Tätigkeitsbericht 2023 der BAEK

Tätigkeitsbericht 2023 der Bundesärztekammer

Tätigkeitsbericht 2023 der Bundesärztekammer Bundesärztekammer Deutscher Ärztetag

3 Impressum Copyright © Bundesärztekammer 2024 Herausgeber: Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern), Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin Redaktion: Dezernat Politik und Kommunikation, Bundesärztekammer Titelfoto: © Bernadette Grimmenstein Photography Satz: Deutscher Ärzteverlag GmbH, Dieselstraße 2, 50859 Köln Alle Rechte, insbesondere das Recht zur Vervielfältigung, Mikroskopie und zur Einspeicherung in elektronische Datenbanken sowie zur Übersetzung in Fremdsprachen für alle veröffentlichten Beiträge vorbehalten. Druck und Aufnahme in elektronische Datenbanken, auch auszugsweise – außer zur ausschließlich privaten Verwendung –, nur mit Genehmigung der Bundesärztekammer. Die in diesem Werk verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen beziehen sich auf alle Geschlechter.

4 Tätigkeitsbericht 2023 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6 Kammerjahr 2023 – Gemeinwohl im Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 127. Deutscher Ärztetag – Deutscher Ärztetag in Essen im Spiegel der Medien . . . . . . . . . . . . . . 14 Berichte Krankenhausreform – Personalbedarf, Nachwuchsförderung und Bürokratieabbau . . . . . . . . . . 16 ÄPS-BÄK – Ärztlichen Personalbedarf im Krankenhaus ermitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Akut- und Notfallversorgung – Kommt jetzt endlich die Notfallreform? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Notärztliche Versorgung – Bundesärztekammer aktualisiert Notarztindikationskatalog . . . . . . . 21 Ambulante Versorgung – Medizinische Versorgungszentren stärker regulieren . . . . . . . . . . . . . . 22 Gebührenordnung für Ärzte – BÄK fordert weiter mit Nachdruck eine neue GOÄ . . . . . . . . . . . . 24 Medizinische Fachangestellte – BÄK engagiert sich für ein attraktives Berufsbild . . . . . . . . . . . . 26 Ärztliche Weiterbildung – Weiterentwicklung der (Muster-)Weiterbildungsordnung 2018 . . . . . . 27 Ärztliche Fortbildung – BÄK-Curricula: Goldstandard für qualifizierende Fortbildung . . . . . . . . . 28 Qualitätssicherung – Curriculum „Ärztliche Führung“ neu aufgelegt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Suchtpolitik – Bundesärztekammer fordert Stopp der Cannabis-Legalisierung . . . . . . . . . . . . . . 30 Klimawandel – Hitzeaktionstag bringt ersten Hitzeschutzplan für Deutschland . . . . . . . . . . . . . 31 Digitalisierung der Gesundheitsversorgung – „Gemeinsam digital“: BMG legt Strategiepapier vor . . 32 Digitale Identitäten für Ärztinnen und Ärzte – Kammern bei der Etablierung des Herausgabeprozesses unterstützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 BÄK im Dialog – „Von ärztlicher Kunst mit Künstlicher Intelligenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Arbeitsmedizin – Potenzial von Telemedizin im betriebsärztlichen Alltag nutzen . . . . . . . . . . . . 36 Ärztliche Psychotherapie – PPP-Richtlinie für eine bessere psychotherapeutische Versorgung . . 37 Menschen mit Behinderung – Healthy Athletes®-Programm: Gesundheitskompetenz stärken . . 38 Medizinische Rehabilitation – Gesellschaftliche Teilhabe bis ins hohe Alter erhalten . . . . . . . . . 40

5 Patientensicherheit – Positionspapier zeigt vielfältige Aktivitäten der Ärzteschaft auf . . . . . . . . . 42 Arbeitsgemeinschaft QS ReproMed – 10 Jahre Qualitätssicherung in der Reproduktionsmedizin . . . 43 Stand der Wissenschaft – BÄK legt Novelle der Hämotherapie-Richtlinie vor . . . . . . . . . . . . . . . 44 Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie – Qualität der psychotherapeutischen Versorgung sicherstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Medizin und Ethik – Ethische Grundsätze für die Forschung und den ärztlichen Alltag . . . . . . . 46 Menschenrechte in der Medizin – Versorgung von Menschen mit spezifischem Bedarf . . . . . . . 47 Herbert-Lewin-Preis 2023 – „Die Vergangenheit ist unsere Verpflichtung für die Zukunft“ . . . . . 48 Europäische Union – Europa vor der Wahl 2024: Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Europäischer Gesundheitsdatenraum – Ärztinnen und Ärzte diskutieren Datennutzung und Patientenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 ZEVA-Symposium 2023 – BÄK unterstützt Aufbau ärztlicher Selbstverwaltung in der Ukraine . . 52 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft – Reserve für versorgungsrelevante Arzneimittel einrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Transplantationsmedizin – Richtlinienarbeit und Prüfungen im gesetzlichen Auftrag . . . . . . . . . 54 Qualität in der Medizin – Hypertonie – eine neue Nationale VersorgungsLeitlinie . . . . . . . . . . . 56 Arztzahlentwicklung Ärztestatistik 2023 – Sorgenvoller Ausblick: Keine Entwarnung, trotz leichter Erholung . . . . . . . 57 Organisation der Bundesärztekammer Vorstand der Bundesärztekammer .................................................. 59 Organigramm der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Deutscher Ärztetag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Adressen der (Landes-)Ärztekammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

als der Deutsche Ärztetag vor knapp einem Jahr in Essen zusammenkam, war die gesundheitspolitische Halbzeitbilanz der Regierungskoalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP überschaubar. Dafür mangelte es nicht an Ankündigungen für weitreichende Gesetzesvorhaben. Umgesetzt wurde wenig. Bis heute stehen fast 20 Gesetzesinitiativen in der Arbeitsplanung des Bundesgesundheitsministeriums (Stand: April 2024) – darunter sehr komplexe Vorhaben wie die Novelle des Patientenrechtegesetzes, die Reform der GKV-Finanzierung, ein Gesetz zur Entbürokratisierung, die Reform der Notfallversorgung und ein Vorbeugemedizingesetz. Für die beiden zentralen gesundheitspolitischen Vorhaben der Regierungskoalition – das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) und das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) – liegen mittlerweile Referentenentwürfe vor. Ohne hier ins Detail gehen zu wollen: Beim KHVVG darf bezweifelt werden, dass die Vielzahl der Regelungen ausreichend durchdacht und auf ihre Wechsel- und Folgewirkungen hin überprüft worden sind. Hier wird im parlamentarischen Verfahren – auch unter Einbezug der Länder und der Akteure aus dem Gesundheitswesen – noch viel nachzuarbeiten sein. Mit dem GVSG sollen nun endlich die Entbudgetierung und ergänzende Pauschalen für die hausärztliche Versorgung kommen. Das sind Schritte in die richtige Richtung, denen entsprechende auch für die fachärztliche Versorgung folgen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Beispiele zeigen, dass viele der Themen, mit denen sich die Bundesärztekammer im vergangenen Jahr beschäftigt hat, nach wie vor aktuell sind. Der vorliegende Tätigkeitsbericht verdeutlicht, dass sich die BÄK intensiv mit allen für die Ärzteschaft relevanten gesundheitspolitischen Initiativen befasst und sich mit ihrer Expertise aus dem Versorgungsalltag eingebracht hat. Dabei ist für uns unerlässlich, dass sich die Ausgestaltung der bereits eingeleiteten und geplanten Reformen gleichermaßen an dem Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten ausrichtet wie auch an den Erfordernissen derjenigen, die in unserem Gesundheitswesen tätig sind. Dass dies viel zu selten der Fall ist, zeigten in den vergangenen Monaten die vielen Proteste von Ärztinnen und Ärzten in den Kliniken, von unseren niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, von Medizinischen Fachangestellten und vielen weiteren Gesundheitsfachberufen. Ihre Forderungen sollten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein: Wertschätzung und attraktive Arbeitsbedingungen, Zeit für Zuwendung statt Medizin im Fünf-Minuten-Takt, Vorwort Liebe Kolleginnen und Kollegen, 6

