Montgomery: Es ist höchste Zeit, den Ärztemangel ernsthaft zu bekämpfen
Berlin - „Wir zehren seit Jahren von der Substanz. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte wächst zu langsam, um die enormen Herausforderungen zu bewältigen, vor denen unser Gesundheitssystem steht.“ Davor warnte Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), anlässlich der Vorstellung der Ärztestatistik für das Jahr 2018. Wenn die Politik nicht endlich mit mehr Studienplätzen in der Humanmedizin gegensteuere, werde der demografische Wandel zu erheblichen Engpässen bei der gesundheitlichen Versorgung führen. „Die Bevölkerung in Deutschland ist eine der ältesten weltweit, und sie wird immer älter. Es liegt auf der Hand, dass damit auch der Behandlungsbedarf immer größer wird“, so Montgomery.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sprechen für sich: Allein zwischen 2009 und 2017 stieg die Zahl der Behandlungsfälle in den Krankenhäusern von 17,8 auf 19,5 Millionen. Hinzu kommen etwa eine Milliarde Arztkontakte jährlich in den Praxen.
„Das Terminservice- und Versorgungsgesetz ist kein Ausweg aus der demografisch bedingten Versorgungsfalle, sondern reine Augenwischerei“, kritisierte der BÄK-Präsident. Nach Angaben des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung arbeiten niedergelassene Vertragsärzte im Durchschnitt etwa 50 Stunden pro Woche. In den Krankenhäusern sind Wochenarbeitszeiten zwischen 60 und 80 Stunden keine Seltenheit. Die vom Gesetzgeber geplante Ausweitung der Sprechstundenzeiten ist für Montgomery in Anbetracht dieser Zahlen „ein Affront gegen die vielen Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag am Limit arbeiten.“
Im Jahr 2018 waren der aktuellen Ärztestatistik der Bundesärztekammer zufolge 392.402 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland berufstätig. Dies sind 1,9 Prozent mehr als im Jahr 2017. Der Anteil der berufstätigen Ärztinnen ist dabei erneut angestiegen. Er beläuft sich nun auf 47,2 Prozent. „Die Zahl der Köpfe steigt. Aber sie steigt nicht schnell genug, um den wachsenden Behandlungsbedarf abzudecken“, sagte Montgomery.
Wie aus der Ärztestatistik hervorgeht, hat sich die Zahl der im ambulanten Bereich angestellten Ärzte seit 1996 fast versechsfacht. Sie stieg im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr auf rund 40.000 (+ 10,6 Prozent). Dagegen ist die Zahl der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im vergangenen Jahr um 884 auf 117.472 gesunken. Dies entspricht einem Minus von 0,7 Prozent. Der Anteil der im Krankenhaus tätigen Ärztinnen und Ärzte ist bezogen auf alle ärztlich Tätigen fast unverändert geblieben und beläuft sich auf 51,4 Prozent (Vorjahr: 51,5 Prozent).
„Bund und Länder haben sich jahrelang durchgemogelt und sich darauf verlassen, dass die Ärztinnen und Ärzte es schon richten werden. Es ist richtig, dass der ärztliche Nachwuchs dieses Spiel nicht mehr mitspielt und nicht mehr bereit ist, über seine Belastungsgrenze zu gehen“, unterstrich der BÄK-Präsident. Dabei helfe ihnen auch das verschärfte Arbeitszeitgesetz, das der routinemäßigen Ausbeutung des ärztlichen Krankenhauspersonals in Endlos-Schichten einen Riegel vorgeschoben habe. In Anbetracht der angespannten Versorgungslage reiche es allerdings nicht mehr aus, Masterpläne anzukündigen. „Die Politik muss endlich liefern. Die einzig seriöse Antwort auf den Ärztemangel heißt: Mehr Studienplätze. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt.“
Doch obwohl sich die Lücken in der Versorgung schon länger abzeichnen, ist die Zahl der Studierenden in der Humanmedizin seit der Wiedervereinigung deutlich zurückgegangen. Wie aus den Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervorgeht, gab es im Wintersemester 1990/1991 noch über 95.000 Studierende. Ihre Zahl sank bis zum Wintersemester 2015/2016 auf knapp unter 90.000.
Immerhin verzeichnet die Ärztestatistik ein leichtes Plus bei den Facharztanerkennungen. Im Jahre 2018 wurden 13.336 Anerkennungen ausgesprochen. Damit lag die Zahl über den 12.947 Anerkennungen des Jahres 2017. Die meisten Anerkennungen wurden mit 2.051 für die Facharztbezeichnung Innere Medizin erworben. Die Zahl der Anerkennungen in den Fächern Allgemeinmedizin sowie Innere und Allgemeinmedizin (Hausarzt) ist gegenüber dem Vorjahr von 1.415 auf 1.567 gestiegen.
Etwas Entlastung schafft der Zuzug von Ärzten aus dem Ausland. Die Zahl der in Deutschland gemeldeten ausländischen Ärztinnen und Ärzte ist im Jahre 2018 um rund 3.500 auf annähernd 55.000 gestiegen. Die größte Zahl berufstätiger ausländischer Ärzte kommt aus Rumänien (4.312), Syrien (3908) und Griechenland (2777), gefolgt von Österreich (2309).
Dem Zuzug stehen allerdings 1.941 ursprünglich in Deutschland tätige Ärztinnen und Ärzte gegenüber, die ins Ausland abgewandert sind. Die beliebtesten Auswanderungsländer sind – wie schon in den vergangenen Jahren – die Schweiz (590), Österreich (254) und die USA (105).