Umgang mit Suizidalität: BÄK veröffentlicht Orientierungshilfe für Ärztinnen und Ärzte
Die Bundesärztekammer veröffentlicht vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben Hinweise zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen.
Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen Jahr in einem grundlegenden Urteil entschieden, dass der im Jahr 2015 eingeführte Straftatbestand der „Geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ gemäß § 217 Strafgesetzbuch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und nichtig ist. Das „Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben“ sei Ausdruck persönlicher Autonomie des Suizidwilligen. Es schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Besonders wichtig ist jedoch aus ärztlicher Sicht: Niemand – und das gilt selbstverständlich auch für Ärztinnen und Ärzte – kann verpflichtet werden, eine solche Suizidhilfe zu leisten.
Die Bundesärztekammer hat aus Anlass dieser Entscheidung vom 26. Februar 2020 (Az.: 2 BvR 2347/15) als Orientierungshilfe „Hinweise der Bundesärztekammer zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 StGB“ erstellt. Das Papier gibt Ärztinnen und Ärzten Informationen an die Hand, die ihnen helfen sollen, wenn an sie der Wunsch herangetragen wird, „Hilfe zum Suizid“ zu leisten.
In der öffentlichen Diskussion werden verschiedene Begriffe verwendet. Neben der „Hilfe zum Suizid“ wird häufig von der „Suizidhilfe“, der Suizidbeihilfe, der „Assistenz beim Suizid“ oder der „Unterstützung beim Suizid“ gesprochen. Davon zu unterscheiden sind verschiedene Handlungen, die unter dem Begriff der Sterbehilfe zusammengefasst werden können, insbesondere Maßnahmen der Behandlungsbegrenzung (früher: „passive Sterbehilfe“) sowie die ärztliche Versorgung und Begleitung Sterbender, welche die palliative Versorgung einschließt. Bei der Suizidhilfe, welche der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag, geht es dagegen um die Unterstützung eines anderen Menschen bei seiner freiverantwortlichen Selbsttötung. Diesen Wunsch äußern nicht nur schwerst- oder sterbenskranke Patienten, sondern auch Menschen, die ihr Leben aus ganz anderen, manchmal auch für den Arzt schwer nachvollziehbaren Gründen beenden wollen.
Neben der Beschreibung des komplexen Phänomens der Suizidalität und dem, was das Bundesverfassungsgericht unter einer „Suizidhilfe“ sowie einem „freiverantwortlichen Suizid“ versteht, wird in den Hinweisen der Bundesärztekammer zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen auch der rechtliche Handlungsrahmen skizziert. Es wird aufgezeigt, welche in engem Zusammenhang mit der Umsetzung von Todeswünschen stehenden Handlungen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen straffrei sind. Es werden also sowohl die erlaubten Formen, nämlich die Behandlungsbegrenzung und die Sterbebegleitung, als auch das nach wie vor Verbotene erläutert. Letzteres betrifft die Tötung auf Verlangen, aber auch andere Formen der Fremdtötung. Schließlich werden die betäubungsmittelrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung eines Suizids aufgezeigt, die ebenfalls strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können.
Vor allem jedoch legen die Hinweise dar, was zu den ärztlichen Aufgaben im Umfeld eines Suizids gehören kann und welche Handlungen eine Mitwirkung bei der Selbsttötung darstellen können. In seinem Beschluss IVa–03 hat der 124. Deutsche Ärztetag 2021 bekräftigt, dass die Mitwirkung von Ärzten und Ärztinnen bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe ist. Die Hinweise erläutern, was darunter im Detail zu verstehen ist. Wie auch den Berufsordnungen für Ärztinnen und Ärzten zu entnehmen ist, umfasst die berufliche Tätigkeit – unter Achtung des Selbstbestimmungsrechtes der Patienten – Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Todeswünsche oder Suizidgedanken können daher vor allem Thema eines ergebnisoffenen Gesprächs im Rahmen eines vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses sein. Zu den ärztlichen Aufgaben zählen auch eine palliative Versorgung oder die suizidpräventive Versorgung.
Die individuelle ärztliche Entscheidung, einen anderen Menschen bei einem Suizid, zum Beispiel durch Anleitung oder Verschreibung von Betäubungsmitteln, zu unterstützen, ist in konkreten Fällen berufsrechtlich zu respektieren. Eine unter Umständen auch geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid erfolgt in eigener Verantwortung der handelnden Ärztin oder des handelnden Arztes. Sie sind dabei frei darin, die Hilfe auf bestimmte Lebens- oder Krankheitssituationen zu beschränken oder im Einzelfall andere, für sie persönlich wichtige Umstände und Kriterien zu berücksichtigen, weil sie nicht zur Suizidhilfe verpflichtet werden können.
Aufgrund der Nichtigkeit des § 217 StGB wird die Hilfe zu einem freiverantwortlichen Suizid zurzeit nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Nach Änderung der Berufsordnungen in den Landesärztekammern wird dies auch nicht berufsrechtlich geahndet. Die betäubungsmittelrechtlichen Risiken, die im Zusammenhang mit der Verschreibung von zum Beispiel Natriumpentobarbital zum Zweck der Selbsttötung bestehen, sollten aber weiterhin beachtet werden.
Die „Hinweise der Bundesärztekammer zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 StGB“ beruhen auf den Beratungen im Ausschuss für ethische und medizinisch- juristische Grundsatzfragen und im Vorstand der Bundesärztekammer sowie auf der Grundsatzdebatte auf dem 124. Deutschen Ärztetag 2021. Sie wurden am 25. Juni 2021 vom Vorstand der Bundesärztekammer beschlossen.
Sie ersetzen nicht die „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ aus dem Jahr 2011. Die gegenwärtig politisch erörterten Diskussions- und Gesetzesentwürfe hinsichtlich der Hilfe zur Selbsttötung sind ebenso wenig Gegenstand der Hinweise wie Positionen zu der vom Bundesverfassungsgericht angeregten normativen Ausgestaltung eines Schutzkonzepts im Zusammenhang mit der Suizidhilfe. Letzteres ist Aufgabe des Gesetzgebers.