Patientenorientierung statt Profitstreben, enge Vernetzung statt Sektorendenken und endlich echte Entlastung von unnötiger Bürokratie. Diese Punkte sind keine unrealistischen Wunschvorstellungen. Sie sind für ein funktionierendes und belastbares Gesundheitssystem elementar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine moderne und zukunftsorientierte Gesundheitspolitik muss die Menschen zum Maßstab ihres Handelns machen. Das ist der Leitgedanke, unter dem wir auf dem kommenden 128. Deutschen Ärztetag, der vom 7. bis 10. Mai 2024 in Mainz stattfindet, die aktuellen Reformgesetze beraten werden. Gleiches gilt für das Schwerpunktthema des diesjährigen Ärztetages. Angesichts des demografischen Wandels – mit erwartbar höherem, komplexen Versorgungsbedarf – und des schon jetzt dramatischen Fachkräftemangels werden wir mit hochkarätigen Referentinnen und Referenten aus Politik, Wissenschaft und Selbstverwaltung diskutieren, wie durch Struktur- und Prozessreformen sowie innovative sektorenübergreifende Versorgungsmodelle eine patientengerechtere und effektive Koordination und Steuerung der Versorgung erreicht werden kann. Auch hierbei werden wir gleichermaßen die Erfordernisse der Beschäftigten sowie die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in den Blick nehmen. Der vorliegende Tätigkeitsbericht gibt anhand ausgewählter Arbeitsschwerpunkte einen Überblick zu den vielfältigen Aktivitäten der Bundesärztekammer im vergangenen Jahr und nimmt dabei immer wieder Bezug zu den Entwicklungen des laufenden Jahres. Die einzelnen Berichte sind zudem mit Verlinkungen auf weiterführende Informationen versehen. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und verbleibe mit einem herzlichen Gruß Dr. med. (I) Klaus Reinhardt Präsident der Bundesärztekammer © Die Hoffotografen GmbH © Bernadette Grimmenstein Photography 7

8 Kammerjahr 2023 Gemeinwohl im Blick Über Grundprinzipien und politische Bedeutung ärztlicher Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung in unserem Gesundheitssystem lassen sich ganze Bände füllen. Man kann die gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser beiden Wesensmerkmale des deutschen Gesundheitssystems aber auch in wenigen Sätzen zusammenfassen: „Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung sind im ärztlichen Bereich eine wertvolle gesellschaftliche Ressource, die wir brauchen, wenn wir ein leistungsfähiges Gesundheitswesen und damit eine humane Gesellschaft organisieren wollen. Ärztliche Selbstverwaltung und Freiberuflichkeit sind siamesische Zwillinge, das eine kann ohne das andere nicht überleben.“ Das sagte Peter Müller, damaliger Richter des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und ehemaliger Ministerpräsident des Saarlandes, in seinem vielbeachteten Grundsatzreferat zur ärztlichen Freiberuflichkeit auf dem 127. Deutschen Ärztetag im Mai 2023 in Essen. Die Abgeordneten des Ärztetages hatten sich unter dem Titel „Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“ in einem eigenen Schwerpunktthema mit dem Verständnis des ärztlichen Berufs als Profession und den aktuellen Herausforderungen, mit denen die ärztliche Profession konfrontiert ist, befasst. Ärztliche Selbstverwaltung unbedingt notwendig Müller leitete in seinem Vortrag aus dem Subsidiaritätsprinzip, der ärztlichen Freiberuflichkeit und dem Allgemeinwohlprinzip die unbedingte Notwendigkeit einer ärztlichen Selbstverwaltung ab. Denn nur mit einer starken Selbstverwaltung könnten diese drei Prinzipien garantiert und zum Wohle der Patientinnen und Patienten umgesetzt werden. Das medizinische Fachwissen sowie das berufliche Selbstverständnis in Verbindung mit der Verankerung in der Arzt-Patient-Beziehung könne in Qualität und Effizienz von keiner sonstigen staatlichen Verwaltung erreicht werden. „Wir brauchen mehr Selbstverwaltung und Selbstverantwortlichkeit. Dies führt am Ende zu mehr Menschlichkeit“, resümierte Müller unter dem Applaus der Abgeordneten. Die Bundesärztekammer bringt sich in vielfältiger Weise – teils im gesetzlichen Auftrag, zumeist aber eigeninitiativ aus Verantwortung für das Gemeinwohl – in die Fortentwicklung unseres Gesundheitswesens ein. Der Tätigkeitsbericht 2023 der BÄK vermittelt anhand zahlreicher Beispiele einen Eindruck ihres breiten Tätigkeitsspektrums. Beispielhaft zu nennen sind die Aufgaben der Bundesärztekammer im gesetzlichen Auftrag unter anderem im Bereich der Transplantationsmedizin, der Transfusionsmedizin oder im Betäubungsmittelrecht. Zudem erstellt die BÄK in zahlreichen weiteren Gebieten Richtlinien und Empfehlungen sowie viele weitere Expertisen zu unterschiedlichen medizinischen und medizinisch-ethischen Themen. Hinzu kommt ihre umfangreiche politische Arbeit im Kontext aktueller gesundheitspolitischer Gesetzgebungsmaßnahmen. Um die Bedeutung der Arbeit der Bundesärztekammer, aber auch vieler weiterer Vertreterinnen und Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft für das © Christian Glawe-Griebel/Helliwood © Christian Glawe-Griebel/Helliwood

