenz in der Arbeitswelt unverzichtbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Menschen mit Behinderung – Sport und Gesundheit – Inklusion bewegt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

5 Menschenrechte in der Medizin – Erfahrungsaustausch der LÄK-Menschenrechtsbeauftragten . . . 37 Internationales – Weltärztebund feiert 75-jähriges Bestehen in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Die schleichende Pandemie – Wege im Kampf gegen die Antibiotikaresistenzen . . . . . . . . . . . . . 39 Europäischer Gesundheitsdatenraum – Patientenrechte bei Sekundärnutzung von Daten schützen. 40 Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung – Der Arztberuf im Wandel digitaler Transformation . . . 41 Elektronische Patientenakte – Überführung der ePA in eine Opt-out-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Stand der medizinischen Wissenschaft – Aktuelle Positionierung der Bundesärztekammer . . . . 43 Medizin und Ethik – Ethik im ärztlichen Alltag und in der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Ärztlich assistierte Selbsttötung – Angebote zur Suizidprävention flächendeckend ausbauen. . . 45 Palliativmedizin – Würdevolles Sterben als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . 46 Sichere und rationale Arzneimitteltherapie – AkdÄ bezieht Stellung für mehr Arzneimittelsicherheit . . 47 Transplantationsmedizin – Richtlinienarbeit und Prüfungen im gesetzlichen Auftrag . . . . . . . . . 48 Qualität in der Medizin – Nationale VersorgungsLeitlinien: höchste Qualität seit 20 Jahren . . . . 50 Arztzahlentwicklung Ärztestatistik 2022 – Warten auf die Trendwende: Arztzahlen wachsen zu langsam . . . . . . . . . . . 51 Organisation Organigramm der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Deutscher Ärztetag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Adressen der (Landes-)Ärztekammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

6 Vorwort Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Abgeordneten des 127. Deutschen Ärztetages vom 16. bis 19. Mai 2023 nach Essen kommen, stehen wichtige gesundheitspolitische Weichenstellungen an. Wir erwarten erste konkrete Vorschläge der Bundesregierung für eine Neuorganisation der Krankenhausplanung und -vergütung. Uns liegen die Empfehlungen der Regierungskommission für eine Reform der Akut- und Notfallversorgung vor. Zudem wird der Bund mit den angekündigten Versorgungsgesetzen I und II zahlreiche weitere Vorhaben auf den Weg bringen, unter anderem Neuregelungen für die Gründung kommunaler Medizinischer Versorgungszentren, die Etablierung multiprofessioneller Gesundheitszentren, die Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie die Umsetzung einer Digitalstrategie. Viele weitere Themen stehen auf der Vorhabenplanung des Bundesgesundheitsministeriums. Dabei ist die hohe Schlagzahl des Ministeriums für sich genommen kein Zeichen von Qualität. Sie ist vielmehr Folge einer oftmals unabgestimmten Regierungsarbeit und mangelnder Einbindung wichtiger Stakeholder aus dem Gesundheitswesen. Natürlich lassen wir uns davon nicht abhalten, uns mit eigenen Vorschlägen, mit unserer speziellen ärztlichen Sicht auf die Dinge und mit unseren Kenntnissen aus der Versorgungsrealität in die politischen Verfahren einzubringen. Dennoch: Wir werden den Minister auf dem Deutschen Ärztetag noch einmal darauf hinweisen müssen, dass die ärztliche Selbstverwaltung kein einseitiger Lobbyismus ist, wie von ihm wiederholt behauptet, sondern Gewähr für Sachverstand und Verlässlichkeit in sensiblen gesellschaftlichen Bereichen. Als Selbstverwaltung eines freien Berufes ist der Bundesärztekammer und den Landesärztekammern der Gemeinwohlbezug immanent. Schon deshalb steht die Beteiligung der Selbstverwaltung an Gesetzgebungsverfahren in keinerlei Widerspruch zu demokratisch legitimierten Entscheidungsprozessen, sie ist im Gegenteil integraler Bestandteil eines partizipativen demokratischen Staatswesens. Auf dem Ärztetag wird sich Peter Müller, Richter des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht, unter dem Titel „Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“ in einem Grundsatzreferat mit der besonderen Bedeutung freiheitlicher ärztlicher Berufsausübung und ärztlicher Selbstverwaltung für eine am Patienten orientierte Gesundheitsversorgung befassen. In einem weiteren Schwerpunktthema werden sich die Abgeordneten des Deutschen Ärztetages gemeinsam mit externen Referenten, unter anderem mit der nordrhein-westfälischen Bildungsministerin Dorothee Feller, der Förderung der Gesundheitskompetenz bei Kindern und Jugendlichen widmen.

7 Wir werden uns in Essen darüber hinaus mit vielen weiteren wichtigen Zukunftsthemen befassen. Wie können wir die schleppende Umsetzung der Reform des Medizinstudiums und damit auch der ärztlichen Nachwuchsförderung beschleunigen? Wie kann die Finanzierung unseres Krankenversicherungssystems auf eine breitere Basis gestellt werden? Wie gehen wir mit dem wachsenden Einfluss fachfremder Finanzinvestoren auf unsere Versorgungsstrukturen um? Wie werden digitale Anwendungen und künstliche Intelligenz die ärztliche Arbeit und das ärztliche Selbstverständnis prägen? Und wie können wir die Gesundheitsprävention im Sinne von Health in all Policies noch viel stärker als heute im politischen und gesellschaftlichen Bewusstsein verankern? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen nicht auf alle diese Fragen sofort Antworten finden, aber wir sollten jetzt über diese Themen sprechen und uns eine Meinung bilden. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir auch in Zukunft nicht nur reagieren, sondern agieren und die politische Diskussion mit eigenen ärztlichen Vorschlägen weiter voranbringen. Dass ist mein persönlicher Anspruch. Das ist aber auch der Anspruch der Bundesärztekammer insgesamt. Der vorliegende Tätigkeitsbericht belegt dies aus meiner Sicht sehr eindrücklich. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre und verbleibe mit einem herzlichen Gruß Ihr Dr. med. (I) Klaus Reinhardt Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages © Die Hoffotografen GmbH © Bernadette Grimmenstein Photography

