Organentnahme postmortal
Empfehlungen für die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Transplantationszentren bei der postmortalen Organentnahme
Ständige Kommission Organtransplantation Bundesärztekammer
Stand: 06.08.1999
Vorwort
Das Transplantationsgesetz verpflichtet die Krankenhäuser zur Meldung potentieller Organspender an die Transplantationszentren, sofern die medizinischen Voraussetzungen gemäß den "Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes" erfüllt sind. Dabei sind die Anforderungen an die Organentnahme zum Schutz des Organempfängers zu beachten.
Die vielfachen Verknüpfungen der gesetzlichen Vorgaben waren Anlaß für die Ständige Kommission Organtransplantation, die zu beachtenden Anforderungen an alle in diesem Bereich tätigen Ärzte in den nachfolgenden Empfehlungen zusammenzufassen.
Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe
Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages
Prof. Dr. jur. Dr. med. h.c. H.-L. Schreiber
Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer
A. Gesetzliche Verpflichtung zur Meldung postmortaler potentieller Organspender und zur ärztlichen Zusammenarbeit bei der Organentnahme (§11 [ 1; 4] )
"Die Entnahme von vermittlungspflichtigen Organen einschließlich der Vorbereitung ... ist gemeinschaftliche Aufgabe der Transplantationszentren und der anderen Krankenhäuser ..."
"Die Transplantationszentren und die anderen Krankenhäuser sind verpflichtet, untereinander und mit der Koordinierungsstelle zusammenzuarbeiten. Die Krankenhäuser sind verpflichtet, den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms von Patienten, die nach ärztlicher Beurteilung als Spender vermittlungspflichtiger Organe in Betracht kommen..." der Koordinierungsstelle mitzuteilen.
Sinngemäß sollte die Verpflichtung zur Meldung postmortaler potentieller Spender auch nach irreversiblem Herzstillstand sowohl in Krankenhäusern wie in Instituten der Rechtsmedizin und der Pathologie wahrgenommen werden, da dann Hornhaut, Herzklappen und andere Gewebe zur Transplantation entnommen werden können.
Der folgende Text befaßt sich nur mit der Zusammenarbeit von Intensivstationen, Transplantationszentren und der Koordinierungsstelle bei der postmortalen Organentnahme.
B. Organisatorische Hinweise zur Zusammenarbeit
Um die gesetzliche Verpflichtung erfüllen zu können, müssen Träger wie Ärzte eines jeden Krankenhauses mit einer Intensivstation die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Für jede Intensivstation soll ein ihren Gegebenheiten angepaßtes einheitliches Vorgehen festgelegt werden. Neue Mitarbeiter müssen im Rahmen der Diensteinführung über die jeweiligen Einzelheiten informiert werden und die Kenntnisnahme schriftlich bestätigen.
Zur Feststellung des Hirntodes gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer stehen jederzeit rufbereite Konsiliardienste zur Verfügung. Sie können über die Organisationszentralen der Koordinierungsstelle gerufen werden.
Die Eignung von Organen für eine Transplantation ergibt sich aus der Anamnese der Vorerkrankungen und aus verschiedenen Befunden (Einzelheiten s. unten). Konsile – noch ohne persönliche Daten – mit transplantationsmedizinisch erfahrenen Ärzten können Fehleinschätzungen und Belastungen vermeiden helfen und sollen die Explantation nicht transplantabler Organe verhüten.
Vor einem Gespräch mit Angehörigen über eine postmortale potentielle Organspende müssen sowohl die Voraussetzungen der Hirntodfeststellung und das klinische Syndrom des Hirntodes von wenigstens einem Arzt nachgewiesen, als auch die medizinische Kriterien einer postmortalen Organspende geprüft sein.
Gegebenenfalls kann im Gespräch mit den Angehörigen darauf hingewiesen werden, daß über eine postmortale Organspende erst nach erneuter und getrennter Untersuchung durch einen zweiten, eventuell von auswärts hinzugezogenen Arzt entschieden werden könne und müsse. Dadurch wird den Angehörigen auch Zeit zum Nachdenken wie zur Besprechung innerhalb der Familie, mit dem Krankenhausseelsorger oder einer anderen Vertrauensperson gelassen.