9 Gesundheitswesen sollte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wissen. Dass er in seinen ersten beiden Amtsjahren dennoch die Expertise bei vielen Akteuren aus dem Gesundheitswesen bei der Ausarbeitung wichtiger Strukturreformen außer Acht ließ, sie mehrfach sogar als Lobbyistenorganisationen diskreditierte, sorgte für Unverständnis und Empörung. Ärztliche Perspektive in die Politik einbringen Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt brachte es in seiner Eröffnungsrede auf dem Deutschen Ärztetag in Essen auf den Punkt, als er den anwesenden Bundesgesundheitsminister darauf hinwies, dass in den Gremien der Selbstverwaltung viele engagierte Kolleginnen und Kollegen mit ihrem Erfahrungswissen aus der Versorgung Konzepte und Vorschläge für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens entwickeln. „Ich halte es für einen schweren politischen Fehler, dass Sie dieses Engagement Ihrer eigenen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen als Lobbyismus diskreditieren, statt dieses wertvolle Erfahrungswissen für Ihre Arbeit zu nutzen“, so Reinhardt. Der BÄK-Präsident spielte damit auf Interviewäußerungen des Ministers an. Dieser hatte bei der Vorbereitung der Krankenhausreform – einem zentralen gesundheitspolitischen Vorhaben der Koalition in dieser Legislaturperiode – ausschließlich mit einer wissenschaftlichen Kommission zusammengearbeitet, die Organisationen aus dem Gesundheitswesen mit ihrem Fachwissen aus der Versorgung aber weitgehend außen vor gelassen. Seine Begründung: „Hätte ich von Anfang an alle mitreden lassen, wäre es auf den üblichen Lobbyistenkrieg hinausgelaufen.“ Wohin das führte, ist weithin bekannt. Die im Dezember 2022 vorgelegten Empfehlungen der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ sollten die Grundlage für eine von Bund und Ländern gemeinsam ausgearbeitete Reform werden. Die Länder und zahlreiche Akteure aus dem Gesundheitswesen warnten insbesondere mit Blick auf die Krankenhausplanung vor Praxisferne und zu starren Vorgaben des Bundes. Die Bundesärztekammer forderte unter anderem Öffnungsklauseln und Ausnahmeregelungen für die Länder sowie in den Medien den Blick immer wie-der auf die eigentlichen Versorgungsaspekte im Zusammenhang mit der Reform zu richten. Besonders hob sie die Auswirkungen der Reform auf die ärztliche Weiterbildung hervor. Die BÄK verwies auch auf ihr ärztliches Personalbemessungssystem (ÄPS-BÄK), auf das im späteren Arbeitsentwurf des Reformgesetzes und auch im Referentenentwurf explizit Bezug genommen wurde. Nach intensiven Verhandlungen einigten sich Bund und Länder schließlich im Juli 2023 auf gemeinsame Eckpunkte für die Reform, die sich in Grundzügen stark an der in Nordrhein-Westfalen bereits erfolgreich eingeleiteten Krankenhausreform orientierten. Ärztliche Weiterbildung im Blick behalten Die Bundesärztekammer begrüßte die Eckpunkte im Grundsatz. Seit Beginn der Diskussion zur Krankenhausreform wird vonseiten der Ärzteschaft jedoch angemahnt, die ärztliche Weiterbildung nicht aus den Augen zu verlieren. In den Eckpunkten war zunächst vorgesehen, die ärztliche Weiterbildung ausgerechnet bei den Kliniken der niedrigsten Versorgungsstufe (Level Ii) zentral zu verankern. Das aber hätten diese Kliniken – aus Sicht der BÄK – nicht leisten können, da der größte Teil des stationären Leistungsspektrums von ihnen gar nicht abgebildet werden soll. Nach Intervention der BÄK wurde von diesem Vorhaben später Abstand genommen. (Im aktuellen Referentenentwurf, der im April 2024 öffentlich wurde, wird jedoch den sogenannten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen, früher Level-Ii-Kliniken, eine besondere Rolle für die allgemeinmedizinische Weiterbildung zugewiesen, der diese Einrichtungen nicht gerecht werden können.) © Christian Glawe-Griebel/Helliwood © Halfpoint/stock.adobe.com

10 BÄK kritisiert Krankenhaustransparenzgesetz Als Knackpunkt sollte sich zudem erweisen, dass sich das BMG im zeitlichen Kontext der Eckpunkte-Einigung entschlossen hatte, die mit der Reform geplante „Transparenzoffensive“ in ein eigenständiges Gesetz auszulagern. Die Länder befürchteten durch die in dem sogenannten Krankenhaustransparenzgesetz enthaltene Einteilung der Krankenhäuser in Level eine Zentralisierung der Krankenhausplanung durch die Hintertür. Auch die Bundesärztekammer übte scharfe Kritik an der konkreten Ausgestaltung dieses Gesetzes. „Wenn ungeprüfte Leistungsgruppeninformationen zur Grundlage von Leveleinstufungen gemacht werden sollen, ist das kein Beitrag zu verlässlicher Patienteninformation“, sagte BÄK-Präsident Reinhardt. Vor allem aber müssten die Regelungen zu dem Entwurf für die Reform von Krankenhausplanung und -finanzierung passen. Die Vize-Präsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Susanne Johna, warnte zudem vor weiterer Bürokratie: „Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag einen echten Bürokratieabbau in der Patientenversorgung versprochen. Davon ist weit und breit nichts zu sehen.“ Die im Gesetz vorgesehenen Meldepflichten der Krankenhäuser würden hingegen unnötige Doppelstrukturen und zusätzlichen Bürokratieaufwand schaffen. Im Ergebnis konnte der Bund das umstrittene Krankenhaustransparenzgesetz nur mit Mühe im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat durchsetzen. Die eigentliche Krankenhausreform kam dabei ins Stocken. Das BMG erarbeitete daraufhin im Alleingang einen Referentenentwurf für ein Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), der erst Mitte April 2024 offiziell vorgelegt werden konnte. Die Bundesärztekammer erarbeitet derzeit eine Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf. Akteure frühzeitig einbinden Das Beispiel Krankenhausreform zeigt, wie wichtig die frühzeitige, das heißt konzeptionelle Einbindung nicht nur der Länder, sondern auch und gerade der betroffenen Berufsgruppen in gesundheitspolitische Reformprozesse ist. Geschieht dies nicht, lassen sich strukturelle Defizite von Gesetzesvorhaben in den weiteren Beratungen nur schwer korrigieren. Ungeachtet dessen hat die Bundesärztekammer auf unterschiedlichen Wegen die ärztliche Sicht auf die einzelnen Reformvorhaben der Koalition an die politischen Verantwortungsträger herangetragen und erläutert. So gab die BÄK allein im Jahr 2023 mehr als 40 schriftliche Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen, zu medizinwissenschaftlichen und ethischen Fragestellungen und zu Initiativen des Gemeinsamen Bundesausschusses ab, weitere 22 Stellungnahmen zur Arzneimittelnutzenbewertung durch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft – medial begleitet und flankiert durch persönliche Gespräche auf Politik- und Arbeitsebene. Ambulante Versorgung im Fokus Neben der Krankenhausreform war im vergangenen Jahr insbesondere die Situation in der ambulanten Versorgung ein viel diskutiertes politisches Thema. Über viele Monate protestierten bundesweit immer wieder niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen die aktuelle Gesundheitspolitik und forderten adäquate Arbeitsbedingungen ein. „Arztpraxen hätten in den vergangenen Jahren weder einen Inflationsausgleich noch Zuschläge für die Vergütung ihrer Medizinischen Fachangestellten und steigende Energiekosten erhalten“, sagte die Vize-Präsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Ellen Lundershausen, am Rande einer Protestveranstaltung im ZDF-Mittagsmagazin (18.08.2023). Lundershausen wies insbesondere auf den Fachkräftemangel in den Arztpraxen hin. Medizinische Fachangestellte (MFA) würden mit der Aussicht auf höhere Gehälter von anderen Einrichtungen im Gesundheitswesen abgeworben, weil die finanziellen Möglichkeiten der © picture alliance/imageBROKER Sylvio Dittrich © Maybaum