8 Die BÄK im gesundheits- und sozialpolitischen Diskurs Gesundheitspolitik zwischen Corona, Krieg und Klimakrise Ein Regierungswechsel ist für den Parlamentsbetrieb und für die Arbeit der Ministerien eine ebenso tiefe Zäsur, wie für die politische Interessenvertretung, die sich auf das neue Personal und die mitunter geänderte politische Marschrichtung einstellen muss. So war es auch nach der Bundestagswahl im Spätsommer 2021. Nach der Ernennung der neuen Kabinettsmitglieder am 8. Dezember 2021 hat Jens Spahn (CDU) sein Amt an den neuen Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) übergeben. Neu war nicht nur der Minister, auch viele Expertinnen und Experten an den Schaltstellen der Ministerialverwaltung wechselten und im Parlament sortierten sich die Ausschüsse neu. In solchen Umbruchzeiten müssen früh die Grundlagen für die Zusammenarbeit mit der Politik gelegt werden. Gesundheitspolitische Kernforderungen Die Bundesärztekammer (BÄK) hat genau dies getan. Bereits vor den Koalitionsverhandlungen im Oktober 2021 hatte die BÄK ihre gesundheitspolitischen Kernforderungen an die neue Bundesregierung und konkrete Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen unterbreitet. (1) Das Themenspektrum reichte von Reformen bei der Krankenhausplanung und -vergütung, über die Neuorganisation der Notfallversorgung bis hin zu Maßnahmen gegen die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen. Im Verlauf des Jahres 2022 sollte sich erweisen, dass genau diese Themen die gesundheitspolitische Arbeit der neuen Bundesregierung prägen. Hinzu kamen zahlreiche weitere Vorhaben und Initiativen. Allein in seinem ersten Amtsjahr hat Lauterbach rund 40 Gesetze und Verordnungen auf den Weg gebracht, darunter die Aufhebung des Werbeverbots für den Schwangerschaftsabbruch, mehrere Änderungen am Infektionsschutzgesetz, das sogenannte Triagegesetz (siehe S. 25), das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sowie das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz. Zum Vergleich: Sein ebenfalls umtriebiger Vorgänger kam in seinem ersten Amtsjahr nur auf sieben Initiativen. © Shawn Hempel/stock.adobe.com

9 Dabei war die hohe administrative Schlagzahl nicht nur für den Gesetzgeber eine Herausforderung, sondern auch für die am politischen Meinungsbildungsprozess beteiligte organisierte Zivilgesellschaft, zu der die BÄK als eine der wichtigsten Organisationen in der Gesundheitspolitik zählt. In nüchternen Zahlen ausgedrückt, bedeutete das für die BÄK im Jahr 2022: Mehr als 40 schriftliche Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen, zu medizinwissenschaftlichen und ethischen Fragestellungen und zu Initiativen des Gemeinsamen Bundesausschusses, weitere 23 Stellungnahmen zur Arzneimittelnutzenbewertung durch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie zahlreiche Positionspapiere, Empfehlungen, Leitlinien und Richtlinien im gesetzlichen Auftrag – medial begleitet und flankiert durch persönliche Gespräche auf Politik- und Arbeitsebene. Ärzteschaft kritisiert „Proforma“-Beteiligung Dass das hohe Tempo des Ministers kein Zeichen von Qualität ist, sondern vielmehr von einer teilweise unabgestimmten Regierungsarbeit zeugt, hat die Bundesärztekammer mehrfach kritisiert. Als das BMG bei Änderungen an der Coronavirus-Testverordnung im März 2022 den angefragten Organisationen und Verbänden gerade einmal vier Stunden für die Erarbeitung einer Stellungnahme einräumte, brachte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt die Kritik der Ärzteschaft und anderer Organisationen aus dem Gesundheitswesen auf den Punkt: „Expertenanhörungen und Stellungnahmeverfahren sind aus gutem Grund feste Bestandteile von Verordnungs- und Gesetzgebungsprozessen.“ Eine „reine Proforma-Beteiligung“ der betroffenen Akteure sei unter Demokratiegesichtspunkten problematisch und „führt letztlich zu einer bedenklichen Dehnung unseres Rechtstaates“. Auch bei anderen entscheidenden Neuregelungen, wie etwa der Einführung der Krankenhaustagesbehandlung im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz, wurde wenig bis gar kein Wert auf externen Sachverstand gelegt. Das hielt die BÄK aber nicht davon ab, sich dennoch – gefragt oder ungefragt – in alle wesentlichen gesetzgeberischen Maßnahmen einzubringen. Zu den wichtigsten gesundheitspolitischen Vorhaben des Berichtsjahres zählen – neben dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz – insbesondere das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sowie die zum Ende des Jahres 2022 vorgelegten Empfehlungen der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz leistete bereits erste Vorarbeiten für die umfassende Krankenhausreform, die Lauterbach in diesem Jahr umsetzen will. Dazu zählt vor allem die Neuregelung zur Krankenhausbehandlung ohne Übernachtung. Krankenhäusern ist es nun pauschal gestattet, ohne vorherige Beantragung, Genehmigung oder Ausweisung einer Tagesklinik, potenziell alle Behandlungen sowie Tagesbehandlungen durchzuführen. Das soll Überlastungssituationen verringern und Personal von vermeidbaren Aufgaben entbinden. Grundlage für die Neuregelung waren die Empfehlungen der Regierungskommission vom 27. September 2022. BÄK-Präsident Reinhardt begrüßte die Initiative im Grundsatz. „Tagesbehandlungen im Krankenhaus können Möglichkeiten zur Ent- © picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

