(beschlossen vom 102. Deutschen Ärztetag 1999)
- Vorbemerkungen -
Die moderne Organisationswissenschaft belegt, dass die wesentlichste Voraussetzung für den Fortbestand von Organisationen der möglichst effiziente Einsatz qualifizierter Mitarbeiter ist. Qualifizierte Personalführung, Personalentwicklung, Personalfortbildung und Personalmotivation stellen hierfür entscheidende Faktoren dar. Die Dynamik des sich vor allem im stationären Bereich entwickelnden medizinischen Fortschritts erfordert von den Krankenhäusern eine hohe, personell breitgefächerte Anpassungsfähigkeit. Medizinischer Fortschritt ist Folge von Spezialisierung und Differenzierung und führt dazu, dass medizinisches Wissen nicht mehr "hierarchisch gegliedert" ist und insoweit sich fortentwickelnde Medizin nicht mehr von einem Entscheidungsträger "befohlen" werden kann. Krankenhäuser müssen sich zunehmend als flexible Unternehmen verstehen, die am "Markt" bestehen müssen. Die Entwicklung unternehmerischer Zielplanung als neue Management-Aufgabe auch in den Krankenhäusern wird nur durch qualifiziertes Personal bewältigt werden können. Ebenso für eine neue "Außenorientierung" der Krankenhäuser (Darstellung des Leistungsniveaus nach außen, "Kundenpflege" gegenüber Patienten, niedergelassenen Ärzten, kooperierenden stationären Einrichtungen) ist qualifiziertes, motiviertes Personal erforderlich.
Krankenhäuser sind in Zukunft mehr denn je auf Kooperation sowie Vernetzung mit den vor- und nachgelagerten Bereichen angewiesen. Sie werden ihre Existenz zukünftig nur sichern können, wenn sie ihr differenziertes Leistungsspektrum synergetisch aufeinander abstimmen. Dies verlangt ein hohes Maß interner Kooperation und integrierter Abstimmung der verschiedenen ärztlichen Leistungsbereiche. Ziel ist daher die Herstellung interner und externer Leistungstransparenz auf der Basis empirischer Analysen sowie die Bemühung um Qualitätssicherung und durch Leitlinien gestützte Medizin, aber auch eine gezielte Information der Patienten. Die Begleitung der Patienten durch das Leistungsgeschehen im Krankenhaus erfordert primär die Kompetenz des für die Behandlung verantwortlichen Arztes.
Unter diesen geänderten, sich weiter wandelnden Rahmenbedingungen kann weder in fachlicher noch in organisatorischer Hinsicht in den einzelnen Leistungsbereichen des Krankenhauses jeweils ein Entscheidungsträger in der Lage sein, die für eine kompetente Führung dieser Bereiche notwendigen Anforderungen zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund ist die herkömmliche Hierarchie jedoch eine ungeeignete Form der Führung und den aufgezeigten Problemen in keiner Weise angemessen.
Die Ärzteschaft plädiert daher im Interesse einer qualitativ hochstehenden stationären Patientenversorgung und einer effizienten Nutzung der knapper werdenden Ressourcen dafür, moderne, kooperativ ausgerichtete Formen der ärztlichen Führung in den verschiedenen Leistungsbereichen (Abteilungen der Krankenhäuser) schrittweise einzuführen. In Anbetracht der differenzierten Struktur der Krankenhäuser sind hierzu modifizierte Ausgestaltungsformen zu entwickeln. Bei kooperativ ausgerichteten Führungsstrukturen ist auch sicherzustellen, dass in spezifischen Situationen der Patientenversorgung (z.B. Notfall) unverzüglich ärztliche Entscheidungskompetenz vorhanden ist.
