Kontinuierliche Beratung für mehr Autonomie am Lebensende
Berlin - Der Umgang mit nicht einwilligungsfähigen Menschen an ihrem Lebensende stellt Angehörige und Ärzte vor schwierige und belastende Entscheidungen. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn eine Patientenverfügung vorliegt. Entspricht der geäußerte Wunsch des Patienten seinen aktuellen Vorstellungen? Bezieht sich der niedergelegte Wille auf die konkrete Behandlungssituation? Für Klarheit kann das Konzept des Advance Care Planning (ACP) sorgen. Es setzt auf einen fortlaufenden Beratungs- und Dokumentationsprozess mit Hilfe von fachlich geschulten Gesprächsbegleitern und bezieht auch sich ändernde Behandlungspräferenzen des Patienten mit ein. Bereits im Jahr 2015 wurde mit dem Hospiz- und Palliativgesetz die Finanzierung von ACP in stationären Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen verankert. Menschen in Einrichtungen des Betreuten Wohnens und in der häuslichen Umgebung sind davon nicht erfasst. Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (ZEKO) plädiert dafür, diese Möglichkeit der vorsorglichen Willensbekundung breit zu unterstützen. In einer heute vorgelegten Stellungnahme zeigt sie Chancen, Risiken und Herausforderungen von ACP auf.
„Wenn Menschen qualifiziert dabei unterstützt werden, sich eine Meinung über mögliche medizinische Maßnahmen an ihrem Lebensende zu bilden, profitieren davon nicht nur die Betroffenen selbst. Auch Angehörige und Ärzte werden in schwierigen Entscheidungssituationen entlastet“, sagte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt anlässlich der Veröffentlichung der Stellungnahme. ACP stelle deshalb eine sinnvolle Ergänzung zu den bewährten Möglichkeiten der vorsorglichen Willensbekundung dar.
Konkret handelt es sich bei Advance Care Planning um ein Konzept, das in den letzten 30 Jahren von den USA, Australien und Kanada ausgehend entwickelt wurde. Unter Einbindung der etablierten rechtlichen Vorsorgeinstrumente beinhaltet das Konzept einen auf die Bedürfnisse des Einzelnen ausgerichteten Kommunikations- und Gesprächsprozess und bezieht die relevanten Akteure des Versorgungssystems mit ein, um die Umsetzung der erstellten Vorausverfügungen zu gewährleisten. Die Basis der Gespräche bildet die Ermittlung individueller Wertvorstellungen zum Leben, zu schwerer Krankheit und zum Sterben. Diese persönlichen Einstellungen liefern nicht nur die Grundlage für die Entscheidung über die generelle Ausrichtung einer medizinischen Behandlung, sondern auch für konkretere Therapieziele.
Die ZEKO betont in ihrer Stellungnahme aber auch die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit ACP. Bei Patienten dürfe keinesfalls der Eindruck eines faktischen Zwangs zur Vorausplanung entstehen. „Der geeignete Zeitpunkt für ein ACP-Gespräch ist sensibel zu wählen“, sagte Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz, Vorsitzender der ZEKO. Auch müsse kritisch geprüft werden, ob im Einzelfall eine proaktive Thematisierung von ACP zu Belastungen bei Betroffenen führen kann. Möglich sei dies zum Beispiel bei neu aufgenommenen Bewohnern in einer stationären Einrichtung, die ohnehin Schwierigkeiten haben, sich in der neuen Umgebung zurecht zu finden. „Umgekehrt kann es bei Menschen mit beginnender Demenz sinnvoll sein, ihnen rechtzeitig vor Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit eine noch selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen“, erläuterte Taupitz.
Auch wenn es in Deutschland mittlerweile eine Vielzahl an unterschiedlich ausgestalteten Konzepten für die gesundheitliche Vorausplanung gibt, befinden sich spezifische, in die medizinische Grundversorgung integrierte ACP-Konzepte, die eine systematische Implementierung von vorausverfügten Willensbekundungen umfassen, noch in den Anfängen.
„Die ZEKO möchte mit der vorgelegten Stellungnahme eine breite und differenzierte Diskussion anstoßen, wie eine Vorausplanung von Behandlungsentscheidungen mittels ACP effektiv unterstützt und möglichst breit zugänglich gemacht werden kann“, so Taupitz.