11 Praxen in einem budgetierten System begrenzt seien. Notwendig sei deshalb neben einer echten Entbudgetierung für alle Facharztgruppen die Refinanzierung von Tariflohnsteigerungen für MFA durch die Krankenkassen. Immerhin: Im März 2023 hatte der Bundestag die Entbudgetierung der vertragsärztlichen Kinder- und Jugendmedizin beschlossen. Knapp ein Jahr später verkündete der Bundesgesundheitsminister nach einem Krisengipfel zur ambulanten Versorgung im Beisein von BÄK-Präsident Reinhardt das Ende der Budgets in der hausärztlichen Versorgung sowie die Schaffung ergänzender hausärztlicher Vergütungskomponenten. Diese Vorhaben finden sich in einem Referentenentwurf für das sogenannte Gesundheitsversorgungsverbesserungsgesetz (GVSG). Für die Bundesärztekammer sind das wichtige Schritte in die richtige Richtung, denen nun aber entsprechende Regelungen auch für den fachärztlichen Bereich folgen müssen. Einfluss von Finanzinvestoren begrenzen Nicht zuletzt auf Betreiben der Bundesärztekammer ist im vergangenen Jahr die Rolle von Finanzinvestoren wie Private Equity Gesellschaften im Gesundheitswesen in den Fokus von Politik und Medien gerückt. Die BÄK-Arbeitsgruppe „Kommerzialisierung Medizinischer Versorgungszentren/Krankenhäuser“ ein vielbeachtetes Positionspapier vorgestellt, in dem sie konkrete Formulierungsvorschläge für gesetzliche Regelungen zur Begrenzung der Übernahme von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) durch fachfremde Finanzinvestoren und zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen und umfassenden ambulanten Versorgung unterbreitete. Das Positionspapier wurde Bund und Ländern zugesandt und im Januar 2023 im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt. Die öffentliche Resonanz auf das Papier war groß. Die Ärzteschaft befürchte, dass die ärztliche Unabhängigkeit und die Patientenversorgung durch die Zunahme von Finanzinvestoren im Gesundheitswesen in Gefahr gerate. Viel Zustimmung kam auch aus dem politischen Raum. Im Juni 2023 hat der Bundesrat die Bundesregierung in einer Entschließung aufgefordert, investorengetragene MVZ stärker zu regulieren. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat eine bundesgesetzliche Regelung in den kommenden Monaten angekündigt. Das Beispiel MVZ zeigt, dass die Initiative zur öffentlichen Diskussion gesundheitspolitischer Themen nicht immer von der Politik ausgehen muss. Anstöße zur Meinungsbildung geben auch die Organisationen des Gesundheitswesens selbst. Neben Statements und Kommentaren in Presse, Rundfunk und Fernsehen brachte die Bundesärztekammer in Pressekonferenzen und Pressegesprächen eine Vielzahl von Themen gezielt in die Öffentlichkeit oder leistete eigene Beiträge zu bereits laufenden Debatten. Das zeigte auch die Veranstaltungsreihe „BÄK im Dialog“, auf der sich im Oktober 2023 namhafte Expertinnen und Experten über Einsatzmöglichkeiten und Entwicklungspotentiale von Künstlicher Intelligenz und damit verbundenen ethischen Fragestellungen ausgetauscht haben. Wichtige Impulse gingen von der Bundesärztekammer in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen auch zu Themen des gesundheitsbezogenen Umweltschutzes aus, unter anderem zur Überarbeitung der REACH (EUChemikalien-)Verordnung, zur Aktualisierung der EU-Luftqualitäts-Grenzwerte und zu weiteren Maßnahmen des bevölkerungsbezogenen Gesundheitsschutzes im Zuge des Bundes-Klimaanpassungsgesetzes. Auf besonders große Resonanz stieß in Politik und Medien der von der Bundesärztekammer, den (Landes-)Ärztekammern und der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) initiierte und mit weiteren Partnern organisierte Hitzeaktionstag am 14. Juni 2023. Vor der Bundespressekonferenz in Berlin erläuterten die Initiatoren die Bedeutung von Hitzeschutzmaßnahmen für die menschliche Gesundheit © picture alliance/Flashpic Jens Krick © BÄK

12 einfließen, wenn dem ersten Cannabis-Gesetz wie angekündigt eine zweite gesetzliche Regelung zur Umsetzung regionaler Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten folgen sollte. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass das Vorhaben unter anderen politischen Vorzeichen noch einmal grundsätzlich auf den parlamentarischen Prüfstand kommt. Dem Vernehmen nach erwägt der Freistaat Bayern bereits eine Klage gegen das Gesetz. Suizidprävention vor Suizidassistenz Auch bei einem anderen gesellschaftlich hochrelevanten Thema hat die Bundesärztekammer im Jahr 2023 die ärztliche Perspektive entschieden in die Debatte eingebracht. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2020 das bis dahin geltende strafrechtliche Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ aufgehoben. Die Richter hatten entschieden, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben die Freiheit umfasst, hierfür die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Das Gericht betonte zugleich, dass der Gesetzgeber – gegebenenfalls auch mit den Mitteln des Strafrechts – Selbsttötungen entgegenwirken darf, die nicht von freier Selbstbestimmung und Eigenverantwortung getragen sind. schaften, Suchtmedizinern, Pädiatern und vielen weiteren Expertinnen und Experten zu gesundheitlichen Auswirkungen der Freigabe beraten und gemeinsame Positionen abgestimmt. Auf diese Weise gelang es, den Blick der Öffentlichkeit auf die Gefahren einer Cannabis-Legalisierung für die psychische Gesundheit und für die Entwicklungschancen insbesondere von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu lenken. Gerade für diese Altersgruppe sei Cannabis nachgewiesen ein ernsthaftes Problem und schädlich, sagte BÄK-Präsident Reinhardt im Interview der Woche im Deutschlandradio (26.05.2023). Es sei „nicht die Aufgabe eines Gesundheitsministers, eine weitere Droge nach Alkohol und Rauchen zu legalisieren“, betonte er in der Rheinischen Post (16.05.2023). Ende des Jahres 2023 hatte die BÄK noch einmal in einem breiten Bündnis aus medizinisch-wissenschaftlichen Verbänden, der Apothekerschaft sowie Vertretern aus Strafverfolgung und Lehrerschaft an alle Bundestagsabgeordneten appelliert, gegen das Gesetz zu votieren. Am Ende setzen sich zwar die Cannabis-Befürworter im Parlament durch. Umsonst waren die Interventionen der BÄK und ihrer Partner dennoch nicht. Ihre Argumente werden mit in die Überlegungen des Parlaments und adressierten konkrete Forderungen an die Politik. Bundesgesundheitsminister Lauterbach, der als Gast ebenfalls an der Pressekonferenz teilnahm, erklärte noch vor Ort, gemeinsam mit BÄK, KLUG und weiteren Expertinnen und Experten einen nationalen Hitzeschutzplan ausarbeiten zu wollen. Veröffentlicht wurde die erste Fassung des Hitzeschutzplans bereits kurz darauf im Juli 2023. Im November legte das BMG dann eine Roadmap zur weiteren Umsetzung, Verstetigung und Weiterentwicklung des Hitzeschutzplans vor. Austausch und Abstimmung mit anderen Akteuren Diese Initiativen stehen auch für die enge Vernetzung der Bundesärztekammer mit anderen Organisationen aus dem Gesundheitswesen sowie weiteren Akteuren der organisierten Zivilgesellschaft. Vernetzung ermöglicht den fachlichen Austausch über komplexe Sachthemen, den Abgleich von Positionen und eine – unter bestimmten Voraussetzungen – konzertierte oder sogar gemeinsame politische und mediale Kommunikation. So hat sich die Bundesärztekammer auch im Zuge der von der Regierungskoalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP angestrebten Cannabis-Gesetzgebung eng mit wissenschaftlich-medizinischen Fachgesell- © BÄK © José Antonio Luque Olmedo/iStock © panitan/stock.adobe.com

