Ärztinnen und Ärzte an der Belastungsgrenze
Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) kritisiert zum Beginn des 81. Bayerischen Ärztetags 2022 in Regensburg, dass sich die Arbeitsbedingungen sowohl im ambulanten als auch im stationären Versorgungsbereich dramatisch verschlechtert haben. „Ärztinnen und Ärzte arbeiten seit Jahren an der Belastungsgrenze und seit der Einführung der Honorarbudgetierungen teilweise auch unentgeltlich. Wenn dann Proteste geplant sind, die auf Leistungskürzungen und Nullrunden in Honorarverhandlungen hinweisen, so ist dies keinesfalls empörend, wie es der GKV-Spitzenverband formuliert, sondern die einzige Möglichkeit, auf diese Missstände hinzuweisen“, so Präsident Quitterer.
„Jahrelang wird diskutiert und gejammert und der Ärztemangel beklagt, jedoch ohne Konsequenz“, konstatiert Quitterer. „Es wäre ein leichtes, bun-desweit 6.000 mehr Studienplätze für Medizin zu schaffen, stattdessen schielt der Staat nach neuen Versorgungsformen und favorisiert Parallelstrukturen wie Digitale Gesundheitsanwendungen oder fragwürdige Ersatzstrukturen wie Gemeindeschwestern oder Gesundheitslotsen“, so Quitterer weiter. „Wir werden ohne sofortige Gegenmaßnahmen Praxen nicht mehr nachbesetzen und die gewohnten Versorgungsstrukturen im ambulanten Bereich und in den Krankenhäusern nicht mehr aufrechterhalten können. Die COVID-19-Pandemie fordert die Ärztinnen und Ärzte seit zweieinhalb Jahren und auch weiterhin immens“, so Quitterer. Jetzt würden der ambulante und der stationäre Versorgungsbereich sowohl durch die Inflation, die Energiekrise sowie durch die Gesetzgebung des Bundes noch weiter unter Druck gesetzt. Wenn für Krankenhäuser staatliche Unterstützung gefordert werde, dürfe man die ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte nicht außen vorlassen.
Quitterer appelliert an die politischen Entscheidungsträger: „Begreifen Sie den Ernst der Lage und verschließen Sie nicht die Augen vor der Realität. Wir haben in Deutschland ein Gesundheitssystem, in dem eine ungesteuerte Inanspruchnahme medizinscher Leistungen ermöglicht wird. Das kann bei begrenzten Finanzmitteln, die dem Postulat der Beitragssatzstabilität geschuldet sind und der begrenzten Ressource Arzt, nicht weiter so funktionieren“.
In vielen Bereichen und Regionen Bayerns sei deshalb „eine gewisse Erschöpfung in der medizinischen Versorgung“ eingetreten „Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen für die Praxen, für die Krankenhäuser und für den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Und wir brauchen gesetzliche Regelungen, die einer Kommerzialisierung entgegensteuern“, legt Quitterer nach und fordert:
Größere Wertschätzung der ärztlichen Patientenversorgung von Politik und Krankenkassen
‒ Lösungsansätze angesichts einer wachsenden Anspruchshaltung von Politik und Bevölkerung an das Gesundheitssystem
‒ Förderung der Niederlassung durch Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen seitens Politik und Krankenkassen
‒ Kommerzialisierung der Medizin durch geeignete Gesetzesvorgaben verhindern
‒ Keine Nullrunden in den Honorarverhandlungen oder Streichung der Neupatientenregelung, um die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu stabilisieren
‒ Entlastung der GKV von versicherungsfremden Leistungen
‒ Zulassungskriterien zum Medizinstudium erweitern
‒ Für Arzt und Patient nutzbringende Telematikinfrastruktur
‒ Abbau von unnötiger Bürokratie, keine neuen Formulare mehr
‒ Sofortiges Inkrafttreten der neuen GOÄ.
„Zudem besteht ein dringender Handlungsbedarf im Hinblick auf die Herausforderungen durch Klimawandel und Hitze“, so der BLÄK-Präsident abschließend.