In Führung gehen: Auch moderne Teamstrukturen brauchen Entscheidungen
Welche Herausforderungen müssen Ärztinnen und Ärzte beim Berufseinstieg bestehen? Wie kann diesen mit Führungskompetenz bestmöglich begegnet werden, und welche Anforderungen an Führung und Karrierewege lassen sich aus der Tatsache „Medizin wird weiblich“ ableiten? Über diese Fragen diskutierten Berufseinsteiger und erfahrene Ärztinnen und Ärzte bei der Veranstaltung „In Führung gehen – Herausforderungen für junge Ärztinnen und Ärzte“, die im November im Rahmen der Reihe „BÄK im Dialog“ stattfand.
Ärztinnen und Ärzte übernehmen Verantwortung für die Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten – vom ersten Tag ihrer Tätigkeit an. „Um handlungssicher in diese Verantwortung und die ärztliche Rolle hineinzuwachsen, ist die Führung durch erfahrene Kolleginnen und Kollegen von besonderer Bedeutung. Zugleich brauchen junge Ärztinnen und Ärzte selbst Führungskompetenzen, um die Zusammenarbeit im interprofessionellen Behandlungsteam souverän gestalten zu können“, betonte Dr. Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK), zur Eröffnung der Veranstaltung.
Lundershausen warnte, dass mit der Kommerzialisierung im Gesundheitswesen nicht nur die Zeit für Patientengespräche knapper wird, sondern auch die Anleitung des ärztlichen Nachwuchses unter Druck gerate. Beides sei jedoch elementar für die gesundheitliche Versorgung und die ärztliche Berufsausübung und müsse sich künftig konsequent in den Vergütungssystemen abbilden.
Ärztliche Führungskompetenz durch strukturierte Weiterbildung stärken
„Junge Ärztinnen und Ärzte haben bereits mit Erhalt ihrer Approbation eine besondere Stellung im interdisziplinären Behandlungsteam“, betonte PD Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser vom Universitätsklinikum Freiburg und Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes in ihrer Keynote zur Veranstaltung. „Pflegekräfte, Patientinnen und Patienten sowie Angehörige erwarten ärztliche Ansprechpartner, die in medizinischen Fragen aber auch in organisatorischen Belangen kompetent sind und denen sie vertrauen können. Was wir Ärztinnen und Ärzte brauchen und uns aneignen müssen, ist Fachkompetenz, Führungskompetenz, Sozialkompetenz und Organisationskompetenz“, so Puhahn-Schmeiser.
Zur Stärkung dieser Kompetenzen bedürfe es gut strukturierter Weiterbildung, die durch Mentoring begleitet werden sollte. Der ärztliche Nachwuchs sollte gleichermaßen gefordert und gefördert werden. Notwendig für die Stärkung von Führungskompetenz seien unter anderem Möglichkeiten für den Auf- und Ausbau von fachlichen Spezialgebieten sowie ausreichend Zeit und Raum für wissenschaftliche Forschung. In einer Podiumsdiskussion tauschten sich Ärztinnen und Ärzte vor Ort sowie online zugeschaltete Gäste unter anderem über die Frage der Attraktivität von Führungspositionen, Möglichkeiten zur Stärkung der Führungskompetenz in der Weiterbildung und den Stellenwert von ärztlicher Führung im Rahmen interprofessioneller und kooperativer Berufsausübung aus. Ein weiterer Schwerpunkt der Debatte war die Erhöhung des Anteils von Ärztinnen in Führungspositionen.
Gute Rahmenbedingungen für Work-Life-Balance schaffen
Die Diskutanten stimmten überein, dass neue Ansätze erforderlich sind, um Karriereambitionen und die Kompatibilität von Beruf und Privatleben – nicht nur für Ärztinnen – in Einklang zu bringen. Notwendig seien unter anderem verlässliche Arbeitszeiten, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, limitierte und bezahlte Überstunden sowie der Ausbau von Teilzeitmodellen und zeitlich flexiblen Angeboten für die Kinderbetreuung.
Die Gründe für Defizite in der Weiterbildung liegen für Melissa Camara-Romero vom St.-Antonius-Hospital gGmbH in Eschweiler in der einseitigen, Output-orientierten Ökonomisierung der Krankenhausmedizin. Das Gesundheitswesen leide unter einer enormen Arbeitsverdichtung. In Kombination mit Personalmangel und Zeitknappheit führe dies dazu, dass für Weiterbildung, aber auch für Forschung zu wenig Zeit verbleibe. Der Kompetenzerwerb durch externe Seminare erfahre kaum Wertschätzung.
Dr. Leonor Heinz von der Deutschen Stiftung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin in Berlin betonte: Eine der wichtigsten Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten und der Medizin sei es zu prüfen, welche medizinischen Investitionen eigentlich sinnvoll und nützlich für Patientinnen und Patienten wären. Eine solche Nutzenbewertung bleibe gegenwärtig auf der Strecke, da Ärztinnen und Ärzte insbesondere im stationären Bereich vor allem als Leistungserbringer betrachtet würden, die dazu angehalten seien, betriebswirtschaftlich erforderliche Leistungsmengen abzuliefern, so Heinz bei der Veranstaltung.
„Als Arzt kommt man um Führung nicht herum. Es ist unser Kernjob, das Behandlungsteam zu koordinieren im Sinne der Patienten“, erklärte PD Dr. Kevin Schulte vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Um jedoch Verantwortung und Führung übernehmen zu können, bedürfe es akzeptabler Rahmenbedingungen.
Für Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, ist der Begriff der Führung nicht mehr zeitgemäß, denn „Führung heißt Hierarchie“. Viel entscheidender sei heute eine moderne Teamstruktur. „In einem Team ist es wichtig, dass Jede und Jeder in der Lage ist zu führen. Denn auch moderne Teamstrukturen brauchen Entscheidungen“, bekräftigte Gehle zum Abschluss der Tagung. Diese Entscheidungen sollten aber in einer „vertrauensvollen, kollegialen, von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung geprägten Atmosphäre getroffen werden“.