13 Dem Urteil wollten im Jahr 2022 ursprünglich drei fraktionsübergreifend erarbeitete Gesetzentwürfe zur Regelung der Suizidassistenz in unterschiedlicher Weise Rechnung tragen. Die Gruppen um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) führten ihre Gesetzesentwürfe schließlich im Juni 2023 zu einem neuen interfraktionellen Entwurf zusammen. Der Entwurf der Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) wurde überarbeitet. Keiner dieser beiden Gesetzesentwürfe fand jedoch bei der Abstimmung im Deutschen Bundestag Anfang Juli 2023 eine Mehrheit. Zuvor hatte die Bundesärztekammer in einem gemeinsamen Pressegespräch mit dem Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro), der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde sowie der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin davor gewarnt, eine so weitreichende Entscheidung ohne ausführliche Debatte noch vor der Sommerpause durch das Parlament zu bringen. Eine gründliche Befassung im Parlament sowie ein gesellschaftlicher Diskurs über die jeweiligen Entwürfe sei im hektischen Parlamentsbetrieb der dicht gedrängten Sitzungswochen vor der Sommerpause nicht möglich. Vor allem aber sollte nach Auffassung der Organisationen zunächst ein umfassendes Gesetz zur Suizidprävention auf den Weg gebracht werden. Eine gesetzliche Regelung der Suizid-Assistenz dürfe erst der zweite Schritt sein. Die Organisationen bekräftigten ihre Haltung unmittelbar vor der Abstimmung in einem gemeinsamen Schreiben an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Tatsächlich hatte der Bundestag nicht nur beide Entwürfe zur Suizid-Assistenz abgelehnt, er nahm darüber hinaus mit überwältigender Mehrheit einen gemeinsamen Antrag der beiden oben genannten Parlamentariergruppen zur Stärkung der Suizidprävention an. Der Antrag sieht vor, bestehende Strukturen und Angebote der Suizidprävention finanziell zu unterstützen. Zudem sollte bis Mitte 2024 eine umfassende Strategie für einen nachhaltigen Ausbau der Suizidprävention in Deutschland entwickelt werden. Der Bundestag wird sich voraussichtlich im Jahr 2024 noch einmal ausführlich sowohl mit einer gesetzlichen Regelung der Suizidassistenz als auch mit dem angekündigten Ausbau der Suizidprävention befassen. Die Bundesärztekammer wird die Debatte weiter aus medizinisch-fachlicher Perspektive begleiten. Ausblick 2024 Ob tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode gesetzliche Regelungen sowohl zur Suizidprävention wie auch zur Suizidassistenz umgesetzt werden, wird sich zeigen. Gleiches gilt für die fast 20 gesundheitspolitischen Gesetzesinitiativen, die auf der Arbeitsplanung des Bundesgesundheitsministeriums stehen. Darunter finden sich sehr komplexe Vorhaben wie die Novelle des Patientenrechtegesetzes, die Reform der GKV-Finanzierung, ein Gesetz zur Entbürokratisierung und ein Vorbeugemedizingesetz. Die beiden zentralen gesundheitspolitischen Initiativen der Regierungskoalition – das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz und das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) – liegen, wie beschrieben, inzwischen als Referentenentwürfe vor. Aus dem GVSG wurden zuvor im Rahmen der Ressortabstimmung wesentliche Elemente wie die umstrittenen Gesundheitskioske, aber auch die Förderung zusätzlicher Medizinstudienplätze herausgenommen. Vor diesem Hintergrund bietet der 128. Deutsche Ärztetag in Mainz eine gute Gelegenheit, den Reformbedarf im deutschen Gesundheitswesen zu diskutieren und sich mit eigenen Ideen und Konzepten in die politische Debatte einzubringen – ganz im Sinne von Peter Müller, der es auf dem Deutschen Ärztetag 2023 in Essen auf den Punkt brachte: Die Einbindung der Zivilgesellschaft sei nichts anderes als eine Qualitätssicherungsmaßnahme für die Gesetzgebung. ■ © Jürgen Gebhardt Der 127. Deutsche Ärztetag in Essen wählte Dr. Klaus Reinhardt erneut zum Präsidenten der Bundesärztekammer. Er steht damit für weitere vier Jahre an der Spitze der deutschen Ärzteschaft. In ihrem Amt als Vizepräsidentin bestätigt wurde auch Dr. Ellen Lundershausen. Als Nachfolgerin von Dr. Günther Matheis wurde zudem Dr. Susanne Johna in das Amt der Vizepräsidentin gewählt.