Die Ärzteschaft ist daher davon überzeugt, dass für den Erhalt und die Verbesserung einer qualitativ hochstehenden Patientenversorgung in Krankenhäusern eine kooperativ ausgerichtete ärztliche Führungsorganisation unabdingbare Voraussetzung ist. Kooperatives ärztliches Management im Krankenhaus ist Ausdruck der prinzipiellen Gleichwertigkeit hochspezialisierten ärztlichen Wissens und dessen Nutzung. Kooperativ ausgerichtete Führungsmodelle können - anders als rein hierarchische Führungsstrukturen - erhebliche Wirtschaftlichkeits-, Leistungs- und Qualitätsreserven mobilisieren.
- Konzept -
Vor diesem Hintergrund wird die traditionelle, institutionalisierte hierarchische Struktur des ärztlichen Dienstes in den Krankenhäusern den modernen Anforderungen nicht mehr gerecht. In Anbetracht des enormen medizinischen und medizintechnischen Fortschritts überfordert der Umfang von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem sowohl quantitativ erweiterten als vor allem auch qualitativ veränderten Leistungsspektrum selbst in den einzelnen Fachgebieten schon seit langem die Leistungsfähigkeit eines einzelnen Arztes. Diesem heutigen Stand der Differenzierung und Spezialisierung in der Medizin mit dem entsprechenden Erfordernis der stärkeren Arbeitsteilung muss auch die Organisation und Struktur des ärztlichen Dienstes in Krankenhäusern nachfolgen. Der medizinisch-wissenschaftliche Fortschritt - aber auch der Kostendruck - erfordert darüber hinaus einen größeren Anteil qualifizierter berufserfahrener Krankenhausärzte mit speziellen Fachkenntnissen und Erfahrungen. Nur so können auch für jeden Patienten stets Ärzte mit den jeweils benötigten speziellen Fachkenntnissen zur Verfügung stehen. Um solche Ärztinnen und Ärzte an das Krankenhaus binden zu können, sind dieser besonderen Verantwortung entsprechende attraktive Arbeitsbedingungen erforderlich.
Ebenso sind die Anforderungen hinsichtlich der Leitung von Krankenhausabteilungen vielfältiger geworden, nicht zuletzt wegen der deutlich komplexer gewordenen Finanzierungsgrundlagen von Krankenhausleistungen sowie der für eine moderne Betriebsführung zunehmend entscheidenden Faktoren der Personalentwicklung und Personalführung. Auch hier kann ein Arzt allein nicht mehr allen Anforderungen gleichermaßen gerecht werden. Nicht alle Ärzte sind notwendigerweise auch an Managementaufgaben interessiert, selbst wenn sie auf Grund einer besonderen fachlichen Qualifikation in eine leitende Position gekommen sind. Gerade jedoch Management-Kompetenz ist für die Leitung der Fachabteilungen in den Krankenhäusern mehr denn je erforderlich.
Diese Entwicklungen hat die deutsche Ärzteschaft schon frühzeitig erkannt. Daher haben die Bundesärztekammer und der Deutsche Ärztetag wiederholt eine Strukturreform des ärztlichen Dienstes in Krankenhäusern gefordert und angemahnt. Diese Vorschläge wurden zuletzt auf dem 101. Deutschen Ärztetag 1998 in Köln bekräftigt und erneuert. Sie erhalten unter dem Aspekt der ebenso notwendigen besseren Integration der ambulanten und stationären Versorgung sowie der besseren Nutzung von Ressourcen neues Gewicht.
Eine auf Funktionen und Qualifikationen ausgerichtete Leitungsstruktur ist der historisch bedingten, formalen hierarchischen Struktur des ärztlichen Dienstes in Krankenhäusern überlegen. Qualifizierte Fachärzte übernehmen als leitende Fachärzte in kooperativer Form die fachliche und administrative Leitung einer Krankenhausabteilung/eines Fachbereiches. Sie sind untereinander grundsätzlich gleichberechtigt. Sie schlagen aus ihrer Mitte einen Sprecher vor, der die Abteilung/Fachgruppe nach außen vertritt. Dieser Sprecher wird im Einvernehmen mit der Krankenhausleitung (Direktion) vom Krankenhausträger für eine definierte Amtsperiode berufen. Er ist auch koordinierender Ansprechpartner gegenüber dem Krankenhausträger, der Direktion, der Pflegedienstleitung und anderen Abteilungsleitern bzw. Sprechern.
