08.11.2011
Hintergrund
Die Bundesärztekammer wurde mit Schreiben vom 10.10.2011 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Stellungnahme gemäß § 91 Abs. 5 SGB V bezüglich einer Änderung der Mutterschafts-Richtlinie (Mu-RL) aufgefordert. Ziel der Änderung ist die Einführung eines Screenings auf Gestationsdiabetes. Die Beratungen zu diesem Thema waren im G-BA im Jahr 2002 aufgenommen worden. Die lange Bearbeitungszeit resultiert insbesondere auf der gewünschten Einbeziehung aktueller Studien in die Entscheidung des G-BA.
Der Beschlussvorschlag des G-BA sieht die Einführung einer zweistufigen Screeningstrategie vor und stützt sich dabei im wesentlichen auf eine hierzu in Auftrag gegebene Nutzenbewertung durch das IQWiG. Im Zeitraum zwischen 24 +0 und 27 +6 Schwangerschaftswoche soll jeder Schwangeren ein Screening auf Schwangerschaftsdiabetes in Form eines Glukosetoleranztestes (Vortest) angeboten werden, wobei die ärztliche Aufklärung durch ein themenspezifisches Merkblatt unterstützt werden soll. Im Falle erhöhter Blutzuckerwerte soll ein weiterer, umfänglicherer Glukosebelastungstest folgen.
Laut Abschlussbericht des IQWiG ergeben sich aus den ausgewerteten Studien Hinweise auf den Nutzen einer Therapie eines Gestationsdiabetes hinsichtlich einer Reduktion perinataler Komplikationen (für die perinatale Komplikationen einer Schulterdystokie gilt der Nutzen als mittlerweile belegt). Bei diesen Studien handelt es sich um Therapiestudien mit Schwangeren mit bestehendem Gestationsdiabetes; Studien mit einem direkten Vergleich der Durchführung versus Nichtdurchführung eines Screenings auf Gestationsdiabetes waren nicht verfügbar.
Die Bundesärztekammer nimmt zur Richtlinienänderung wie folgt Stellung:
Die Bundesärztekammer unterstützt die vorgesehene Einführung eines Screenings auf Gestationsdiabetes. Da allerdings ein direkter Beleg zu Nutzen und Schaden nicht erbracht werden konnte und lediglich indirekte Hinweise auf eine Reduktion perinataler Komplikationen vorliegen, empfiehlt die Bundesärztekammer gleichzeitig, die Anregungen des IQWiG bezüglich einer wissenschaftlichen Evaluation der Einführung des Screenings aufzugreifen. Dies würde nicht nur der Absicherung der bisherigen Schätzung des Nutzen-Schaden-Verhältnisses des Screenings dienen, sondern betrifft auch Detailfragen, etwa zu den gewählten Grenzwerten der Tests. Der Hinweis des IQWiG, dass bereits geringfügige Änderungen der Blutglukose-Grenzwerte relevante Änderungen der Prävalenz von Gestationsdiabetes in der Untersuchungspopulation verursachen können, sollte berücksichtigt werden.
Der Vorschlag einer wissenschaftlichen Begleitung erscheint damit sinnvoll. Der in der zusammenfassenden Dokumentation vermerkte Einwand der AG des G-BA, die Durchführung randomisierter Studien scheitere an der Versorgungsrealität, verdient ebenfalls Beachtung; es sollte allerdings die Möglichkeit bestehen, einen Konsens darüber herzustellen, sich auch mit einem Studiendesign geringerer Evidenzstärke zufrieden zu geben. Der Hinweis auf die Vielgestaltigkeit der Versorgungssituation, darunter die in der Schwangerenvorsorge grassierenden IGeL-Angebote, könnte eher noch als Anlass verstanden werden, über eine Evaluation die Überschaubarkeit in diesem Versorgungssegment zu verbessern, dies wäre zweifellos auch in Sinne der Schwangeren.
Zu prüfen wäre in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer Anbindung an die Weiterentwicklung der Qualitätssicherung in Geburtshilfe und Neonatologie (vgl. den Auftrag des G-BA an die BQS v. 19.12.2006 und die weitere Befassung durch das AQUA-Institut). Über den AQUA-Datensatz für Geburtshilfe ist die Erfassung eines Gestationsdiabetes möglich und wird seit vielen Jahren auch dokumentiert. Mit einem bundesweit einheitlichen Screening per Mutterschaftsrichtlinie könnte das bisherige Problem reduziert werden, wonach die Dokumentation eines Gestationsdiabetes nicht auf einem abgestimmten Messverfahren beruht und damit wenig valide ist.
Bedeutsam für das Nutzen-Schaden-Verhältnis des Screenings wird auch das beim IQWiG in Auftrag gegebene Merkblatt für Schwangere sein, indem es rationale Entscheidungen der Schwangeren unterstützen helfen könnte. Zu vermeiden sind eine weitere Pathologisierung und Medikalisierung einer normalen Schwangerschaft.
Das Bemühen des G-BA, bei der Einführung eines neuen Screenings auch die Problematik falsch positiver Testergebnisse im Auge zu behalten, ist zu begrüßen.
Die Empfehlungen zur Qualitätssicherung gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V werden ebenfalls unterstützt (s. u. für einen redaktionellen Hinweis hierzu).
Redaktionell ist für Nr. 8 neu der Richtlinien anzumerken, dass die Bezeichnung „oraler Glukosebelastungstest (oGTT)“ nicht kongruent ist mit dem Abkürzungsverzeichnis der zusammenfassenden Dokumentation, wo „oGTT“ für „oralen Glukosetoleranztest“ steht. Auch könnte die Zweistufigkeit des Testverfahrens deutlicher herausgestellt werden. So wird lediglich der 75g-oGTT auch als Test bezeichnet, der Vor- bzw. Suchtest mit 50g Glukose hingegen nicht.
Unter den „Empfehlungen zur Qualitätssicherung gemäß § 135 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V“ sollte im letzten Satz dieses Abschnitts die Bezeichnung der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen wie folgt aktualisiert werden: „Dabei ist insbesondere auf die Vorgaben zur regelmäßigen Qualitätskontrolle der Messsysteme nach Teil B1,den Abschnitten 2.1.5 und 2.1.6 der genannten Richtlinie der Bundesärztekammer hinzuweisen.“
Berlin, 08.11.2011
I. A.
Dr. rer. nat. Ulrich Zorn, MPH
Bereichsleiter im Dezernat 3
- Weitere Informationen zur Veröffentlichung des Gemeinsamen Bundesausschusses:
www.g-ba.de/informationen/beschluesse/1424/