14 127. Deutscher Ärztetag Deutscher Ärztetag in Essen im Spiegel der Medien Der 127. Deutsche Ärztetag in Essen fiel in herausfordernde Zeiten. Waren die vorangegangenen drei Jahre durch die Corona-Pandemie bestimmt, beschäftigten sich Bundesregierung und Parlament im Berichtsjahr unter anderem mit dringend erforderlichen Strukturreformen im deutschen Gesundheitswesen, wie etwa der Krankenhausreform und der Notfallversorgung. Diese und weitere Themen prägten die Eröffnungsveranstaltung sowie die Plenarsitzungen des Ärzteparlaments. Mediales Interesse am 127. Deutschen Ärztetag Auch in der medialen Berichterstattung war der 127. Deutsche Ärztetag ein besonderes Ereignis: Allein die ARD-Tagesschau berichtete insgesamt achtmal, der Deutschlandfunk zwölfmal und die überregionale Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) sogar 14-mal von der alljährlichen Hauptversammlung der Ärzteschaft. Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten hatten sich für den Ärztetag akkreditiert und berichteten von den gesundheits- und berufspolitischen Debatten – etwa 100 von ihnen direkt vor Ort; die weiteren verfolgten die Eröffnungsveranstaltung, Plenarsitzungen und Pressekonferenzen per Livestream. Unter den Medienvertretern waren Journalistinnen und Journalisten überregionaler Printmedien wie Süddeutsche Zeitung, Die Welt und Handelsblatt. Neben dem Team der ARD berichteten andere deutschlandweite und regionale öffentlich-rechtliche Rundfunksender wie ZDF, WDR, NDR und MDR sowie Nachrichtenagenturen und (über-)regionale Radiosender vom Deutschen Ärztetag. Tageszeitungen von Tagesspiegel über Westdeutsche Allgemeine Zeitung bis hin zur Südwest Presse sowie Fachpresse begleiteten die Beratungen in Essen. Alle wichtigen Entscheidungen des Ärztetages wurden in Pressemitteilungen aufbereitet. Ergänzt wurden diese mit Videos von Vorträgen und Gesprächen der Referentinnen und Referenten sowie vertiefenden Interviews, allesamt veröffentlicht im YouTube-Kanal der BÄK. X-Nutzer (vormals Twitter) konnten den Ärztetag nahezu in Echtzeit verfolgen. Insgesamt 115 Posts informierten die knapp 22 000 Follower von @BAEK-aktuell (Stand: Mai 2023) live über die Ereignisse. Bildliche Impressionen vom Ärztetag wurden zudem über den neuen Instagram-Kanal der BÄK gepostet. Eröffnung verdeutlicht Unmut der Ärzteschaft Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Eröffnungsveranstaltung des Ärztetages in der Essener Philharmonie. „Wie jeder seiner Vorgänger hat der Minister keinen leichten Stand vor den 250 selbstbewussten Delegierten der Landesärztekammern“, erklärte die FAZ. Weitere Tageszeitungen registrierten die scharfe Kritik des Bundesärztekammer-Präsidenten an Lauterbachs aktuel- © Christian Glawe-Griebel/Helliwood © Christian Glawe-Griebel/Helliwood

15 zu erhalten. Auch der erklärte Wille der Ärzteschaft, Verantwortung zu übernehmen und sich mit medizinisch-fachlichem Sachverstand und dem Erfahrungsschatz aus dem Versorgungsalltag in die erforderlichen Reformprozesse im Gesundheitswesen einbringen zu wollen, fand seinen Widerhall in den Medien. Darüber hinaus standen unter anderem die Ärztetagsthemen „Krankenhausreform“, „Ökonomisierung im Gesundheitswesen“ sowie „Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“ im Fokus der medialen Berichterstattung. Ein weiteres Augenmerk lag auf den Beratungen des Ärztetages zu den aktuellen Arzneimittellieferengpässen. Überregionale Medien wie Deutschlandfunk und FAZ, regionale Tageszeitungen wie Ruhr Nachrichten bis hin zur Fachpresse griffen die Forderung nach einer nationalen Reserve für wichtige Arzneimittel auf. Darüber hinaus berichteten die Medien über eine Vielzahl weiterer Beschlüsse des Ärzteparlaments, wie beispielsweise zur Digitalisierung des Gesundheitswesens, zur Weiterbildungsordnung, zur Reform des Medizinstudiums sowie zur Gebührenordnung für Ärzte. ■ ler Gesundheitspolitik. Die ÄrztetagsEröffnung habe zwar in der Philharmonie stattgefunden, doch harmonisch sei es nicht gewesen, kommentierte die Westdeutsche Zeitung. Ärzteschaft will Verantwortung übernehmen „Die Geduld der Ärzteschaft mit dem Bundesgesundheitsminister ist hörbar zu Ende“, schrieb das Deutsche Ärzteblatt und bezog sich damit auf den zurückhaltenden bis ausbleibenden Applaus der Zuhörer. Das habe sich der Minister selbst zuzuschreiben. „Die mangelnde Einbeziehung derjenigen, die die Gesundheitsversorgung tragen, wie es BundesärztekammerPräsident Reinhardt „richtigerweise monierte“, könne auf Dauer nicht funktionieren. Zwar habe sich Lauterbach bemüht, seine vorherigen Aussagen zu relativieren, bei der ärztlichen Selbstverwaltung handle es sich um Lobbyismus. „Überzeugend war dies indes nicht“. „Karl Lauterbach beim Ärztetag: scharfe Kritik und ein bisschen Beifall“, fasste die Märkische Allgemeine Zeitung zusammen. Vorwiegend sachlich berichteten die Journalistinnen und Journalisten über die Forderung der Ärzteschaft, mehr Zeit und Mitsprache bei Gesetzesentwürfen © Jürgen Gebhardt 128. Deutscher Ärztetag Der 128. Deutsche Ärztetag findet vom 7. bis 10. Mai 2024 in Mainz statt. Ergänzend zu den aktuellen gesundheits- und berufspolitischen Themen werden sich die Abgeordneten unter anderem mit dem Schwerpunktthema „Gesundheitsversorgung der Zukunft – mehr Koordination der Versorgung und bessere Orientierung für Patientinnen und Patienten“ befassen. Angesichts des demografischen Wandels mit erwartbar höheren, komplexen Versorgungsbedarfen und dem schon jetzt dramatischen Fachkräftemangel werden die Abgeordneten des Ärztetages mit hochkarätigen Referentinnen und Referenten aus Politik, Wissenschaft und Selbstverwaltung diskutieren, wie durch Struktur- und Prozessreformen sowie innovative sektorenübergreifende Versorgungsmodelle eine patientengerechtere und effektive Koordination und Steuerung der Versorgung erreicht werden kann. Diese und weitere Themen werden die Eröffnungsveranstaltung sowie die Plenarsitzungen des 128. Deutschen Ärztetages prägen. Aktuelle Informationen stehen auf der Website der BÄK zur Verfügung. © Kartoshkaboy/Pixabay

16 Das Jahr 2023 war von einer intensiven Debatte zur Ausgestaltung einer Krankenhausreform geprägt. Basierend auf den Vorschlägen der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ vom 6. Dezember 2022 und weiteren Empfehlungen aus nachfolgenden Stellungnahmen der Kommission vereinbarten Bund und Länder nach einer Vielzahl von Verhandlungen auch unter Beteiligung der Regierungsfraktionen am 10. Juni 2023 entsprechende Reform-Eckpunkte. Auf deren Grundlage wurden die ersten Arbeitsentwürfe zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) erstellt. Bereits auf dem 127. Deutschen Ärztetag in Essen wurden wesentliche Eckpunkte der Ärzteschaft zur Krankenhausreform beraten (Beschlussprotokoll, S. 422ff.). Darüber hinaus wurden die Reformpläne ausführlich im Ausschuss „Stationäre Versorgung“, im Erfahrungsaustausch „Krankenhaus“, in der Deutschen Akademie der Gebietsärzte sowie in der gemeinsamen Fachkommission DRG von Bundesärztekammer und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften diskutiert. Basierend darauf wurden seitens der BÄK die Verhandlungen von Bund und Ländern durch Hintergrundgespräche im politischen Raum, durch Schreiben an die politisch Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene, diverse Pressemitteilungen sowie im Rahmen einer Fachveranstaltung zur Krankenhausreform am 22. März 2023 und einer Veranstaltung zur Vorstellung des ärztlichen Personalbemessungssystems der Bundesärztekammer „ÄPS-BÄK“ am 12. Dezember 2023 intensiv begleitet. BÄK und LÄK in den weiteren Reformprozess einbinden Die Bundesärztekammer hatte medial und in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern des Bundes und der Länder verdeutlicht, dass eine praxistaugliche und nachhaltige Umsetzung der Reform nur dann gelingen kann, wenn die für die Krankenhausversorgung relevanten Akteure des Gesundheitswesens eng eingebunden werden. Wie wichtig dies ist, zeigte sich nicht zuletzt darin, dass in den ursprünglichen Reform-Eckpunkten ausgerechnet den Kliniken der niedrigsten Versorgungstufe – sogenannte „Level-IiKrankenhausreform Personalbedarf, Nachwuchsförderung und Bürokratieabbau © picture alliance/imageBROKER Sylvio Dittrich

