Stärkerer Schutz des Arztes als Berufsgeheimnisträger
Münster – Der 122. Deutsche Ärztetag in Münster hat an seinem letzten Beratungstag eine Reihe von gesundheits- sozial- und berufspolitischen Beschlüsse gefasst.
Unter anderen warnte der Ärztetag vor einer Aushöhlung des Berufsgeheimnisses der Ärzte durch das Bundeskriminalamtsgesetz sowie die neuen Polizeigesetze der Länder. Diese seien für das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten ausgesprochen gefährlich, betonten die Abgeordneten in einem Beschluss. „Der Staat greift zunehmend in diese besondere, ethisch zu schützende Beziehung ein und untergräbt durch erkennungsdienstliche Maßnahmen dieses Vertrauensverhältnis nachhaltig und dauerhaft“, so das Ärzteparlament. Bürgern vermittele sich so der Eindruck, dass selbst in der geschützten Arzt-Patienten-Beziehung der Staat stets mithöre.
Rolle der Hausärzte stärken
Hausärzte sollen in der Regel erste Ansprechpartner für Patienten sein. Dafür hat sich der 122. Deutsche Ärztetag ausgesprochen. Die Ärzteschaft unterstütze alle Maßnahmen, die bei neu auftretenen gesundheitlichen Fragen den Hausarzt als ersten Ansprechpartner stärkten. Sie forderte den BÄK-Vorstand auf, dieses Anliegen dem Gesetzgeber gegenüber klar zu artikulieren und sich konstruktiv in die Diskussion einzubringen. Die freie Arztwahl sei ein hohes Gut. Diese werde gestärkt, wenn die vorhandenen Ressourcen sinnvoll genutzt würden.
Untergrenzen beim Pflegepersonal dürfen Patientenversorgung nicht gefährden
Außerdem wies der Ärztetag auf den gravierenden Pflegekräftemangel in deutschen Krankenhäusern hin. So begrüßte er die Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen, kritisierte aber die in der Verordnung verankerten Sanktionsmechanismen. Diese lösten Bettenkürzungen an besonderes versorgungssensiblen Bereichen wie Intensivstationen aus, weil das benötigte Personal zur Zeit „schlichtweg nicht verfügbar“ sei. Der Deutsche Ärztetag fordert deshalb eine Ausbildungsoffensive für Pflegekräfte, bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Vergütung.
Einbindung von Fachdisziplinen in die Notfallversorgung
Eine interdisziplinäre Notaufnahme sollte nur in Kooperation mit beteiligten Fachdisziplinen geführt werden. Das hat der 122. Deutsche Ärztetag klargestellt. „Die interdisziplinäre Notfallversorgung in Notaufnahmen, die die Fachdisziplin eng in die primäre Versorgung einbindet, sichert eine hohe Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten“, heißt es in dem Beschluss. Der vom G-BA geforderte Tatbestand einer fachlich unabhängigen Leitung einer Notaufnahme widerspreche nicht dem Prinzip, die Fachdisziplinen eng in die Versorgung einzubinden.
Missbrauch von Fernbehandlung verhindern
Vor dem Hintergrund der Zunahme fragwürdiger telemedizinischer Anwendungen beauftragte der Ärztetag den Vorstand der Bundesärztekammer damit, die rechtlichen Möglichkeiten zur Unterbindung solcher Online-Anwendungen und der Sanktionierung der Anbieter zu prüfen. Hier sei eine „Goldgräberstimmung“ mit Auswüchsen wie der Krankschreibung per Messenger-Dienst ausgebrochen. Dabei werde offensichtlich negiert, dass der 121. Deutsche Ärztetag im vergangenen Jahr das Fernbehandlungsverbot nicht komplett aufgehoben hat. Damals war beschlossen worden, dass Ärzte „im Einzelfall“ ihnen noch unbekannte Patienten über Kommunikationsmedien beraten und behandeln dürfen. Der Beschluss sei jedoch unter der Prämisse erfolgt, dass die Fernbehandlung ärztlich vertretbar sei und die ärztliche Sorgfalt gewahrt bleibe, unterstrichen die Abgeordneten. Die Möglichkeiten der Telemedizin dürfen selbstverständlich genutzt werden, könnten letzten Endes das bisherige Zusammenspiel von Arzt und Patient nur ergänzen.
Beruf der Medizinischen Fachangestellten stärken und aufwerten
Der Ärztetag hat zudem auf die große Bedeutung der qualifizierten Tätigkeit der Medizinischen Fachangestellten (MFA) hingewiesen. Um deren zunehmende Abwanderung aus dem Beruf beziehungsweise den Arztpraxen zu stoppen und auch künftig genug Nachwuchs zu finden, sieht es der Ärztetag als dringend erforderlich an, die Attraktivität des Berufs und seine Stellung im Kontext der Gesundheitsberufe zu stärken. Er begrüßte daher das von den Landesärztekammern angebotene breite Spektrum an strukturierten und zertifizierten Fortbildungen. Darüber hinaus sei für die Attraktivität aber auch eine adäquate Vergütung unabdingbar. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Arztpraxen als Arbeitgeber zu erhalten, müsse die Steigerung der Personalkosten vollständig durch die Krankenkassen refinanziert werden.
Etablierte ärztliche Bezeichnungen nicht für andere Berufe verwenden
In Bezug auf das Gesetzgebungsverfahren zur Ausbildungsregulierung zukünftiger akademischer Heilberufe forderte der Deutsche Ärztetag, darauf zu achten, dass von Ärzten getragene Titel und Bezeichnungen nicht von anderen Heilberufen beansprucht werden. So seien beispielsweise auch Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Geburtshelfer. Das müsse bei der Akademisierung des Berufs der Hebamme berücksichtigt werden.
