BÄK im Dialog: Bedingt abwehrbereit? - Die Patientenversorgung auf den Ernstfall vorbereiten
Expertinnen und Experten beraten auf Tagung der Bundesärztekammer die Krisenresilienz des deutschen Gesundheitswesens.
Deutschland erlebt eine Zeit wachsender Bedrohungen – von innen wie außen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Klimawandel, Cyberangriffe und politischer Extremismus stellen die Frage nach der Krisenresilienz unserer Gesellschaft in einer seit Jahrzehnten nicht gekannten Dringlichkeit. Das gilt auch und gerade für das Gesundheitswesen, das für die Daseinsvorsorge und den gesellschaftlichen Zusammenhalt von zentraler Bedeutung ist.Wie sieht vor diesem Hintergrund der Weg zu einem krisenfesten Gesundheitswesen aus? Wie können Strukturen und Prozesse effizienter gestaltet werden, ohne Abstriche bei der Versorgungssicherheit zu machen? Welche Anforderungen stellen sich an das Zusammenspiel von staatlichen Akteuren, Selbstverwaltung und Zivilgesellschaft? Diese Fragen diskutieren Expertinnen und Experten heute auf der von der Bundesärztekammer organisierten Tagung „BÄK im Dialog – Bedingt abwehrbereit? Die Patientenversorgung auf den Ernstfall vorbereiten“ in Berlin.
Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt: „Die meisten Menschen in Deutschland wurden in eine Gesellschaft hineingeboren, die durch Frieden und Fortschritt geprägt war – dass in Europa wieder ein Krieg ausbricht, erschien lange Zeit undenkbar. Umso wichtiger ist es, dass wir die neuen Realitäten akzeptieren und uns in allen gesellschaftlichen Bereichen auf den Ernstfall vorbereiten. Wir müssen aber auch über die Resilienz des Gesundheitswesens insgesamt sprechen. Dazu gehören unter anderem die strukturellen Herausforderungen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, für die Krankenhäuser, für die Praxen, für die Notfallversorgung, für den Rettungsdienst und viele weitere Versorgungsbereiche. Gute Vorbereitung, ausreichende Vorhaltung, klar geregelte Zuständigkeiten und trainierte Abläufe sind grundlegend, um für den Krisenfall gewappnet zu sein.“
Prof. Dr. jur. Kerstin von der Decken, Ministerin für Justiz und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein: „Der Ansatz ist richtig, die Resilienz des gesamten Gesundheitssystems zu stärken, um in Krisenzeiten schnell und koordiniert handeln zu können und eine schnelle und bestmögliche medizinische Versorgung zu gewährleisten. Da Versorgungsstrukturen, etwa bei größeren militärischen Konflikten, ohnehin länderübergreifend genutzt werden müssten, ist hierzu ein Gesetz des Bundes zielführend. Wir erwarten, dass der Bund seiner für den Sommer 2024 angekündigten Initiative, das Gesundheitssystem im Zuge eines gesonderten Gesetzes besser auf große Katastrophen und eventuelle militärische Konflikte vorbereiten zu wollen, Taten folgen lässt. An einem solchen Gesetz wird Schleswig-Holstein konstruktiv mitwirken.“
Prof. Dr. rer. nat. Heyo Kroemer, Vorsitzender des ‚ExpertInnenrats „Gesundheit und Resilienz“: Health Security ist ein für Deutschland neues, aber hochrelevantes Thema, bei dem die Universitätskliniken eine wichtige Rolle übernehmen können. Sie können bei der Bewältigung von Notlagen entscheidend zur Resilienz des Gesundheitssystems beitragen. Ihre Infrastruktur aber auch ihre Expertise sind essenziell, um zukünftige Gesundheitskrisen abzufedern und die Versorgung auf hohem Niveau sicherzustellen.
Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: "Deutschland verfügt über ein leistungsfähiges Gesundheitssystem, das auch akute Bedarfe etwa durch Naturkatastrophen gut abfangen kann. Die Corona-Pandemie hat hier zu Anpassungen beigetragen. Um sicherzustellen, dass wir auch in einem Verteidigungsfall jederzeit in der Lage sind, Erkrankte und Verletzte zu versorgen, müssen wir die Akteure des gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes stärken – sei es im Bereich Personal, Ausstattung oder in Bezug auf Steuerungsinstrumente, mit denen wir die Zusammenarbeit koordinieren. Nur dann sind wir auch für größere und längere Krisen gut vorbereitet."
Generaloberstabsarzt Dr. med. Ralf Hoffmann, Befehlshaber des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr: „Die konsequente Ausrichtung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr auf die Anforderungen der Bündnis- und Landesverteidigung ist von zentraler Bedeutung für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Hierzu bedarf es aller Elemente der Gesundheitsversorgung, vom Ort der Verwundung bis zur Rehabilitation. Aufgrund der zentralen geopolitischen Lage in Europa ist Deutschland bereits in frühen Phasen eines Konfliktes in besonderer Weise als Drehscheibe gefordert, dies gilt insbesondere auch für die Gesundheitsversorgung. Um für unsere Soldatinnen und Soldaten sowie unsere multinationalen Partner eine adäquate medizinische Versorgung sicherstellen zu können, ist der Sanitätsdienst der Bundeswehr auf eine effektive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem zivilen Gesundheitssystem angewiesen. In der Vergangenheit hat der Sanitätsdienst der Bundeswehr regelmäßig in Deutschland das zivile Gesundheitssystem unterstützt, beispielsweise im Rahmen der Fluthilfe oder der COVID-19-Pandemie. Zukünftig werden sich die Akteure des zivilen Gesundheitssystems, im Rahmen der gesamtstaatlichen Verantwortung für die Gesundheitsversorgung, verstärkt auch auf die Unterstützung der Bundeswehr vorbereiten müssen. Die hierfür notwendige enge Verzahnung von zivilen und militärischen Strukturen sowie die gegenseitigen Abhängigkeiten gilt es nun aktiv zu planen und so konkret wie möglich vorzubereiten.“