17 Kliniken“ – eine zentrale Rolle bei der ärztlichen Weiterbildung zugewiesen wurden. Die Bundesärztekammer konnte gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium und den Gesundheitsministerinnen und -ministern der Länder eine entsprechende Korrektur bewirken. Zur Ermittlung des erforderlichen ärztlichen Personalbedarfs wird in den Arbeitsentwürfen im Begründungsteil Bezug auf das Personalbemessungssystem der BÄK (ÄPS-BÄK) genommen. Das ist im Grundsatz positiv, die BÄK setzt sich jedoch weiter dafür ein, dass ÄPS-BÄK als Maßstab für den ärztlichen Personalbedarf verbindlich in der Reformgesetzgebung verankert wird. Die BÄK begrüßt, dass sie nach den bisher vorliegenden Referentenentwürfen der Reform in die kontinuierliche Weiterentwicklung der Leistungsgruppen und Qualitätskriterien gesetzlich eingebunden werden soll. Dennoch bleiben viele Fragen offen. Vor diesem Hintergrund haben der Ausschuss „Stationäre Versorgung“ der Bundesärztekammer und der Erfahrungsaustausch „Krankenhaus“ für die entscheidende Phase der Reform zu Beginn des Jahres 2024 Kernforderungen zur Krankenhausreform beraten. Auf deren Basis wurde anschließend eine erläuternde Kurzfassung mit Forderungen der Bundesärztekammer erstellt. Auf dieser Grundlage wird sich die Bundesärztekammer auch im Jahr 2024 für eine praxistaugliche und patientengerechte Krankenhausreform einsetzen. ■ © santypan/stock.adobe.com Forderungen der BÄK ● Berücksichtigung der ärztlichen Weiter bildung sowie die verbindliche Verankerung von ÄPS-BÄK ● Dringend notwendiger Bürokratieabbau ● Transparente Folgenabschätzung für die Patientenversorgung sowie für strukturelle und finanzielle Veränderungen ● Berücksichtigung der Belange der verschiedenen Sektoren bei der Krankenhausplanung ● Finanzierung der Transformation hin zu besseren, sektorenverbindenden Strukturen

18 ÄPS-BÄK Ärztlichen Personalbedarf im Krankenhaus ermitteln Die Bundesärztekammer hat in einem mehrjährigen, aufwendigen Prozess unter Beteiligung zahlreicher Fachvertreterinnen und -vertreter das Personalbedarfsbemessungssystem „ÄPSBÄK“ entwickelt, mit dem eine abteilungsspezifische, patienten- und aufgabengerechte ärztliche Personalausstattung ermittelt werden kann. Die BÄK spricht sich dafür aus, das System als Maßstab für die ärztliche Personalausstattung im Rahmen der Krankenhausreform zu verankern. In der Debatte um die Personalausstattung in Kliniken lag der Fokus lange Zeit vor allem auf dem Bereich der Pflege. Die zentrale Bedeutung der ärztlichen Personalausstattung für die Qualität der Patientenversorgung wird hingegen nach wie vor zu wenig berücksichtigt. Auch eine verpflichtende Darstellung der Personalausstattung mittels Ausweisung absoluter Zahlen von Ärztinnen und Ärzten in einem Verzeichnis, wie es im Krankenhaustransparenzgesetz vorgesehen ist, kann ohne verlässlichen Vergleichsmaßstab keine Aussagen darüber treffen, ob diese Ausstattung gering, ausreichend oder adäquat ist. Mit Blick auf die eigentliche Reform ist ein verbindliches Personalbemessungssystem für den ärztlichen Bereich jedoch die Voraussetzung, um eine angemessene Personalausstattung zu sichern, qualifizierte Auswahlentscheidungen im Rahmen der Krankenhausplanung treffen und auch eine erforderliche Personalvorhaltung im Rahmen der geplanten Vorhaltevergütung refinanzieren zu können. Im Begründungsteil des Referentenentwurfs des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes vom März 2024 wird ÄPS-BÄK als Maßstab für Auswahlentscheidungen in der Krankenhausplanung zwar erwähnt. Die BÄK befindet sich aber weiterhin in kontinuierlichen Gesprächen auf politischer Landes- und Bundesebene, um eine Verankerung von ÄPS-BÄK als verbindlichen Maßstab im Gesetzestext zu erreichen. Unabhängig davon bleibt ÄPS-BÄK ein „von Ärzten für Ärzte“ entwickeltes System, mit dem für die einzelnen Klinikabteilungen der tatsächliche Personalbedarf ermittelt werden kann. Dabei berücksichtigt ÄPS-BÄK die Erfordernisse der unmittelbaren Patientenversorgung ebenso wie die zahlreichen weiteren Aufgaben, die Krankenhausärztinnen und -ärzte zu erfüllen haben. Ziel bleibt die Anwendung in möglichst allen Fachgebieten. Dazu wird ÄPS-BÄK weiter angepasst – insbesondere um die Besonderheiten der einzelnen Fachgebiete besser zu berücksichtigen. Aus diesem Grund fanden im Berichtsjahr mit weiteren Berufs- und Fachverbänden sowie Krankenhausabteilungen Gespräche und Evaluationen statt. Die Identifikation und Definition sowie Implementierung fachspezifischer Items wurden parallel für weitere Fachrichtungen realisiert und die Anwendung weiter validiert. Die Entwicklung ist im Zeitplan; die ersten Tests verlaufen erfolgreich. Geplant ist, auf dem 128. Deutschen Ärztetag in Mainz das weiterentwickelte Personalbemessungssystem in einer browserbasierten Anwendung für einen relevanten Anteil von Fachabteilungen zu präsentieren. ■ © gpointstudio/stock.adobe.com Info Mehr Informationen zu ÄPS-BÄK stehen auf der Website der BÄK zur Verfügung