10 lastung des Klinikpersonals eröffnen, da sie die effektive Betreuungszeit verkürzen. Sie können auch dem Wunsch vieler Patientinnen und Patienten entgegenkommen, nach erfolgter Behandlung möglichst schnell wieder zuhause zu sein“, bekräftigte er (28.09.2022). Allerdings gelte es zu verhindern, dass Tagesbehandlungen von den Klinikbetreibern dazu genutzt werden, Personalengpässe auszugleichen oder den Profit zu steigern. Ebenso sei darauf zu achten, dass kein Wettbewerb um medizinische Leistungen zwischen den Krankenhäusern und hochspezialisierten Fachärzten entstehe. „Ziel muss eine sektorenverbindende, indikationsgerechte und patientenorientierte Versorgung sein“, betonte Reinhardt. Massive Kritik und sogar Proteste von Ärzteschaft und Medizinischen Fachangestellten rief der Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hervor. Konkret ging es um die darin enthaltene Streichung der extrabudgetären Vergütung für Neupatientinnen und Neupatienten in den Arztpraxen. Nötig wurde das Gesetz, weil Prognosen von einer Finanzierungslücke in der Gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von rund 17 Mrd. Euro für das Jahr 2023 ausgingen. Lauterbach versprach, diese Lücke stopfen zu wollen, ohne jedoch Leistungen in der Patientenversorgung zu streichen. Dieses Versprechen hielt nicht lange, wie sich zeigen sollte. Reinhardt bezeichnete die Streichung der Neupatientenregelung als „Etikettenschwindel“ und „Leistungskürzungen durch die Hintertür“ (12.07.2022). Die Ärzteschaft reagierte mit Protestaktionen, Praxisschließungen und Informationsveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. Mehr als 50 000 Ärztinnen und Ärzte unterzeichneten einen offenen Brief an den Bundesgesundheitsminister. Auf einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin erinnerte BundesärztekammerPräsident Reinhardt daran, dass Lauterbach die extrabudgetäre Vergütung für Neupatienten noch im Jahr 2019 im Deutschen Bundestag als „richtig“ bezeichnet hatte. Viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte hätten daraufhin ihren Praxisbetrieb umorganisiert, Sprechstundenzeiten verlängert und neues Personal eingestellt. Mit der Streichung ignoriere die Politik eine zuvor anerkannte Handlungsnotwendigkeit in der Versorgung von Patientinnen und Patienten und demonstriere „das Gegenteil von Verlässlichkeit“, betonte der BÄKPräsident (07.09.2022). Nachhaltige Strukturreform statt Willkürmaßnahmen Aber auch die weiteren Neuregelungen des Gesetzes sind nicht geeignet, die GKV-Finanzen langfristig zu stabilisieren. „Mit diesem Gesetz wird nicht nur bei den Kassenfinanzen gespart. Gespart wird hier vor allem am politischen Gestaltungswillen der Verantwortlichen. Statt eines schlüssigen Gesamtkonzepts zur finanziellen Stabilisierung des GKV-Systems, präsentiert die Politik nur Stückwerk“, kritisierte Reinhardt. Statt willkürlicher Sparmaßnahmen zur kurzfristigen Stabilisierung der Kassenfinanzen seien nachhaltige, strukturelle Reformen notwendig. Denkbar sei aus Reinhardts Sicht eine dauerhafte Anhebung und Dynamisierung des Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds zum Ausgleich der versicherungsfremden Leistungen. Darüber hinaus könne man Teile der Einnahmen aus der Alkohol- und Tabaksteuer als © Tanja M. Marotzke

11 zweckgebundene Abgabe zur Stabilisierung der Einnahmenbasis der GKV verwenden. Als weitere Maßnahme schlug Reinhardt vor, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 Prozent auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent zu senken, mit dem auch Grundnahrungsmittel besteuert werden. (2) Am Ende blieb es dabei. Die extrabudgetäre Vergütung für die Annahme von Neupatienten ist Geschichte. Stattdessen erhalten Arztpraxen seit dem 1. Januar 2023 gestaffelte Zuschläge für die Vermittlung von Terminen an andere Praxen. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung geht davon aus, dass Praxen im Vergleich zu heute ein Vielfaches an Terminen vermitteln müssen, um den gleichen Gesamtbetrag zu erhalten. Viele Ärztinnen und Ärzte, die während der Corona-Pandemie unter hohem persönlichen Einsatz einen Zusammenbruch der gesundheitlichen Versorgung verhindert hatten, empfinden dies als echten Affront und politischen Willkürakt. BÄK-Vorschläge zum Pandemiemanagement Insbesondere die erste Jahreshälfte 2022 war nach wie vor von der Corona-Pandemie geprägt. Die Bundesärztekammer sowie der Ärztliche Pandemierat der BÄK (3) waren weiterhin für viele Medien wichtige Anlaufstellen bei Fragen zur Infektionslage und zu Corona-Eindämmungsmaßnahmen von Bund und Ländern. Fast täglich ordneten Vertreterinnen und Vertreter der Bundesärztekammer in Interviews und Presse-Statements die aktuelle Lage ein und unterbreiteten konkrete Vorschläge zum Pandemiemanagement. So wurde zu Beginn des Jahres 2022 in Politik und Gesellschaft heftig über die Einführung einer generellen Impfnachweispflicht diskutiert. Die Ärzteschaft war in dieser Frage von Anfang an zurückhaltend und sprach sich für differenzierte Lösungen aus. BÄK-Präsident Reinhardt warnte ausdrücklich vor einem Impfzwang. Ein solcher Zwang würde dem ärztlichen Berufsethos fundamental widersprechen, sagte er dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel (15.01.2022). Eine Impfnachweispflicht könne allenfalls die „Ultima Ratio“ in der Abwägung zwischen dem individuellen Selbstbestimmungsrecht und dem Gesundheitsschutz gerade vulnerabler Gruppen sein. In der Debatte über eine Impfpflicht im Gesundheitswesen forderte Reinhardt, impfunwillige Beschäftigte in der Pflege zu überzeugen, statt mit sofortiger Kündigung zu drohen. „Wir können uns keine größere Personalabwanderung aus der Pflege leisten“, sagte er in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse (PNP, 09.02.2022). Tatsächlich entspannte sich die Versorgungslage auf den Intensivstationen und in den Praxen trotz weiterhin hoher Infektionszahlen spürbar. Im Februar beschlossen Bund und Länder einen Stufenplan für die Rückführung tiefgreifender Corona-Eindämmungsmaßnahmen. Die BÄK unterstützte die Initiative: „Die Omikronwelle bricht, die Lage in den Kliniken ist beherrschbar, und mit steigenden Temperaturen ist eine weitere Entspannung wahrscheinlich“, sagte Reinhardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe (17.02.2022). Bevor im September die Corona-Regelungen im Infektionsschutzgesetz ausliefen, einigten © Klaus Eppele/stock.adobe.com

