Körperliche Schäden durch Misshandlung und Vernachlässigung

Grundsätzlich können alle Formen körperlicher Verletzungen und Intoxikationen auch als Folge körperlicher Misshandlungen auftreten. Am häufigsten ist stumpfe Gewalteinwirkung durch Schläge, Tritte oder Schläge mit Gegenständen, die in Prellungen, Hämatomen, Frakturen und Verletzungen innerer Organe resultieren können, gefolgt von thermischen Verletzungen. Strangulationen, Stich-, Schnitt- und Schussverletzungen und chemische Verletzungen kommen seltener vor.

Auch Unfälle, übermäßige Sonnenexposition, Ingestions- und Ertrinkungsunfälle können als Folge von Vernachlässigung auftreten und verlangen nach angemessener Intervention, wenn ein rezidivierender Verlauf verhindert werden soll.

Bei der Misshandlung ist die Intention der Misshandlung nachrangig – ob der Schaden für das Kind von der misshandelnden Person beabsichtigt ist, spielt für die Entstehung des Schadens keine Rolle. Es ist gut untersucht, dass auch sozial weitgehend akzeptierte Körperstrafen, wie z.B. in den USA, mit einem erheblichen Entwicklungsrisiko für die betroffenen Kinder einhergehen.


Wegweisend für den Verdacht auf eine misshandlungsbedingte Verletzung ist die Anamnese. Hier sind vor allem folgende Aspekte relevant:

  • Anamnese ist unklar / unvollständig / unplausibel
  • Anamnese kann Verletzungsmuster bzw. zeitliche Entstehung nicht erklären oder passt nicht zum Entwicklungsstand des Kindes
  • Anamnese wechselt oder wird von unterschiedlichen Personen unterschiedlich berichtet
  • es gibt eine unplausible Latenz zwischen Symptombeginn / berichtetem Unfall und ärztlicher Vorstellung
  • relevante Befunde werden als „Zufallsbefund“ erhoben.

Dabei ist zu beachten, dass auch subtile oder medizinisch unkomplizierte Verletzungen Hinweis auf eine akute Lebensgefahr des Kindes geben können. Dies betrifft z.B. Hinweise auf Z. n. Strangulation oder Hinweise auf intrakranielle oder intraabdominelle Verletzungen bei Kleinkindern und Säuglingen.


Anzeichen für eine akute erhebliche Gefahr für das betroffene Kind können zudem sein:

  • schwere Verletzungen wie Frakturen oder thermische Verletzungen
  • Hinweise auf erhebliche Gewalt / Aggression wie
    • Schläge mit Gegenständen,
    • Bisswunden,
    • misshandlungsbedingte Schädel-Hirn-Traumata (insb. bei Säuglingen),
    • Strangulation.

Hier ist unmittelbare Klärung, ggf. auch unter Einschaltung des Jugendamtes, im Notfall auch der Polizei erforderlich.

Beratung in Zweifelsfällen

Eine Beratung in Zweifelsfällen bietet z.B. die bundesweit erreichbare medizinische Kinderschutzhotline für medizinisches Fachpersonal unter 0800 1921000.

Die Aufgabe primärversorgender Ärztinnen und Ärzte ist hierbei keinesfalls die Ausermittlung oder gar der Beweis eine Misshandlung, sondern die Erkennung möglicher Gefahren und Einleitung weiterführender Maßnahmen zur Abklärung und Intervention (siehe unter „Netzwerke“).

Eine Sonderform der körperlichen Schädigung durch Misshandlung, die für die beteiligten medizinischen Teams eine besondere Herausforderung darstellt, ist das sog. Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, im englischen Sprachraum inzwischen passender als „medical child abuse“ bezeichnet.

Durch die Übertreibung oder Erfindung von Symptomen durch die Sorgerechtigten, durch Unterschlagung oder Fälschung von Vorbefunden oder Symptominduktion durch aktive Schädigung des Kindes werden nicht indizierte diagnostische und kurative medizinische Eingriffe erzwungen, die wiederum zur Schädigung des Kindes führen können.

Dies kann sowohl eine langjährige Einschränkung der Teilhabe durch artifizielle „Behinderung“ des Kindes bis zum Tod des betroffenen Kindes führen.