Die Organisationszentralen der Koordinierungsstelle können die jeweils vereinbarten Aufgaben zur Vorbereitung von Organentnahmen einschließlich der Hilfe beim Gespräch mit den Angehörigen übernehmen.
C. Medizinische Voraussetzungen einer postmortalen Organspende und "zum Schutz der Organempfänger erforderliche Maßnahmen" (§16 [ 1; 4] )
Der Todesnachweis des potentiellen Organspenders muß nach den von der Bundesärztekammer festgelegten "Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes" erfolgen. Die Qualifikationsanforderung an die beiden Untersucher – mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung schwerer Hirnschädigungen – und die Vorschriften zur Protokollierung sind zu beachten.
Medizinische Ausschlußkriterien einer postmortalen Organspende sind maligne Tumoren und Systemerkrankungen, die nach üblichem medizinischem Standard noch nicht als geheilt gelten können, bestimmte übertragbare Infektionskrankheiten und ärztlich allgemein bekannte spezielle Infektionsrisiken. Ausnahmen und Einzelheiten sind gemäß dem jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand in Konsensus-Papieren geregelt.
Bevor "der Tod des möglichen Organspenders festgestellt ist" (§7), dürfen nur seine aktuell behandelnden Ärzte vom Hausarzt und von früher behandelnden Ärzten anamnestische Daten erfragen. Nach der Todesfeststellung "sind Ärzte, die den möglichen Organspender wegen einer dem Tod vorausgegangenen Erkrankung behandelt hatten, zur Auskunft verpflichtet (gegenüber) dem Arzt, der eine Organentnahme ... beabsichtigt oder (gegenüber) der von der Koordinierungsstelle ... beauftragten Person ...soweit dies erforderlich ist ...(für die) beabsichtigte Organentnahme ... Die Auskunft soll für alle Organe, deren Entnahme beabsichtigt ist, zusammen eingeholt werden." (§7)
Die für die Entscheidung über eine postmortale Organspende wichtigen Befunde ergeben sich im wesentlichen aus den Untersuchungen für die Intensivbehandlung. Weitere Untersuchungen dürfen erst nach der Todesfeststellung durch Hirntodnachweis und nach Zustimmung zur postmortalen Organspende erfolgen.
D. Zustimmung als Voraussetzung einer postmortalen Organspende (§3, §4)
Gespräche mit Angehörigen über eine postmortale potentielle Organspende lassen sich nicht normieren; gesetzliche Vorschriften müssen aber beachtet werden (§3, §4):
Organspendeausweis oder andere schriftliche Erklärung des toten potentiellen Organspenders
(§3 [ 1] ):
"Die Einwilligung und die Übertragung der Entscheidung können vom vollendeten 16., der Widerspruch kann vom vollendeten 14. Lebensjahr an erklärt werden." (§2 [ 2] )
Schriftliche Willensäußerungen eines entscheidungsfähigen Menschen für den Fall seines Todes, die medizinisch und rechtlich ausgeführt werden können, verpflichten Angehörige und Ärzte. Trotzdem sollte der Arzt individuell prüfen, ob eine medizinisch mögliche und rechtlich zulässige Organentnahme gegen den Willen von Angehörigen menschlich vertretbar ist.
Über "die beabsichtigte Organentnahme hat der Arzt den nächsten Angehörigen des Organspenders zu unterrichten" (§3 [ 3] ). Grundsätzlich soll die Information genau und umfassend sein. Der Gesprächspartner sollte aber rücksichtsvoll gefragt werden, welche Einzelheiten er wirklich wissen will.
Fehlende schriftliche Erklärung des toten potentiellen Organspenders (§4[1]):
Der nächste Angehörige des verstorbenen Menschen "ist zu befragen, ob ihm von diesem eine Erklärung zur Organspende bekannt ist" (§4 [ 1] ).