Keine parallelen Versorgungssysteme durch Akademisierung nichtärztlicher Heilberufe
In einem weiteren Beschluss stellten die Ärztetags-Abgeordneten fest, dass die Akademisierung und Ausbildungsreform nicht-ärztlicher Heilberufe nicht zu parallelen Versorgungssystemen führen dürfe. Die bewährten Strukturen der sich ergänzenden Kooperation zwischen Ärzten und Angehörigen anderer Heilberufe dürften nicht aufgegeben werden. „Eine Spaltung von Zuständigkeiten wird abgelehnt, nicht zuletzt aus Gründen der Patientensicherheit“, betonte das Ärzteparlament.
DMP-Programmkosten refinanzieren
Die im Entwurf für das Faire-Kassenwahl-Gesetz vorgesehene Streichung der Kostenpauschale für Disease-Management-Programme (DMP) im Rahmen des Risikostrukturausgleichs lehnte der Deutsche Ärztetag ab. Er warnte vor Rückschritten bei der Behandlung von chronisch Kranken. Derzeit seien mehr als acht Millionen Versicherte in solchen Programmen eingeschrieben. „Ohne eine ausreichende Refinanzierung der Programmkosten werden voraussichtlich die Krankenkassen an einer Fortführung solcher Maßnahmen nicht interessiert sein“, prognostizierte die Ärzteschaft. Sie begrüßte allerdings das grundsätzlich in dem Gesetz verfolgte Ansinnen, den Risikostrukturausgleich zu reformieren und das Organisationsrecht der Gesetzlichen Krankenkassen anzupassen.
Bundeseinheitlichen Medikationsplan überarbeiten
Der Deutsche Ärztetag hat sich dafür ausgesprochen, den bundeseinheitlichen Medikationsplan über ambulante Praxen hinaus auch in den EDV-Systemen der Krankenpflege, der Pflegeheime und der Krankenhäuser als Standard zu etablieren. Damit könne die Schnittstellenkommunikation leichter, effizienter und sicherer werden. Anzustreben sei ein verlässlicher und erprobter Standard. „Ein solch optimierter bundeseinheitlicher Medikationsplan, der auch in die angrenzenden Behandlungs- und Pflegesektoren reicht, macht Pharmakotherapie sicherer und senkt den bürokratischen Aufwand“, heißt es in dem Beschluss.
Für faire Finanzierung zusätzlicher Arztstellen
Das Terminservice- und Versorgungsgesetz sieht eine Anpassung der Bedarfsplanung noch in diesem Jahr vor. Das wird voraussichtlich zur Neuschaffung zusätzlicher Arztsitze vor allem im hausärztlichen Versorgungsbereich führen. Der 122. Deutsche Ärztetag forderte das Bundesgesundheitsministerium dazu auf, für eine faire Finanzierung dieser Arztsitze mit zusätzlichen Geldern durch die Krankenkassen zu sorgen.
Medizinischer Einsatz von Cannabis auf wissenschaftlich gesicherter Grundlage
In einem weiteren Beschluss forderte der Ärztetag die Bundesregierung dazu auf, ein Forschungsprogramm zum medizinischen Nutzen verordnungsfähiger Cannabis-Arzneien und -Blüten aufzulegen. Die Studie „Cannabis: Potential und Risiken“ habe aufgezeigt, dass der wissenschaftliche Kenntnisstand zu Wirkungen und Nebenwirkungen der in der Cannabispflanze enthaltenen Cannabinoide weiterhin völlig unzureichend sei. Diese sollten jedoch vor einem breiteren Einsatz im Sinne einer verantwortungsvollen medizinischen Versorgung zunächst hinreichend erforscht werden.
Substitution in Justizvollzugsanstalten
Außerdem forderte die Ärzteschaft den Gesetzgeber auf, in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung einen Passus speziell für Justizvollzugsanstalten aufzunehmen, der die Delegation der Ausgabe von Substitutionsmitteln auch an Justizvollzugsbeamte erlaubt. Aufgrund der Vielzahl, der in den Anstalten substituierenden Patienten und dem nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden Personal, wäre hier eine Ausnahme zwingend erforderlich.
Kippe aus, wenn Kind an Bord
Der 122. Deutsche Ärztetag hat den Gesetzgeber aufgefordert, ein Rauchverbot in Autos, in denen gleichzeitig Kinder und Jugendliche mitfahren, gesetzlich festzulegen. Die gesundheitliche Belastung von Minderjährigen sei bei der Mitfahrt in einem Auto, in dem geraucht wird, besonders hoch. Die Minderjährigen bedürften eines besonderen Schutzes.
Kinderrechte gehören ins Grundgesetz
Zur Förderung der Kindergesundheit unterstützt der 122. Deutsche Ärztetag 2019 die Initiative „Kinderrechte ins Grundgesetz!“ des Aktionsbündnisses Kinderrechte, einem Zusammenschluss von über 50 zivilen Organisationen in Deutschland, und begrüßt das Vorhaben der Regierungskoalition, eine entsprechende Grundgesetzänderung einzubringen. Über die Ausgestaltung einer Grundgesetzänderung berät derzeit eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die am 06.06.2018 das erste Mal getagt hat. Sie soll spätestens bis Ende 2019 einen Vorschlag ausarbeiten.