Reinhardt: „Nur Ärzteschaft kann bei Reformen den Praxischeck machen“
Deutliche Worte auf dem 127. Deutschen Ärztetag in Essen: Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt hat die unzureichende Einbindung wichtiger Organisationen aus dem Gesundheitswesen in Gesetzgebungsprozesse des Bundes scharf kritisiert.
Insbesondere kritisierte Reinhardt viel zu kurze Fristsetzungen für schriftliche Stellungnahmen bei Gesetzgebungsverfahren. Mitunter gewähre das Bundesgesundheitsministerium nur wenige Stunden Zeit, um Gesetzentwürfe zu analysieren und zu kommentieren. „Dabei handelt es sich um umfangreiche und komplexe Gesetze und Verordnungen, die zu prüfen und zu bewerten mindestens Tage, wenn nicht Wochen in Anspruch nehmen würde“, so der Bundesärztekammer-Präsident. Darunter hätten auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu leiden, auch sie würden von der Regierung oftmals erst „fünf vor zwölf“ informiert. „Ich halte eine solche pro forma Beteiligung des Parlaments und der organisierten Zivilgesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz politischer Entscheidungen für demokratiegefährdend“, so Reinhardt. Diese Meinung teilten viele Organisationen aus dem Gesundheitswesen.
Konkret forderte Reinhardt, bereits bei der konzeptionellen Vorbereitung von Gesetzesinitiativen eingebunden zu werden. Reinhardt: „Nur wir können den Praxischeck machen, ohne den jede Reform zu Verwerfungen in der Versorgung führt oder ins Leere läuft.“
Mehr Einbezug derjenigen, die praktische Erfahrung in der Patientenversorgung haben, sei auch und gerade bei der geplanten Krankenhausreform notwendig. Reinhardt unterstütze die Ziele der vom Bund geplanten Reform: „Auch wir fordern seit langem, dass die Bundesregierung die Krankenhausplanung und insbesondere auch die Krankenhausvergütung neu aufstellt: Die Fallpauschalen heutiger Prägung führen zu ökonomischen Fehlanreizen und extremer Arbeitsverdichtung auf den Stationen. Das kann so nicht bleiben!“
Notwendig sei es aber, den Ländern ausreichend Spielraum zu geben, um die Reform auf ihre regionalen Bedürfnisse auszurichten. Außerdem müsse bei der Reform eine enge Verzahnung mit dem ambulanten vertragsärztlichen Bereich mitgedacht werden. „Das letzte, was wir brauchen, ist ein Verdrängungswettbewerb zwischen den Sektoren“, so Reinhardt.
Grundsätzlich scheine der vertragsärztliche Bereich bei der Bundesregierung keine Priorität zu haben. „Und wenn dann die Politik den ambulanten Sektor in den Blick nimmt, dann um zu kürzen und zu streichen.“ Dies sei ein Affront gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die in der Corona-Pandemie wirklich Herausragendes geleistet haben.
In einem weiteren Schwerpunkt seiner Rede forderte Reinhardt, gesundheitliche Aspekte neben dem Gesundheitsressort in allen Politikbereichen stärker zu berücksichtigen. Neben der klassischen Gesundheitspolitik müssten auch in anderen Ressorts Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit auf den Weg gebracht werden. Der Klimawandel mit seinen Folgen für die menschliche Gesundheit, die demografische Entwicklung und sich verändernde gesellschaftliche Strukturen erforderten ein deutliches Umdenken.
Reinhardt betonte weiter, die Ärzteschaft übernehme nicht nur für die Gesundheit des Einzelnen Verantwortung, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Dies stelle sie unter anderem mit ihrem großen Engagement bei der Bewältigung der humanitären Folgen des Krieges in der Ukraine unter Beweis.
Auf dem 127. Deutschen Ärztetag ist eine Delegation aus ukrainischen Abgeordneten und Vertretern des ukrainischen Gesundheitswesens zu Gast, um sich über das System der ärztlichen Selbstverwaltung in Deutschland zu informieren.
Reinhardt versicherte den ukrainischen Gästen die Solidarität der Ärzteschaft in Deutschland mit dem ukrainischen Volk.
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