12 sich Gesundheitsminister Lauterbach und Justizminister Marco Buschmann (FDP) im Sommer auf einen Sieben-Punkte-Plan, der mit dem sogenannten COVID-19-Schutzgesetz umgesetzt wurde. Der Entwurf sah im Wesentlichen für den Herbst und den Winter bundesweit geltende Corona-Regeln vor, wie etwa eine Maskenpflicht in Gesundheitseinrichtungen. Den Ländern wurde ermöglicht, die Maßnahmen durch eigene Regelungen zu flankieren. „Das Pandemie-Konzept ist differenziert und hebt richtigerweise auf die Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes ab“, kommentierte Reinhardt die Gesetzespläne (26.08.2022). Im ZDF-Morgenmagazin forderte er die Menschen auf, sich vor allem mit dem neuen, an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff boostern zu lassen (21.09.2022). Gleichzeitig forderte die Bundesärztekammer, die Versorgung der von Corona-Langzeitfolgen Betroffenen zu verbessern, die Prävention zu stärken und die Forschung zum sogenannten Post-COVID-Syndrom zu fördern (siehe S. 21). Humanitäre Kriegsfolgen eindämmen Während sich die Pandemielage entspannte, rückte ein nicht minder dramatisches Thema in die Schlagzeilen: der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Krieg und seine humanitären Folgen prägten direkt und indirekt auch die Arbeit der Bundesärztekammer. „Unseren Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine und allen ihren Landsleuten gehört unsere volle Solidarität“, erklärte die BÄK in einer Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine (28.02.2022). „Unsere Gedanken sind bei den Ukrainerinnen und Ukrainern, den Leidtragenden dieses Angriffskriegs. Das gilt insbesondere auch für die Ärztinnen und Ärzte, die im Kriegsgebiet ihr Leben aufs Spiel setzen, um anderen zu helfen.“ In den folgenden Monaten engagierte sich die BÄK vor allem auf drei Gebieten, um die humanitären Folgen des Krieges einzudämmen. In enger Zusammenarbeit mit der „Koordinierungsstelle Ukraine“ des BMG leitete sie Angebote von Ärztinnen und Ärzten für Unterstützungsleistungen, beispielsweise für den Transport humanitärer Güter und medizinischen Materials, an die entsprechenden Stellen im BMG weiter. Ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem BMG richtete die BÄK im März auf ihrer Website ein Registrierungsportal ein, auf dem sich Ärztinnen und Ärzte eintragen konnten, wenn sie in der Ukraine bzw. in den Anrainerstaaten Hilfe leisten wollten. Innerhalb weniger Wochen ließen sich rund 1 300 Ärztinnen und Ärzte registrieren. Wenngleich bei der Koordinierungsstelle im BMG weder von der Ukraine noch von ihren Nachbarstaaten Bedarfsanzeigen für ärztliche Hilfe aus dem Ausland eingingen, wurden die registrierten Ärztinnen und Ärzte im August 2022 im Rahmen eines Online-Seminars mit Vertreterinnen und Vertretern großer ärztlicher Hilfsorganisationen über Möglichkeiten für humanitäre Einsätze aufgeklärt. Darüber hinaus unterstützte die BÄK die Verbesserung der medizinischen Versorgung geflüchteter Menschen aus der Ukraine. Gemeinsam mit weiteren ärztlichen Verbänden forderte sie die Länder auf, allen Geflüchteten aus der Ukraine schnellstmöglich eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) zur Verfügung zu stellen, um einen schnellen, unbürokratischen und bundesweit einheitlichen Zugang zur medizinischen Versorgung zu ermöglichen (21.03.2022). Die Intervention hatte Erfolg: © picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck

13 Seit dem 1. Juni 2022 können registrierte Geflüchtete aus der Ukraine ihre Krankenkasse frei wählen und erhalten eine eGK. Klimaschutz ist Gesundheitsschutz Ein weiteres, zentrales Thema der BÄK im Berichtsjahr war der gesundheitsbezogene Klimaschutz. Die Bundesärztekammer engagiert sich seit mehreren Jahren gemeinsam mit der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) und weiteren Partnern sehr intensiv in diesem Bereich. Im Jahr 2022 standen die Aktivitäten zum klimaneutralen Um- und Ausbau von Gesundheitseinrichtungen ebenso im Fokus, wie die Ausarbeitung von Hitzeaktionsplänen sowie Aktivitäten zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele. Bereits der 126. Deutsche Ärztetag (DÄT) in Bremen hatte an Bund und Länder sowie an die Krankenkassen appelliert, den Einrichtungen im Gesundheitswesen ausreichend finanzielle Mittel zur Erreichung der Klimaschutzziele bis zum Jahr 2030 zur Verfügung zu stellen. Um eine Übersicht darüber zu geben, wie Krankenhäuser und Arztpraxen zur Klimaneutralität des Gesundheitswesens beitragen können, hat die Arbeitsgruppe „Klimawandel“ der BÄK konkrete Handlungsfelder (4) mit Beispielmaßnahmen zusammengestellt, die auf der BÄK-Website veröffentlicht wurden. Vor dem Hintergrund klimabedingter Hitzewellen, die insbesondere für ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen lebensbedrohlich sein können, hat der BÄK-Präsident einen nationalen Hitzeschutzplan gefordert. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur betonte Reinhardt: „Ein nationaler Hitzeplan sollte auf wissenschaftlicher Grundlage temperaturabhängige Alarmstufen sowie die jeweils zu ergreifenden Maßnahmen insbesondere für Risikogruppen vorschlagen und die entsprechenden Zuständigkeiten transparent machen“ (23.07.2022). Anlässlich der Veröffentlichung des Lancet Countdown on Health and Climate Change Report 2022 mahnte BÄK-Präsident Reinhardt im Oktober 2022 mehr Klimaschutzmaßnahmen im Gesundheitswesen an. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Lauterbach, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und KLUG in der Bundespressekonferenz betonte er: „Angesichts der dynamischen Entwicklung der globalen Erderwärmung müssen wir bei unseren Bemühungen um Klimaneutralität schneller werden. Das betrifft ausdrücklich auch den klimafreundlichen Aus- und Umbau von Gesundheitseinrichtungen. Gleichzeitig gilt es, das Gesundheitswesen selbst besser auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten. Dafür bedarf es der Bereitstellung spezifischer Ressourcen für alle Versorgungsbereiche.“ Im Dezember 2022 unterzeichnete die BÄK gemeinsam mit dem BMG und weiteren Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen den „Klimapakt Gesundheit“. „Die Initiative ist ein dringend notwendiger organisationsübergreifender Schulterschluss für mehr Klimaschutz“, bekräftigte BÄK-Präsident Reinhardt. Jetzt komme es darauf an, dass Bund und Länder alle Bereiche des Gesundheitswesens umgehend auf die Bewältigung der Folgen des Klimawandels vorbereiten. Ärztetag ist mediales Top-Ereignis Als erster reiner Präsenz-Ärztetag nach drei Jahren stieß der 126. DÄT in Bremen auf eine große mediale Resonanz: Mehr als 150 Journa- © BMG/Jan Pauls Fotografie