Die leitenden Fachärzte legen darüber hinaus die Verteilung der administrativen Aufgaben, der Verpflichtung hinsichtlich der Aus- und Weiterbildung wie auch der medizinischen Aufgaben untereinander verbindlich fest. Dabei bleibt es bei dem Grundsatz, dass der behandelnde Facharzt - soweit er alleine handelt - selbstverständlich für sein Handeln allein verantwortlich ist. Die Stellen für leitende Fachärzte müssen - den Anforderungen entsprechend - ausreichend bemessen sein, damit die vielfältigen Aufgaben erledigt werden können. Sie werden - analog zu den heutigen leitenden Positionen - ausgeschrieben und im Einvernehmen mit dem bestehenden Team durch Letztentscheidung des Krankenhausträgers besetzt.
Neben den leitenden Fachärzten gibt es Abteilungsärzte, die entweder noch in der Weiterbildung sind, oder bereits Fachärzte - jedoch ohne die besondere Verantwortung der leitenden Fachärzte. Diese Ärzte stellen gemeinsam mit den leitenden Fachärzten bzw. unter ihrer fachlichen Aufsicht - insbesondere soweit es sich um Ärzte ohne abgeschlossene Gebietsweiterbildung handelt - die ärztlich-medizinische Versorgung der Patienten sicher.
Dabei sollen auch die Abteilungsärzte durch die leitenden Fachärzte soweit möglich an die Übernahme von Verantwortung herangeführt werden, um sie zu qualifizieren und die teamorientierte Zusammenarbeit und Leistungsbereitschaft zu fördern. Die Grundstruktur dieses Modells veranschaulicht die anliegende Graphik.
Angesichts der in Deutschland derzeit bestehenden Leitungsstrukturen (1996: 11.800 Chefärzte; 21.500 Oberärzte; 71.400 Assistenzärzte, davon 22.600 mit abgeschlossener Weiterbildung) sowie auch des ohnehin geltenden Prinzips, dass ein Facharzt für sein eigenes ärztliches Handeln selbst verantwortlich ist, würde die Einführung derart geänderter Strukturen keine radikalen Einschnitte bedeuten, allerdings zahlreiche Möglichkeiten nicht zuletzt im Hinblick auf die Integration von ambulanter und stationärer ärztlicher Versorgung eröffnen. Selbstverständlich müssen zahlreiche organisatorische Fragen geregelt werden. Dazu gehört auch die Konfliktlösung. Diese sollte - sofern sie nicht medizinische Fragen betrifft und insofern entweder fachlich eindeutig zu klären ist oder von dem jeweils behandelnden Facharzt zu vertreten ist - letztlich auf demokratischer Grundlage erfolgen. Allerdings muss es im Falle unüberwindbarer Konflikte auch möglich sein, einen leitenden Facharzt aus seiner Position zu entfernen - bei Wahrung des Grundsatzes eines unbefristeten Arbeitsplatzes. Grundsätzlich soll die Klärung möglichst vieler Detailfragen - wie z. B. die Verteilung administrativer Aufgaben aber auch ggf. Amtszeiten eines Sprechers - "vor Ort" durch die betroffenen Ärzte bzw. im Einvernehmen mit der jeweiligen Direktion und dem Krankenhausträger erfolgen.
Die Bundesärztekammer ist davon überzeugt, dass mit der dargestellten Neuorganisation des ärztlichen Dienstes in Krankenhäusern sowohl eine Verbesserung der Patientenversorgung als auch ein effizienterer Einsatz zunehmend knapper werdender Ressourcen erreicht werden kann.