Suchtmedizin: Ärztlichen Nachwuchs in den Fokus rücken

Trotz steigender Nachfrage für eine Substitutionsbehandlung Opioidabhängiger sinkt die Zahl substituierender Ärztinnen und Ärzte. Immer mehr von ihnen gehen in den Ruhestand; der ärztliche Nachwuchs fehlt.

Die Bundesdrogenbeauftragte, Daniela Ludwig, und die Bundesärztekammer haben deshalb die Initiative „Substitutionstherapie – Wege zurück ins Leben“ gestartet, um mehr junge Ärzte für die Substitutionsbehandlung zu gewinnen.

Schätzungsweise 166.000 Menschen in Deutschland sind opioidabhängig. Weniger als die Hälfte von ihnen befindet sich in Behandlung bei substituierenden Ärztinnen und Ärzte. Bei der Substitutionsbehandlung wird das von den Abhängigen konsumierte Opioid – zumeist Heroin – durch ein opioidhaltiges Medikament wie etwa Methadon oder Levomethadon ersetzt.

Vorrangiges Ziel der Substitutionsbehandlung ist es, den Suchtdruck und die Entzugsbeschwerden bei den Patientinnen und Patienten zu unterdrücken und den Drogenkonsum schrittweise zu reduzieren. Dadurch können das Überleben der Patienten gesichert und psychische und somatische Begleiterkrankungen behandelt werden. Zugleich wird das Risiko einer Infektionserkrankung wie HIV oder Hepatitis verringert.

Über eine begleitende psychosoziale Betreuung sollen Patienten unter anderem darin unterstützt werden, (wieder) einer Ausbildung oder geregelten Arbeit nachzugehen, soziale Beziehungen wiederherzustellen oder aufzubauen und gegebenenfalls auch für ihre Kinder wieder Sorge zu tragen. Verschiedene wissenschaftliche Studien bestätigen diesen Therapieansatz. So begleiteten beispielsweise Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden sechs Jahre lang mehr als 2 000 Patienten, um die Effekte der langfristigen Substitutionsbehandlung zu untersuchen (PREMOS-Studie).

Versorgungslücken bei der Substitutionsbehandlung schließen

Basierend auf den von den substituierenden Ärztinnen und Ärzten gemeldeten Patientinnen und Patienten erstellt die Bundesopiumstelle im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen jährlichen Substitutionsbericht. Dieser hat in den vergangenen Jahren zunehmend gezeigt: Die Zahl der substituierenden Ärztinnen und Ärzte sinkt. Waren im Jahr 2011 noch etwa 2 700 in diesem Bereich tätig, sind es derzeit rund 2 500 Ärzte. Damit werden Versorgungslücken bei der Substitutionsversorgung in Deutschland größer – vor allem fernab der Großstädte.

„Es ist allerhöchste Zeit, die weißen Flecken in der Substitutionsversorgung zu beseitigen und das Angebot noch direkter an die Patientinnen und Patienten anzupassen. Wir stehen vor einem akuten Nachwuchsmangel, wenn es uns nicht gelingen sollte, die Substitutionsbehandlung und das Thema Sucht bereits für den ärztlichen Nachwuchs in den Fokus zu rücken.“ erklärt die Bundesdrogenbeauftragte Ludwig das Ziel der Initiative. Mögliche Hemmschwellen sollen ab- und das Interesse an der Substitution aufgebaut werden.

Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt sieht einen Grund für das nachlassende Engagement junger Ärzte in diesem Bereich in der nach wie vor verbreiteten Ansicht, Heroinabhängige seien Kriminelle. „Es ist keine leichte Entscheidung, sich diesen Patienten zuzuwenden – insbesondere, weil sich deren Behandlung nicht so ohne Weiteres in den Praxisalltag einbinden lässt“, so Reinhardt. Dabei werde allerdings verkannt, dass gerade durch die Substitutionsbehandlung viele der Patienten eine reelle Chance haben, sich wieder ein stabiles und normales Leben aufzubauen.

Zielte die Behandlung von Opioidabhängigen in der Vergangenheit vor allem auf eine Abstinenz der Patienten, steht nun die Stabilisierung des Patienten durch eine in der Regel langfristige Substitutionsbehandlung im Fokus – wodurch das Rückfall- und Mortalitätsrisiko wirksam gesenkt werden kann.

„Würde nach wie vor Abstinenz als vorrangiges Behandlungsziel anvisiert, bestehe die Gefahr, Patienten wieder zu verlieren, und dass diese sich auf der Straße überdosieren und versterben“, betont Reinhardt. In der Richtlinie der Bundesärztekammer (BÄK) sei klar geregelt, dass die Stabilisierung von Patienten und die Behandlung ihrer Begleiterkrankungen sowie die Verringerung des Infektionsrisikos Priorität haben müssen. Mit dem Abstinenzziel hingegen müsse sehr behutsam verfahren werden – weniger als zehn Prozent erreichten dauerhafte Abstinenz. „Sucht ist eine chronische Erkrankung, die leider oftmals auch einer dauerhaften Behandlung bedarf – wie bei einem Diabetiker auch“, so Reinhardt.

Rechtliche Grundlagen und ärztliche Therapiefreiheit

Die Substitutionsbehandlung opioidabhängiger Patienten basiert rechtlich auf dem Betäubungsmittelgesetz und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Mit letzterer wurden der BÄK weitreichende Kompetenzen übertragen, den Behandlungsrahmen mittels einer Richtlinie auf Grundlage des medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands auszugestalten. Eine darauf abgestimmte Anpassung der Substitutionsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für die kassenärztliche Versorgung erfolgte 2018.

Vor Behandlungsbeginn ist zunächst die Diagnose einer Opioidabhängigkeit gemäß ICD-10 sicherzustellen. Abzuklären ist auch, ob der Patient Alkohol oder andere psychotrope Substanzen zusätzlich zum Opioid konsumiert. Zu Therapiebeginn sind eine tägliche Einnahme des Substituts unter Sicht sowie engmaschige Kontrollen eines begleitenden Substanzkonsums erforderlich. Ist der Patient stabil eingestellt, kann eine sogenannte Take-home-Verordnung ausgestellt werden. Diese erlaubt die eigenverantwortliche Einnahme des Substituts über einen Zeitraum von bis zu sieben, in begründeten Fällen bis zu 30 Tagen.

Pandemiebedingt wurden mit der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung im April 2020 unter anderem die Regelungen zum erforderlichen täglichen Praxiskontakt gelockert, um das Infektionsrisiko für alle Beteiligten zu reduzieren.

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