Westfalen-Lippe: Gehle: Patientenversorgung muss trotz Corona-Krise noch eine dauerhafte Perspektive haben und „infektionsfest umgebaut“ werden
Münster - „Die Gesundheitsversorgung muss ambulant wie stationär infektionsfest umgebaut werden.“ Dafür spricht sich der Vorstand der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) in einem einstimmig verabschiedeten 12-Punkte-Forderungskatalog aus. Das Recht eines jeden Patienten auf eine zeitgerechte Behandlung nach Stand des aktuellen medizinischen Wissens dürfe nicht durch erneute Infektionswellen gefährdet werden. Patienten, die ihre akute Behandlung oder Versorgung chronischer Krankheiten in Zeiten der Corona-Krise aufgeschoben hätten, sollten nicht nochmal Diagnose und Therapie zurückstellen müssen, so das Votum des ÄKWL-Vorstandes.
Dazu erklärt der Präsident der ÄKWL, Dr. Hans-Albert Gehle: „Wir müssen die kommenden drei Monate dazu nutzen, unser Gesundheitswesen vor neuen Infektionswellen im Herbst so aufzustellen, das die Behandlung aller Patientinnen und Patienten möglich sein wird. Wir dürfen nicht wie bisher auf kurze Sicht fahren, sondern brauchen für die gesamte ambulante und stationäre Patientenversorgung eine dauerhafte Perspektive. Dazu sind langfristige Pläne und abgestimmte Vorgaben notwendig, um auch regional planen zu können.“ Gehle weiter: „Ansonsten steht das Gesundheitssystem erneut vor einer riesigen Herausforderung und keiner kann vorab sagen, ob das System eine zweite Bewährungsprobe dann auch besteht. Wir brauchen endlich genügend Sicherheit in der Daseinsfürsorge statt ständiger ökonomischer Zwänge.“
In der Bekämpfung des Coronavirus sind nach Meinung des ÄKWL-Vorstandes weiterhin Einigkeit und weitgehend einheitliche Vorgaben dringend notwendig. Eine wichtige Stärke in der Bekämpfung des Coronavirus seien bisher die abgestimmten Maßnahmen bei den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen gewesen. Zwar müssten auch regionale Unterschiede bei den Lockerungen berücksichtigt werden, aber „wir dürfen die einheitliche Gesamt-Linie nicht aufgeben“, sagt Kammerpräsident Hans-Albert Gehle. Zum Zurücklehnen sei es viel zu früh.
Der Vorstand der ÄKWL will ein koordiniertes Vorgehen bei der Corona-Bekämpfung auf Landes- und Bundesebene und hat dazu einen zwölf Punkte umfassenden `Forderungskatalog zur Stärkung des Gesundheitswesens in Zeiten von Infektionskrankheiten` verabschiedet. Unter anderem kritisiert der Vorstand, die Vorbereitungen für die Aufnahme von Covid-19-Patienten und das Zurückstellen elektiver Eingriffe und Behandlungen hätten die Liquidität vieler Kliniken gefährdet. Ein Schutzschirm für die Krankenhäuser sei daher begrüßenswert – dieser müsse aber so ausgestaltet sein, dass er die Liquidität der Kliniken erhält und Insolvenzen vermeidet. Einen finanziellen Ausgleich benötigten demnach allerdings auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und Kollegen, die durch die Auswirkungen der Corona-Krise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten seien.
Forderungskatalog des Vorstandes der Ärztekammer Westfalen-Lippe zur Stärkung des Gesundheitswesens in Zeiten von Infektionskrankheiten
Münster, im Mai 2020
Der Vorstand der Ärztekammer Westfalen-Lippe hat folgenden Forderungskatalog erstellt, damit endlich wieder genügend Sicherheit in der Daseinsfürsorge herrscht statt ständige ökonomische Zwänge.
- Wir brauchen eine Rückkehr der Gesundheitsversorgung zur Daseinsfürsorge, um auch in Krisenzeiten für die Patienten genügend ambulante und stationäre Kapazitäten vorzuhalten.
- Wir brauchen eine weitestgehende Rückkehr zur „Normalität“ in der medizinischen Versorgung und müssen in der Bevölkerung das Vertrauen herstellen, wieder notwendige medizinische Untersuchungen durchführen zu lassen, ohne dass Sorge besteht, sich zu infizieren.
- Wir brauchen Koordinationsstrukturen, die ein schnelles, abgestimmtes Handeln zwischen allen Beteiligten am Infektionsschutz ermöglichen bzw. unterstützen. Zu diesem Zweck sollte ein Versorgungsverbund Infektionskrankheiten in Westfalen-Lippe gegründet werden.
- Wir brauchen eine dauerhafte Neuausrichtung unserer Krankenhäuser mit der Einrichtung von Quarantäne- und Isolationsbereichen.
- Wir brauchen eine dauerhafte Neuausrichtung in der ambulanten Behandlung, um dauerhaft genügend ambulante Abstrich- und Behandlungsmöglichkeiten für Infektionspatienten zu schaffen und eine ausreichende und sichere ambulante Testung und Behandlung der Bevölkerung zu ermöglichen.
- Wir brauchen für den ÖGD ein langfristiges Förderprogramm, das eine verbesserte personelle, finanzielle und strukturelle Ausstattung der Gesundheitsämter gewährleistet.
- Wir brauchen verlässliche Versorgungsstrukturen für die Versorgung der sehr vulnerablen Gruppe der Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen. Dafür sollten entsprechende Versorgungsverträge mit Rehabilitationseinrichtungen geschlossen werden.
- Wir brauchen ausreichende Kapazitäten an intensivmedizinischer Versorgung mit Beatmungsmöglichkeit.
- Wir brauchen ausreichend und schnell verfügbare Schutzmaterialien wie z. B. FFP2-Masken für Ärztinnen und Ärzte und die Gesundheitsberufe.
- Wir brauchen einen umfassenden Insolvenzschutz für Krankenhäuser sowie Erlösgarantien, damit die Aufnahme, Verteilung und Verlegung von Patienten losgelöst von Erlösfragen erfolgen kann.
- Wir brauchen einen finanziellen Schutzschirm des Landes für den Einsatz niedergelassener Ärztinnen und Ärzte sowie Ausgleichszahlungen der gesetzlichen Krankenkassen zur Absicherung der Praxen bei nachgewiesenen Umsatzrückgängen durch die Corona-Epidemie.
- Wir brauchen ein Freiwilligenregister, um auch kurzfristig Ärztinnen und Ärzte, Medizinstudentinnen und –studenten sowie weitere Gesundheitsberufe für einen flexiblen Einsatz in der Gesundheitsversorgung gewinnen zu können.