14 listinnen und Journalisten hatten sich akkreditiert und berichteten von den gesundheits- und berufspolitischen Debatten – etwa 100 von ihnen direkt vor Ort. Die restlichen verfolgten die Eröffnungsveranstaltung und Plenarsitzungen per Livestream. Unter den Medienvertreterinnen und -vertretern waren Korrespondenten und Reporter überregionaler Printmedien wie Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und Handelsblatt, deutschlandweiter und regionaler öffentlichrechtlicher Rundfunksender wie ARD, ZDF, WDR, NDR und MDR, Nachrichtenagenturen, (über-)regionaler Radiosender, von Tageszeitungen von Tagesspiegel bis Weser Kurier sowie von der Fachpresse. Alle wichtigen Entscheidungen des Ärztetages wurden in Pressemitteilungen aufbereitet. Ergänzt wurden diese mit Videos von Vorträgen und Gesprächen der Referentinnen und Referenten sowie vertiefenden Interviews, allesamt veröffentlicht im YouTube-Kanal der Bundesärztekammer. Twitter-Nutzer konnten den Ärztetag nahezu in Echtzeit verfolgen. Insgesamt 96 Tweets informierten die mehr als 21 100 Follower von @BAEKaktuell live über die Ereignisse. Zur Eröffnung des Ärztetages erschien in der FAZ am 24.05.2022 ein umfängliches Interview mit dem BÄK-Präsidenten. Darin wurden unter anderem die Schwerpunkte des Ärztetages beleuchtet sowie der Reformbedarf im Gesundheitswesen thematisiert. Tags darauf titelte die FAZ: „Lauterbach und Ärztepräsident fordern mehr Medizinstudienplätze“ (25.05.2022). Mit „Doktorarbeit für den dritten Herbst“, überschrieb die Süddeutsche Zeitung ihren Bericht von der DÄT-Eröffnung (25.05.2022). Beim Ärztetag gehe es nicht nur um aktuelle Krisen, sondern auch um alte Baustellen: den Ärztemangel, die lahmende Digitalisierung, die Krankenhausfinanzierung, den Pflegenotstand. „Unter Ärzten“ titelte das Handelsblatt (25.05.2022). „Es braucht das Know-how der praktisch Tätigen, um wirklich praktische Lösungen zu finden“, zitierte die Zeitung den BÄK-Präsidenten mit Blick auf die geplante Krankenhausreform. „Die Delegierten quittierten die Worte mit lautem Jubel und Rufen“, heißt es dort weiter. Die ARD-Tagesschau berichtete in den Hauptnachrichten um 20.00 Uhr von der DÄT-Eröffnung (24.05.2022). Ärztetag: Kinder im Fokus Auch die Forderung des Ärztetages¸ eine Corona-Strategie für den kommenden Herbst rechtzeitig anzugehen und erneute flächendeckende Schließungen von Kitas und Schulen zu verhindern, prägte zahlreiche Medienberichte. Die heute-Nachrichten des ZDF berichteten am Schlusstag des Ärztetages in der 19.00-Uhr- Sendung ausführlich über diesen TOP (27.05.2022). „Fokus auf Kinder im Herbst“, titelte die FAZ (23.05.2022). „Ärzte sorgen sich um Kinder“, überschrieb die Berliner Zeitung ihren Bericht (23.05.2022). „Wir sind verpflichtet, den Kindern etwas zurückzugeben“, zitierte die Hannoversche Allgemeine Zeitung den Präsidenten der Bundesärztekammer (23.05.2022). Im Fokus der Medien stand auch der sich verschärfende Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Viele Journalistinnen und Journalisten berichteten über den wachsenden wirtschaftlichen Druck in der Patientenversorgung. Preis- © Jürgen Gebhardt für Deutsches Ärzteblatt

15 wettbewerb, Kosteneffizienz und Renditestreben bestimmten mehr und mehr den ärztlichen Alltag. „Wo die Ärzte der Schuh drückt“, hieß es beispielsweise in der PNP. „Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Gesundheitssystem in ein profitorientiertes Franchise-System umgewandelt wird“, lautete ein Zitat des BÄK-Präsidenten in dem Bericht (25.05.2022). Darüber hinaus griffen die Medien die Forderung des Ärztetages nach mehr Studienplätze in der Humanmedizin und einer umfassenden Reform der Krankenhausfinanzierung auf. Reformbaustelle Krankenhaus Die Krankenhausreform zählt zu den großen gesundheitspolitischen Reformvorhaben der Bundesregierung. Zur Erinnerung: Bei der Vorbereitung der Krankenhausreform wollte Bundesgesundheitsminister Lauterbach den Einfluss von „Lobbygruppen“ begrenzen. Deshalb setzte er im Mai 2022 eine Regierungskommission ein, die aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fachbereiche besteht. Bis Jahresende hatte die Kommission drei Stellungnahmen vorgelegt, zwei bildeten die Grundlage für bereits verabschiedete Gesetze. Die dritte Stellungnahme, die Vorschläge für eine Reform der Krankenhausvergütung und damit für eine große Strukturreform enthält, muss der Minister nun mit den Ländern abstimmen – die ebenfalls nicht in die Arbeit der Kommission einbezogen waren. Im Kern sehen die Empfehlungen die Einführung einer bundeseinheitlichen Einteilung aller Krankenhäuser nach Leistungsgruppen vor, für die die Häuser bestimmte Strukturvoraussetzungen erfüllen müssen. Zudem soll die Vergütung der Krankenhausleistungen neben den DRG-Fallpauschalen eine zweite Säule erhalten: eine Vergütung von Vorhalteleistungen, die den ökonomischen Druck auf die Krankenhäuser reduzieren soll. Der Minister kündigte seine Pläne vollmundig als „Revolution“ an. „Die eigentliche Revolution wäre, wenn Herr Lauterbach ein Konzept hätte, wie er diese Reform praktisch umsetzen kann. Denn er muss insbesondere die Länder mit ins Boot holen, die für die Krankenhausplanung zuständig sind“, merkte der BÄK- Präsident im RedaktionsNetzwerk Deutschland an (29.12.2022). Tatsächlich ging die Taktik Lauterbachs nicht auf, zunächst eine wissenschaftliche Expertise einzuholen, um dann den politischen Prozess voranzutreiben. Denn neben den Ländern muss er sich auch mit der Kritik der Selbstverwaltung auseinandersetzen, die er als vermeintliche Lobbygruppe diskreditiert und nicht einbezogen hatte. Auch die Bundesärztekammer kritisierte massiv die fehlende Einbindung der Selbstverwaltung durch das Bundesgesundheitsministerium. Sie beließ es aber nicht bei Kritik, sondern schaltete sich aktiv in die Reformdebatte ein. BÄKVizepräsident Dr. Günther Matheis hatte bereits im Frühjahr 2022 in einem Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt eine strukturelle Debatte darüber eingefordert, wie die begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen effizient eingesetzt werden können sowie eine interprofessionelle Zusammenarbeit besser gelingen und unnötige Bürokratie reduziert werden kann (26.05.2022). Nach Bekanntwerden der Empfehlungen der Regierungskommission am 6. Dezember 2022 legte die BÄK den Schwerpunkt vor allem auf die direkten Auswirkungen der Pläne auf die © sudok1/stock.adobe.com