Auch eine mündliche Äußerung des verstorbenen Menschen bindet Angehörige wie Ärzte. Obwohl der Arzt nur mit den Angehörigen sprechen kann, die zu ihm kommen oder notfalls telefonisch erreichbar sind, muß er gegebenenfalls auf ihre vom Gesetz festgesetzte "Rangfolge" - Ehegatte, volljährige Kinder, Eltern oder Vormund oder Pfleger, volljährige Geschwister, Großeltern – hinweisen. Der – mit der jüngsten Äußerung des verstorbenen Menschen begründete – Einwand eines einzigen "gleichrangigen Angehörigen" kann also den Ausschlag geben.
Fehlende schriftliche und mündliche Äußerung des toten potentiellen Organspenders (§4 [ 1,2] ):
Der "nächste Angehörige" entscheidet über die postmortale Organspende. "Der nächste Angehörige ist nur dann zu einer Entscheidung befugt, wenn er in den letzten zwei Jahren vor dem Tod des möglichen Organspenders zu diesem persönlich Kontakt hatte. Der Arzt hat dies durch Befragung des Angehörigen festzustellen." (§4 [ 2] )
"Der Angehörige hat bei seiner Entscheidung einen mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders zu beachten. Der Arzt hat den Angehörigen hierauf hinzuweisen" (§4 [ 1] ). Dieser Hinweis hilft erfahrungsgemäß Angehörigen bei ihrer Entscheidung. Der "mutmaßliche Wille des möglichen Organspenders" läßt sich unter anderem aus seinen vergleichbaren früheren Äußerungen und aus seiner am besten den Angehörigen bekannten allgemeinen Lebenseinstellung erschließen.
Der Arzt muß alles ihm Mögliche versuchen, um den nach der "Rangfolge" (§4 [ 2] ) entscheidenden Angehörigen zu erreichen. Welche Zeit des Wartens dafür "angemessen" ist, hängt von der Gesamtheit der Umstände ab und sollte auch mit den erreichbaren Angehörigen vereinbart werden.
Fehlende schriftliche und mündliche Äußerung des toten potentiellen Organspenders und fehlende Gesprächsmöglichkeit mit Angehörigen:
In dieser Lage ist eine Organentnahme zur Transplantation rechtlich unzulässig.
E. Anforderungen an die Explantation (§6, § 16 [ 1; 4] )
Die Explantation hat sowohl die Würde des toten Organspenders zu beachten als auch eine Schädigung der zur Transplantation vorgesehenen Organe zu vermeiden. Beide Forderungen werden durch das standardisierte chirurgische Vorgehen erfüllt. Der erforderliche Schutz des Organempfängers vor der Übertragung maligner Tumor- und Systemerkrankungen sowie vor inkurablen Infektionen ist – soweit überhaupt möglich – durch die Konsile zur grundsätzlichen Eignung der Organe für eine Transplantation zu gewährleisten.
"Die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe ... zu einer Übertragung" ist in den Konsensus-Papieren dem Erkenntnisstand der Wissenschaft angepaßt.
F. Dokumentationsverpflichtungen (§3, §4, §5, §16)
Die Auskünfte zur Anamnese, die über die Eignung der Organe zur Transplantation entscheidenden Befunde, besonders die "zum Schutz der Organempfänger" überprüften Daten sind zu dokumentieren. Der Arzt ist verpflichtet, die personellen und sachlichen Einzelheiten seines Gespräches mit den Angehörigen über eine postmortale Organspende (§4 [ 4] ) sowie den "Ablauf und Umfang der Organentnahme (§3 [3]) aufzuzeichnen". Angehörige müssen ihre Auskünfte und Entscheidungen nicht selbst unterschreiben, haben aber wie die mit der Entscheidung beauftragte Person (§2 [ 2] ) ein Anrecht auf Einsichtnahme in die ärztlichen Aufzeichnungen sowohl über das Gespräch (§4 [ 4] ) wie über die Organentnahme und können dazu "eine Person ihres Vertrauens hinzuziehen" (§3 [ 3] ). Darüber hinaus ist ihnen "Gelegenheit zu geben zur Einsichtnahme" in das Protokoll der Todesfeststellung. Auch dazu "können sie eine Person ihres Vertrauens hinzuziehen" (§5 [ 2] ).
veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt 1999; 96: 2044-2046]