BÄK: G-BA-Entscheidung gefährdet die psychiatrische und psychosomatische Krankenhausversorgung
Die geplante Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Personalbemessung in der Psychiatrie und Psychosomatik verschlechtert die Situation für Patienten und Mitarbeiter massiv. Die Bundesärztekammer fordert das Bundesgesundheitsministerium auf, die Richtlinie zu beanstanden. Notwendig ist eine Personalausstattung, die eine ganzheitliche Patientenbehandlung ermöglicht.
Berlin - Am vergangenen Donnerstag hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) über eine neue Richtlinie zur Personalbemessung in der Psychiatrie und Psychosomatik entschieden, die zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten und die knapp 30 Jahre alte Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) ablösen soll. Es ist hinlänglich bekannt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kliniken für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Kinder- und Jugendpsychiatrie seit Jahren am Limit arbeiten. Die Hoffnung von Beschäftigten und Patienten, dass die neue Richtlinie hier zu einer Verbesserung führen könnte, hat sich aber mit dem aktuellen Beschluss des G-BA zerschlagen. Das Bundesgesundheitsministerium steht in der Verantwortung, die Richtlinie in der jetzigen Form zu stoppen und das gesamte Verfahren neu auszurichten. Zudem muss es geeignete Sofortmaßnahmen ergreifen, um die übergangsweisen Personalvorgaben an die ethisch und medizinisch gebotenen Standards anzupassen.
Dem gesetzlichen Auftrag zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (Psych-VVG) zufolge sollte der G-BA qualitätsbezogene Personalmindestvorgaben festlegen, welche geeignet sind, zu einer leitliniengerechten Behandlung beizutragen. Die Bundesärztekammer war an diesem Verfahren per Gesetz lediglich beratend beteiligt. Ihr Ziel war eine patientenorientierte Personalbemessungsgrundlage, die sowohl medizinisch-wissenschaftliche Aspekte, wie auch den sparsamen Umgang mit begrenzten Ressourcen beinhalten sollte. Dieses Ziel hat der G-BA trotz frühzeitiger Intervention der Bundesärztekammer klar verfehlt. Weder wird die neue Richtlinie der rasanten Weiterentwicklung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten in der Psychiatrie, Psychosomatischen Medizin und Kinder- und Jugendpsychiatrie gerecht, noch trägt sie den heute üblichen Menschenrechtsstandards in der psychiatrischen Versorgung ausreichend Rechnung. So sollen Personaluntergrenzen eingeführt werden, die sich an jahrzehntealten Standards orientieren und bei deren Unterschreitung in Zukunft unter bestimmten Umständen ein Vergütungsausschluss erfolgen kann. Eine geringfügige Verbesserung für psychotherapeutische Leistungen kann dem dringend erforderlichen Nachbesserungsbedarf im Bereich von Pflege und Einzelbetreuung nicht abhelfen. Hier soll nur für Kinder und Jugendliche eine leichte Verbesserung erfolgen – der ebenso große Bedarf bei anderen Patientengruppen wurde beiseitegelassen. Dabei werden die vom G-BA anvisierten Nachweisverfahren zu einem deutlich erhöhten Dokumentationsaufwand der Kliniken führen.
Vor allem aber verhindert die Richtlinie neue sektorenübergreifende Versorgungsmodelle, die mit Blick auf die noch anstehende flächendeckende Umsetzung der stationsäquivalenten Behandlung für Patienten dringend erforderlich wären. All dies bedeutet: Ärztinnen und Ärzte, Psychologen, Pflegepersonal und Spezialtherapeuten in der stationären psychiatrischen, kinder- und jugendpsychiatrischen und psychosomatischen Versorgung werden nicht mehr, sondern weniger Zeit für ihre Patienten haben. Das ist das Gegenteil einer modernen patientenorientierten Versorgung.
Deshalb fordern Bundesärztekammer sowie viele medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften und Verbände eine komplette Neuausrichtung der Richtlinie. Die Personalausstattung muss so ausgestaltet sein, dass sie eine ganzheitliche Patientenversorgung ermöglicht. Konkrete Konzepte für eine adäquate Orientierung der Personalbemessung am Bedarf der Patienten liegen auf dem Tisch – werden aber durch den G-BA nicht umgesetzt. Die Bundesärztekammer appelliert zudem an den Gesetzgeber, dem G-BA klare Vorgaben für die Richtlinienarbeit zu machen. Sie müssen sicherstellen, dass sich die Personalbemessung und die Finanzierung unmittelbar auf die gültigen fachlichen Standards beziehen. Es ist festzuschreiben, dass die Richtlinie in der ersten Stufe nur eine Übergangslösung sein kann und mit einem verbindlichen Zeitplan an einem modernen und sich am Patientenbedarf orientierendem Personalbemessungsinstrument gearbeitet wird. Nur auf diese Weise können eine patienten- und störungsbezogene Psychotherapie durch alle Berufsgruppen, die Autonomie der Patientinnen und Patienten, deren Partizipation an der Entscheidungsfindung und die Reduktion vermeidbarer Zwangsmaßnahmen gewährleistet werden.