16 Patientenversorgung. Ende März 2023 veranstaltete sie ein Fachforum zu den Reformplänen. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus der Selbstverwaltung sowie mit Vertretern der Politik, unter anderem Bayerns Staatsminister für Gesundheit, Klaus Holetschek, nahm die BÄK insbesondere die Auswirkungen der Reformpläne auf die Patientenversorgung sowie auf die ärztliche Weiterbildung in den Fokus. BÄK-Vizepräsidentin Dr. Ellen Lundershausen hob hervor, dass eine nachhaltige Reform auch die Auswirkungen auf die Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte einbeziehen und auf eine stärkere Kooperation hinwirken müsse. Ende März 2023 ruderte Lauterbach nach massiven Auseinandersetzungen in der eigens für die Reform einberufenen Bund-Länder- Arbeitsgruppe zurück. Aktueller Stand zum Redaktionsschluss dieses Tätigkeitsberichts ist, dass sich Bund und Länder bei der Krankenhausreform stärker an Konzepten aus Nordrhein-Westfalen und der Schweiz orientieren wollen, die bereits Leistungsgruppen definiert haben. Bis Juli 2023 will man sich auf gemeinsame Eckpunkte einigen. Patientenschutz vor Renditestreben Ebenfalls im Frühjahr 2023 stehen weitere Gesetzesinitiativen an, zu denen sich die Bundesärztekammer bereits im Berichtsjahr positioniert hat. Zu nennen sind unter anderem die von der Ampel geplante Legalisierung von Cannabis, die die BÄK aus medizinischen Gesichtspunkten strikt ablehnt, die lange erwartetet Reform der ärztlichen Approbationsordnung sowie mit den Versorgungsgesetzen I und II zwei weitere große Reformpakete. Mit dem Versorgungsgesetz II soll insbesondere der Einfluss fachfremder Finanzinvestoren auf Medizinische Versorgungszentren eingedämmt werden. Dazu hatte die Arbeitsgruppe „Kommerzialisierung Medizinischer Versorgungszentren/Krankenhäuser“ der BÄK im Berichtsjahr ein von Politik und Medien vielbeachtetes Positionspapier vorgestellt. (5) In dem Papier unterbreitet die BÄK konkrete Formulierungsvorschläge für gesetzliche Regelungen zur Begrenzung der Übernahme von MVZ durch fachfremde Finanzinvestoren und zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen und umfassenden ambulanten Versorgung. Unter anderem spricht sie sich für die ausschließliche Zulassung fachübergreifender MVZ, die Begrenzung von Marktanteilen, mehr Transparenz über die Inhaberschaft und mehr Optionen zur Überprüfung der Versorgungsaufträge aus. Das Papier wurde im Dezember 2022 in eine eigens für diese Thematik eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingebracht und im Januar 2023 im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt. Große Zustimmung für MVZ-Papier Die öffentliche Resonanz auf das Positionspapier war groß. So titelte etwa das RedaktionsNetzwerk Deutschland: „Gesundheitswesen bei Investoren immer beliebter: Ärzteschaft will Heuschrecken bändigen“ (12.01.2023). Die Ärzteschaft befürchte, dass die ärztliche Unabhängigkeit und die Patientenversorgung durch die Zunahme von Finanzinvestoren im Gesundheitswesen in Gefahr gerate. Das Handelsblatt titelte „Aufstand gegen PraxisInvestoren“ (13.02.2023). „Viele der Vorwürfe mögen berechtigt sein. Allerdings verfolgen auch niedergelassene Mediziner Gewinninteressen. Deshalb wettert die Kammer nicht wie Lauterbach gegen die ‚Ökonomisierung‘, sondern die ‚Kommerzialisierung‘“, kommentierte die FAZ (13.01.2023). Die BÄK sei auch nicht gegen die MVZ an sich, sondern gegen Auswüchse. © picture alliance/Fotostand Freitag

17 Viel Zustimmung kam auch aus dem politischen Raum in Bund und Ländern. Im März 2023 hat die Gesundheitsministerkonferenz das Land Bayern beauftragt, eine Initiative zur Regulierung von investorengestützen Medizinischen Versorgungszentren in den Bundesrat einzubringen. Mehrere Bundesländer erklärten sich in der Sitzung zu Mitantragstellern. Mit Spannung erwartet wird nun die von Lauterbach angekündigte Gesetzesinitiative auf Bundesebene. Möglicherweise liegt diese bereits beim 127. Deutschen Ärztetag 2023 in Essen vor. Die Abgeordneten des Ärzteparlaments werden sich mit diesen sowie vielen weiteren gesundheitspolitischen Themen befassen und sich mit konstruktiven Vorschlägen in die politische Diskussion einbringen – gefragt oder ungefragt. ■ (1) www.baek.de/tb22/12punkte (2) https://kurzelinks.de/oevi (3) www.baek.de/tb22/pandemierat (4) www.baek.de/tb22/klimawandel (5) www.baek.de/tb22/mvz Ausblick 127. Deutscher Ärztetag Der 127. Deutsche Ärztetag findet vom 16. bis 19. Mai 2023 in Essen statt. Ergänzend zu den gesundheits- und berufspolitischen Themen werden sich die Abgeordneten unter anderem mit dem Schwerpunktthema „Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“ befassen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf dem Verständnis und den Voraussetzungen des ärztlichen Berufsbildes als Profession liegen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen für dieses Professionsverständnis, wie etwa der zunehmenden Kommerzialisierung in der Medizin und der ausufernden Bürokratisierung. In einem Grundsatzreferat wird sich Peter Müller, Richter des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht, mit der besonderen Bedeutung freiheitlicher ärztlicher Berufsausübung und ärztlicher Selbstverwaltung für eine an Patientinnen und Patienten orientierter Gesundheitsversorgung beschäftigen. In einem weiteren Schwerpunktthema wird sich der 127. Deutsche Ärztetag mit Gesundheitswissen und -kompetenz als entscheidende Voraussetzungen für Gesunderhaltung und Krankheitsbewältigung befassen. Dabei wollen die Abgeordneten ausloten, welchen Beitrag das Erziehungs- und Bildungssystem zur Gesundheitsbildung im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter bereits leistet und was erforderlich ist, damit gesundheitsbezogene Themen einen noch stärkeren Stellenwert in den Schulen und Kitas erhalten. Aktuelle Informationen stehen auf der Website der BÄK (www.baek.de/aerztetag) zur Verfügung. © Jochen Tack/Stiftung Zollverein Zeche Zollverein: Blick auf Schacht XII

