Gedenkveranstaltung

am 8. November 2018 in Berlin

Ärzteschaft erinnert an Approbationsentzug jüdischer Ärzte vor 80 Jahren

Vor 80 Jahren, am 30. September 1938, wurde jüdischen Ärzten im Deutschen Reich die Approbation entzogen. Der Entrechtung folgte die Vertreibung und oft auch die Ermordung in Vernichtungslagern.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesärztekammer haben am 08. November 2018 an die verfolgten jüdischen Ärzte und an alle Opfer des NS-Regimes erinnert und dazu eine Gedenktafel auf dem Herbert-Lewin-Platz in Berlin-Charlottenburg errichtet.

Pressemitteilung vom 09.11.1018

Rede von Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery

Präsident der Bundesärztekammer, zur Gedenkfeier der deutschen Ärzteschaft

(es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrte Damen und Herren,

meine Vorredner haben die Verbrechen und Verfehlungen der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus angesprochen - begangen sowohl an Patientinnen und Patienten als auch an ihren jüdischen Kolleginnen und Kollegen.

Der Gedanke an diese dunkelste Zeit der deutschen Ärzteschaft schmerzt. Aber Gedanken und Gedenken sind wichtig. Sie halten die Erinnerung an das Geschehene wach. Sie halten uns wachsam, Unrecht und Unmenschlichkeit nicht einmal im Ansatz zuzulassen.  Und lassen Sie mich das im Beisein unserer israelischen Gäste bekräftigen: Wir werden wachsam sein, seien Sie versichert – gerade in Zeiten wie diesen.

Meine Damen und Herren,

für das Gedenken an den Approbationsentzug jüdischer Ärztinnen und Ärzte kann es keinen würdigeren Ort geben, als den Herbert-Lewin-Platz. Denn er trägt den Namen eines jüdischen Arztes dem genau dieses Schicksal wiederfahren ist.

Auch Herbert Lewin wurde die Approbation entzogen. Als sogenannter Krankenbehandler erhielt er die Erlaubnis, jüdische Patienten medizinisch zu versorgen, ehe die Nazi-Schergen ihn und seine Ehefrau Alice ins Ghetto von Lodz deportierten. Alice starb, Herbert Lewin überlebte - mit sehr viel Glück.

Und auch nach dem Krieg war Herbert Lewin noch antisemitischen Vorurteilen ausgesetzt. Sie standen im Zusammenhang mit seiner Berufung als Chefarzt an die Städtische  Frauenklinik in Offenbach. Trotzdem – oder gerade deshalb - setzte er sich bis zu seinem Tod im Jahr 1982 mit großem Engagement für die Interessen der Juden in Deutschland und Israel ein.

Ich meine, auch vor diesem Hintergrund kann es für die Errichtung unserer Gedenktafel keinen besseren Ort geben.

Meine Damen und Herren,

Die Ärzteschaft hat sich nach dem Krieg spät, viel zu spät, zu der Schuld von Ärzten im Nationalsozialismus bekannt. Die Nürnberger Prozesse standen zwar am Anfang, doch gab es bis in die 1970er Jahre hinein keine wirkliche Auseinandersetzung mit den von Ärzten begangenen Verbrechen und Verfehlungen.

Erst vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und sozialen Wandels wurde das Thema mehr und mehr enttabuisiert. „Die Scham wird immer bleiben; wir können die Vergangenheit niemals bewältigen“, sagte mein Vorvorgänger im Amt, Karsten Vilmar, auf dem 90. Deutschen Ärztetag in Karlsruhe im Jahr 1987. Und weiter: Es bleibe den Ärzten „vielleicht die Gnade des Verzeihens, aber niemals das Vergessen“.

Seither beschäftigten sich viele Deutsche Ärztetage intensiv mit diesem gleichermaßen schwierigen wie wichtigen Thema. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die im Jahr 2012 vom 115. Deutschen Ärztetag gefasste Nürnberger Erklärung zur Rolle der Ärzteschaft in der NS-Zeit. Darin bekennt der Ärztetag die wesentliche Mitverantwortung von Ärzten an den Unrechtstaten der NS-Medizin. Er drückt sein tiefstes Bedauern darüber aus, dass Ärzte sich entgegen ihrem Heilauftrag durch vielfache Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben.

Doch auch wenn die Mitschuld der Ärzte an den Verbrechen der NS-Gewaltherrschaft im Rahmen zahlreicher von der Ärzteschaft unterstützter Forschungsprojekte und Ausstellungen untersucht und dargestellt wurde, ist sie noch immer  nicht ausreichend aufgearbeitet worden.

Die Bundesärztekammer schreibt zusammen mit dem Bundesministerium für Gesundheit, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie den Spitzenorganisationen der Zahnärzteschaft seit dem Jahr 2006 einen  Forschungspreis zur Aufarbeitung der Geschichte der Ärzte in der NS-Zeit aus, den „Herbert-Lewin-Preis“. Geehrt und gefördert wurden in den vergangenen Jahren auch Arbeiten, die sich explizit mit dem Schicksal entrechteter jüdischer Ärztinnen und Ärzte beschäftigten.

Einen anderen Fokus setzt die Wanderausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“, die wir von heute an bis zum 20. November im Haus der Bundesärztekammer zeigen. Die Ausstellung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde dokumentiert die Beteiligung von Ärzten an der systematischen Ermordung von Kranken.

Meine Damen und Herren,

Forschungsprojekte, Dokumentationen und Ausstellungen sind wichtig und wir müssen sie weiter fördern. Ein ebenso wichtiger Bestandteil der Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit ist ein ehrlicher, regelmäßiger Austausch mit den Nachfahren und Kolleginnen und Kollegen aus Israel.

So kamen im August 2015 hier am Herbert-Lewin-Platz die Vertreter der Bundesärztekammer und der Vorstand des Israelischen Ärzteverbandes zusammen.

Den Zeitpunkt hatten wir bewusst gewählt, da die Bundesrepublik Deutschland und der Staat Israel in jenem Jahr das 50jährige Jubiläum der Aufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen begingen. Als Vertreter der Ärzteschaft in Deutschland wollten wir unseren Beitrag zu diesem historischen Ereignis leisten. 

Es waren zwei bewegende Tage. Wir erfuhren viel über die Geschichten der Familien der angereisten Vorstandsmitglieder. Einige Eltern unserer Gäste waren ebenfalls Ärztinnen und Ärzte, die in Deutschland praktiziert hatten.

Mit dem Besuch einer Delegation des Vorstandes der Bundesärztekammer in Israel auf Einladung des israelischen Ärzteverbandes im März dieses Jahres, wurde der gegenseitige Austausch nun fast schon zu einer guten Tradition.

Getragen wird dieser Austausch von der Erkenntnis, dass wir eine gemeinsame Verantwortung gegenüber den zukünftigen Ärztegenerationen haben.

Der neue Präsident der Israeli Medical Association, Professor Zion Hagai, war vor drei Jahren Teil der israelischen Delegation. Er geht diesen Weg im Bewusstsein unseres Versprechens von 2015 weiter, dass wir gemeinsam die Erinnerung aufrechterhalten wollen. Dieses Versprechen bekräftigen wir mit Gedenktagen wie dem heutigen.

Meine Damen und Herren,

Es freut mich sehr, dass mein Freund Leonid Eidelman heute nun als Präsident des Weltärztebundes bei uns ist und sich im Anschluss mit einem Grußwort an Sie wenden wird.