19 Akut- und Notfallversorgung Kommt jetzt endlich die Notfallreform? Die Organisation der Akut- und Notfallversorgung ist gekennzeichnet durch eine strukturelle Sonderstellung zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung. Die Leistungen des Rettungsdienstes sind im Sozialgesetzbuch V (SGB V) bisher im Wesentlichen durch „Transportleistungen“ definiert und geregelt. Die drei Bereiche unterliegen unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen sowie Planungs- und Finanzierungssystematiken und werden von unterschiedlichen Akteuren verantwortet. Die einzelnen Strukturen der Akut- und Notfallversorgung kämpfen seit Jahren mit einer zunehmenden Inanspruchnahme und unzureichenden Finanzierung. Zudem ist auch in diesem Bereich der Personalmangel über alle Berufsgruppen und Qualifikationslevel hinweg teilweise dramatisch. Die Bundesärztekammer engagiert sich deshalb seit Jahren für die dringend notwendige Reform der Notfallversorgung und hat dazu mehrfach Stellung bezogen und Konzepte vorgelegt. Nachdem im Jahr 2020 der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung vordergründig an der Corona-Pandemie, aber auch an fehlender Akzeptanz gescheitert war, hat die Thematik in der laufenden Legislaturperiode erneut Fahrt aufgenommen. Im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP werden die im Jahr 2018 vom Sachverständigenrat geprägten Konzepte zu einer gemeinsamen Leitstelle, einem integrierten Versorgungszentrum sowie einer Ersteinschätzung erneut aufgegriffen und angekündigt, den Rettungsdienst ins SGB V zu integrieren. Die Bundesärztekammer hat vor diesem Hintergrund Ende 2022 eine Arbeitsgruppe (AG) „Akut- und Notfallmedizin“ eingerichtet, die den gesundheitspolitischen Prozess begleitet und konzeptionelle Vorschläge erarbeitet. Im Februar und im September 2023 hat die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung Stellungnahmen mit Empfehlungen für eine Not- © picture alliance/dpa/Christian Charisius Info Die BÄK befasst sich intensiv mit Reformkonzepten für die Notfallversorgung und hat dazu verschiedene Positionspapiere veröffentlicht.

20 fallreform vorgelegt. Die AG hat zu beiden Stellungnahmen Positionierungen der Bundesärztekammer erarbeitet, diese veröffentlicht und im gesundheitspolitischen Raum verbreitet. Anschließend fanden zahlreiche Gespräche mit Verbänden sowie Politikerinnen und Politikern statt, in denen die Positionen dargelegt und diskutiert wurden. Zudem veranstaltete die AG Werkstattgespräche, in denen die Mitglieder sich zu ausgewählten Schwerpunkten der Notfallversorgung mit Expertinnen und Experten austauschen konnten, so zum Beispiel zum Rettungsdienst, zur Digitalisierung und zu Qualifikationen und Qualitätsanforderungen in der Notfallversorgung. Auch Prof. Dr. Rajan Somasundaram, Mitglied der Regierungskommission, war zweimal zu Gast in der AG. Basierend auf den Empfehlungen der Regierungskommission hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 16. Januar 2024 Eckpunkte für eine Notfallreform vorgelegt, die die BÄK umgehend kommentiert hat. Auch in die Anhörung des Ausschusses für Gesundheit des Bundestages zu drei Oppositionsanträgen zur Notfallreform hat die BÄK ihre Positionen mündlich und schriftlich eingebracht. Das Bundesgesundheitsministerium hatte zuletzt für das erste Quartal 2024 einen Gesetzesentwurf für die Notfallreform angekündigt, der bislang jedoch noch nicht vorliegt. Die Bundesärztekammer wird den Gesetzgebungsprozess weiter mit Stellungnahmen und Gesprächen begleiten. Die Ärzteschaft hat den Anspruch, die Reform der Notfallversorgung aus einer sektorenübergreifenden, ärztlichen Perspektive im Sinne der Patientinnen und Patienten mitzugestalten. Ziel muss es sein, die bedarfsgerechte Sicherung der Notfallversorgung auf einem hohen medizinischen Standard indikationsgerecht zu gewährleisten und dabei gleichzeitig Fehlallokationen in die Versorgungsstrukturen zu vermeiden. ■ © Dennis M. Swanson/stock.adobe.com Info Die BÄK hat im April 2024 ein Konzeptpapier zur Notfallreform mit den Kernforderungen der Ärzteschaft veröffentlicht.

21 Notärztliche Versorgung Bundesärztekammer aktualisiert Notarztindikationskatalog Der bedarfsgerechte Einsatz von Notärztinnen und Notärzten leistet einen wichtigen Beitrag zu einer qualitativ hochwertigen Notfallversorgung in Deutschland. Die Frage, wann notärztliche Kompetenz notwendig ist, muss in Rettungsleitstellen und Notdienstzentralen schnell und zuverlässig beantwortet werden. Hilfestellung gibt dabei der Notarztindikationskatalog (NAIK) der Bundesärztekammer, der bei Verwendung von strukturierten Notrufabfrageschemata die Grundlage für die Notarztalarmierung bildet und in das rettungsdienstliche Qualitätsmanagement integriert werden soll. Aufgrund der Bedeutung des NAIK für eine bundesweit vereinheitlichte Notarztdisposition und die Klarstellung ärztlicher Kompetenzen in der präklinischen Versorgung hat die BÄK den auf einer gut zehn Jahre alten Studienlage basierenden Katalog nun umfassend aktualisiert. Auch mit Blick auf die politische Diskussion um eine Reform der Notfallversorgung sowie die Entwicklung der Kompetenzen nichtärztlicher Fachberufe sollte bei der Aktualisierung – basierend auf dem aktuellen Wissensstand – dargestellt werden, welche Aufgaben von Notärztinnen und Notärzten wahrgenommen werden müssen, um eine sichere notfallmedizinische Patientenversorgung zu gewährleisten. Dabei beschränkt sich der NAIK bewusst auf die Indikationen für den Notarzteinsatz, ohne beispielsweise auf die Delegation von ärztlichen Maßnahmen an Notfallsanitäter oder die Möglichkeiten der telemedizinischen Zuschaltung ärztlicher Kompetenz einzugehen. Eine weitere Differenzierung des NAIK soll erfolgen, wenn Evidenzen zur Formulierung von Indikationen für eine telenotärztliche Zuschaltung vorliegen. Unter Federführung von Prof. Dr. Nobert Haas prüfte der Arbeitskreis „Aktualisierung NAIK“ des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK in methodischer Abstimmung mit dem Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), inwieweit sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Stärkung, Verwerfung oder Präzisierung jeder einzelnen vorhandenen Indikation ergeben haben. Dabei war zu beachten, dass den Indikationen des NAIK tradiertes, auch aus ethischen Gründen nicht (mehr) wissenschaftlich evaluierbares Wissen, ärztliche Handlungskompetenzen und/oder medizinisch-wissenschaftliche Evidenzen zugrunde liegen. Zudem wurde geprüft, ob Evidenzen für neue Notarztindikationen vorhanden sind. Der NAIK wurde unter Verwendung neuer, aus dem Arbeitskreis eingebrachter Studiendaten Evidenz-basiert aktualisiert und nach einer breiten, zielführenden Diskussion im Arbeitskreis und im Wissenschaftlichen Beirat konsentiert. Der vom BÄK-Vorstand beschlossene „NAIK 2023“ wurde am 1. Dezember 2023 im Deutschen Ärzteblatt bekannt gemacht, auf der Website der Bundesärztekammer veröffentlicht und von den Fachmedien positiv aufgenommen. ■ © benjaminnolte/stock.adobe.com

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