18 Die Bundesärztekammer vertritt seit mehr als sieben Jahrzehnten die berufspolitischen Interessen von Ärztinnen und Ärzten. Zu den übergeordneten Zielen gehört unter anderem die Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin. Die 75-Jahr-Feier der BÄK Anfang Oktober 2022 in Berlin stand ganz im Zeichen der ärztlichen Freiberuflichkeit, verbunden mit der Aufforderung an die Politik, die bewährten Strukturen der ärztlichen Selbstverwaltung zu stärken. Getreu dem Motto „Gehört wird, wer Ideen hat“, brachte sich die Bundesärztekammer in den 75 Jahren ihres Bestehens fortwährend mit konstruktiven Vorschlägen für die Sicherung und Fortentwicklung einer qualitativ hochwertigen und patientenorientierten Gesundheitsversorgung in Deutschland ein. „Damit schaffen wir Ärztinnen und Ärzte über unser eigenes berufliches Wirken hinaus einen ethischen, ökonomischen und kulturellen Mehrwert für die Gesellschaft“, betonte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt bei der Festveranstaltung. „Die BÄK und mit ihr die (Landes-)Ärztekammern werden für die Organisation eines leistungsstarken Gesundheitswesens gebraucht. Die institutionelle Selbstverwaltung ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des deutschen Gesundheitswesens“, so Reinhardt. Aufgrund ihrer Sachkenntnis, ihrer Nähe zur Praxis und der Bindung zu ihren Mitgliedern regelten die ärztlichen Selbstverwaltungsorganisationen viele Details der Patientenversorgung besser, als die Politik es könnte. Gleichzeitig würden ärztliche Selbstverwaltungsinstitutionen aber mehr und mehr unter Druck gesetzt und in ihren Kompetenzen beschnitten, warnte Reinhardt. „Wir verbinden daher den Rückblick auf die 75-jährige Erfolgsgeschichte der Bundesärztekammer mit der klaren Aufforderung an die Politik, die bewährten Strukturen der ärztlichen Selbstverwaltung zu erhalten, zu stärken und weiter auszubauen“, sagte der BÄK-Präsident. Einen Blick in die Zukunft warf Prof. Dr. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Jubiläum „Gehört wird, wer Ideen hat“: 75 Jahre Bundesärztekammer © Georg J. Lopata/axentis.de (alle vier Fotos)

19 bei der Festveranstaltung. In ihrem Vortrag skizzierte sie zu dem Thema „Medizin der Zukunft – Arztrolle im Wandel“ zwei extreme Zukunftsszenarien: Ein überarbeiteter, frustrierter Hausarzt, der sich tagtäglich einer endlosen Schlange wartender Patientinnen und Patienten gegenübersieht, deren Behandlung er nur verwaltet, und eine ausufernde Dokumentation. Seine ärztlichen Tätigkeiten muss er an Algorithmen übertragen. Als Gegensatz dazu zeichnete Buyx das Bild einer Allgemeinärztin mit entspanntem Berufsalltag. Durch ein digital vernetztes und interoperables Gesundheitssystem kann sie sich mit ausreichend Zeit ihren Patientinnen und Patienten zuwenden. Die Realität werde sich irgendwo dazwischen aufspannen, sagte Buyx. Aber schon um diese Mitte zu erreichen, müsse sich einigen Themen intensiv zugewendet werden. Aus ihrer Sicht sei eines der bedeutendsten Zukunftsthemen die Digitalisierung und der Umgang mit Daten. Datenschutz sei wichtig, doch gebe es „inzwischen ein grotesk verschobenes, ethisch sehr problematisches Verhältnis von Chancen und Risiken bei der Datennutzung“. Seit Jahrzehnten werde sich viel zu sehr auf die Risikovermeidung fokussiert und dabei vergessen, was für Verluste an Leib und Leben hingenommen werden müssten, wenn zugleich die Chancen der Datennutzung nicht weit mehr in den Blick genommen würden. Glückwünsche zum Jubiläum der Bundesärztekammer überbrachte auch Dr. Heidi Stensmyren, vormalige Präsidentin des Weltärztebundes. In einer eigens zur 75-Jahr-Feier erstellten Festschrift übermitteln zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verbänden und Wissenschaft nicht nur ihre Glückwünsche an die BÄK, sondern setzen sich mit der Rolle der ärztlichen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen auseinander. (*) ■ (*) www.baek.de/tb22/festschrift

20 Corona-Pandemie Kindeswohl stärker im Blick behalten Der 126. Deutsche Ärztetag in Bremen hatte sich in einem Schwerpunktthema ausführlich mit den Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche befasst. In seiner Eröffnungsrede zum Ärztetag betonte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt: „Kinder und Jugendliche haben während der Corona-Pandemie eine besondere Last zu tragen, obwohl bei ihnen eine COVID-19-Infektion meist sehr mild verläuft.“ (1) „Die Schulschließungen waren für die meisten Kinder toxisch“, führte Prof. Dr. Dr. Martin Holtmann von der LWL-Universitätsklinik Hamm in Bezug auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus. (2) Insbesondere Heranwachsende aus sozioökonomisch prekären Verhältnissen und psychisch erkrankte Kinder seien von den Corona- Maßnahmen betroffen gewesen. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die unter Depressionen, Essstörungen, Angst- und Zwangserkrankungen litten, habe sich erhöht. Dr. Annic Weyersberg von der Universitätsklinik Köln verdeutlichte, dass die Schul- und Kitaschließungen zu Bildungsdefiziten und zu späteren Einkommensverlusten bei Kindern und Jugendlichen führen können. Die Entscheidungsgründe, die zu einer Aktualisierung der Corona-Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis elf Jahren geführt hatten, erläuterte Prof. Dr. Fred Zepp, Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO). Nach umfassender Prüfung der Studienlage seien die Risiken durch die Infektion höher als die Risiken von Nebenwirkungen durch die Impfung eingeschätzt worden. Die COVID19-Impfstoffe bei Kindern und Jugendlichen seien wirksam und könnten das „Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“ (PIMS) und Long-COVID verhindern. Zusammenfassend hatte der 126. Deutsche Ärztetag gefordert, bei allen künftigen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung das Wohl von Kindern und Jugendlichen ganzheitlich zu berücksichtigen. (3) Pandemiebedingte Schließungen von Kitas und Schulen sollten künftig nur noch in extremen Krisensituationen in Erwägung gezogen werden. Weitere Forderungen waren, bessere Hygiene- und Schutzmaßnahmen für diese Bereiche, eine Stärkung der Netzwerkarbeit zwischen Kinder- und Jugendmedizin, Psychiatrie und -psychotherapie, Schule, Schulsozialarbeit und Jugendamt sowie Öffentlichem Gesundheitsdienst (ÖGD) auf Landes- und kommunaler Ebene und eine personelle und finanzielle Stärkung der STIKO. Darüber hinaus müsse die stationäre und ambulante Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendmedizin, -psychotherapie und -psychiatrie sowie des sozialpädiatrischen Bereichs verbessert werden. ■ © 24K-Production/stock.adobe.com (1) www.baek.de/tb22/126daet (2) https://kurzelinks.de/rkaw (3) https://kurzelinks.de/ckcq

21 Post-COVID-Syndrom BÄK fordert bessere Versorgung und intensivere Forschung Bis zu 15 Prozent der Corona-Infizierten entwickeln nach durchgestandener Infektion ein Post-COVID-Syndrom (PCS). Sie leiden häufig unter einer eingeschränkten Lebensqualität und Teilhabe, die bis zur Schul-, Ausbildungs- oder Arbeitsunfähigkeit führen kann. Vor diesem Hintergrund hat ein interdisziplinärer Arbeitskreis des Wissenschaftlichen Beirats (WB) unter der Federführung von Prof. Dr. Michael Hallek (1) die wissenschaftliche Literatur zum PCS in einem strukturierten, methodischen Review-Prozess gesichtet. Welche Symptome treten bei PCS auf und wie werden sie verursacht? Welche Behandlungsoptionen stehen zur Verfügung? Und welche Handlungsempfehlungen für den Umgang mit PCS hat die Ärzteschaft an die Politik? Zu diesen und weiteren Fragen wurde ein aktuelles Kompendium erarbeitet, das in einem beschleunigten Beratungsverfahren am 23. September 2022 sowohl im Vorstand und Plenum des WB wie auch im Vorstand der BÄK beraten wurde. Prävention stärken Um mit ärztlich-wissenschaftlicher Expertise künftig die Versorgung der Betroffenen zu verbessern, Prävention zu stärken und Forschung auszubauen, wurde die Stellungnahme (2) von BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt und Prof. Hallek in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Angeregt durch den BÄK-Vorstand wurde auf der Basis der Stellungnahme zudem eine Übersichtsarbeit in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht. (3) Angesichts der dynamischen Pandemieentwicklung und der Mutationstendenz von SARSCoV-2 stellt die Stellungnahme eine Momentaufnahme dar. Sie richtet sich an Ärztinnen und Ärzte, Betroffene, die Öffentlichkeit und nicht zuletzt an die Politik. Damit Entscheidungen unter Berücksichtigung der bestmöglichen verfügbaren Evidenz gefällt werden, wurde die Stellungnahme unter anderem politischen Entscheidungsträgern und Institutionen übermittelt. Denn mit Blick auf gesundheitspolitische und wirtschaftliche Auswirkungen sind die Weichen für den weiteren Umgang mit PCS jetzt zu stellen. So sind angesichts der hohen Zahl von PCS-Betroffenen und der Vielfältigkeit des Krankheitsbildes differenzierte, regional vernetzte Behandlungskapazitäten aufzubauen. Dazu sollten bestehende Strukturen genutzt und gestuft ausgebaut sowie die Forschung an PCS weiter intensiviert werden. Darauf haben insbesondere die Betroffenen einen Anspruch, aber auch alle anderen. Ziel ist, PCS bestmöglich zu diagnostizieren und zu behandeln, das Krankheitsbild besser zu verstehen und mögliche Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Die Ärzteschaft steht hier mit ihrer fachlichen Expertise als Ansprechpartner zur Verfügung. ■ (1) www.baek.de/tb22/ak_longcovid (2) www.baek.de/tb22/sn_longcovid (3) https://kurzelinks.de/1pzo © BÄK

22 Krankenhausreform Stationäre Versorgung gemeinsam gestalten statt „Revolution von oben“ Die Krankenhausversorgung in Deutschland benötigt dringend Reformen – darüber sind sich alle relevanten Akteure einig. Was das konkret bedeutet, darüber gehen die Meinungen mitunter weit auseinander. Auf Bundesebene begannen mit der Einsetzung einer „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ am 2. Mai 2022 die konkreten Beratungen zu einer Reform von Krankenhausplanung und Krankenhausfinanzierung. Ärztetag fordert grundlegende Krankenhausreform Der 126. Deutsche Ärztetag in Bremen hat zeitgleich im Mai 2022 eine grundlegende Reform der Krankenhauslandschaft in Deutschland gefordert. Bund und Länder sollen sich dieser Aufgabe gemeinsam stellen. Orientierung am realen Versorgungsbedarf, Daseinsvorsorge, eine Fokussierung auf die Patientinnen und Patienten sowie die Personalausstattung sollen im Zentrum der Reformbemühungen stehen. Das Ärzteparlament rief die Länder dazu auf, ihrer Verpflichtung zur Finanzierung der Investitionskosten für die Krankenhäuser in vollem Umfang nachzukommen. „Unzureichende oder gar ausbleibende Investitionskostenfinanzierungen gefährden die Qualität der Patientenversorgung“, warnten die Abgeordneten. (1) Die für eine zeitgemäße und angemessene Patientenversorgung erforderlichen Mittel müssten den Krankenhäusern in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Außerdem fordert die Bundesärztekammer, endlich eine grundlegende Reform des Vergütungssystems für Kliniken in Angriff zu nehmen. Diese müsse sich prioritär an Kriterien wie tatsächlich erbrachten Leistungen, tatsächlichem Personalbedarf, Personalentwicklung, Flächendeckung und Vorhalteleistungen ausrichten. Zudem sollte den Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. © picture alliance/dpa/Christoph Soeder

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