Gesundheitswesen auf Hitzewellen nicht vorbereitet
Hitzewellen treten immer häufiger auf. Damit steigen auch die Gesundheitsrisiken für die Menschen. Das Gesundheitswesen aber ist auf Wetterextreme wie Hitze bislang gar nicht oder nur unzureichend vorbereitet. Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt fordert deshalb mit Nachdruck einen nationalen Hitzeschutzplan.
Der Sommer 2022 war zu heiß, zu trocken und mit mehr als 800 Sonnenstunden der sonnigste seit 70 Jahren. „Wir dürften damit in Zeiten des Klimawandels einen bald typischen Sommer erlebt haben“, bilanziert der Deutsche Wetterdienst. Der daraus resultierende Hitzestress und hohe bodennahe Ozonkonzentrationen können vor allem für vulnerable Personen schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben.
„Wir brauchen dringend einen nationalen Hitzeschutzplan auf Bundesebene. Auf Landes- und kommunaler Ebene sollten die unterschiedlichen Hitzeschutzpläne koordiniert und umgesetzt werden, mit besonderem Augenmerk auf schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen. Ärztinnen und Ärzte aus Klinik und Praxis sollten bei der Ausarbeitung der Hitzeschutzpläne einbezogen werden.“, betonte Reinhardt bereits im Juli dieses Jahres, als die andauernde Hitze Europa fest im Griff hatte.
Risiko hitzebedingter Krankenhauseinweisungen steigt
Insbesondere im Freien arbeitende und ältere Menschen, solche mit Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen sowie Schwangere und Kleinkinder sind durch die Folgen von zu hohen Temperaturen gefährdet. So hat beispielsweise ein Viertel der rund 18 Millionen über 65-Jährigen ein erhöhtes Risiko, hitzebedingt ins Krankenhaus zu müssen. Je nach Klimapolitik könnte sich die Zahl bis zum Jahr 2050 bereits auf 85 Prozent erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) auf der Basis anonymisierter Abrechnungsdaten der AOK.
Auch das Mortalitätsrisiko steigt bei zunehmender Hitze. Eine aktuelle Auswertung des Robert Koch-Instituts (RKI), des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und des Umweltbundesamts zeigt, dass in den drei Sommern 2018 bis 2020 in Deutschland mehr als 19.000 Menschen aufgrund der Hitze gestorben sind. Zum ersten Mal seit Beginn des Untersuchungszeitraum im Jahr 1992 sei eine signifikante Übersterblichkeit aufgrund von Hitze in drei aufeinanderfolgenden Jahren aufgetreten, heißt es in der Studie.
So habe es 2018 – Schätzungen zufolge – etwa 8.700 hitzebedingte Sterbefälle gegeben. Im Jahr 2019 waren es etwa 6.900. Im Jahr 2020 wurden etwa 3.700 Hitzetote gemeldet. Im Jahr 2021 sei keine auffällig erhöhte Übersterblichkeit durch Folgen extremer Hitze registriert worden. Dennoch stützt die Auswertung des RKI, DWD und Umweltbundesamtes die Schätzungen des Lancet Countdown (2018), nach dem die Zahl hitzebedingter Todesfälle bis 2030 auf jährlich 30.000 innerhalb Europas steigen könnte; bis zu den 2080er Jahren mitunter auf 50.000 bis 110.000 Todesfälle pro Jahr.
Gesundheitswesen nicht auf Hitzewellen vorbereitet
Wichtig sind Maßnahmenpläne für Kliniken, Not- und Rettungsdienste sowie Pflegeeinrichtungen zur Vorbereitung auf Extremwetterereignisse. Bund und Länder müssten dafür die nötigen personellen und räumlichen Ressourcen schaffen und auch langfristig vorhalten können. „Wir brauchen aber auch eine naturnahe, nachhaltige Städteplanung, um sogenannten urbanen Hitzeinseln entgegenzuwirken“, forderte BÄK-Präsident Reinhardt.
Wichtig seien Gebäude mit Raumtemperaturüberwachung, kühle Aufenthalts- und Versorgungsbereiche, die Kooperation mit den Rettungsdiensten sowie kommunale Hitzeaktionsmaßnahmen. „Ziel des Hitzeschutzes muss es sein, hitzebedingte Erkrankungen und Todesfälle zu vermeiden und das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu bewahren. Darauf ist Deutschland nach wie vor schlecht vorbereitet“, so Reinhardt.
Dabei hatte eine Bund-Länder-Ad-hoc Arbeitsgruppe unter der Leitung des Bundesumweltministeriums bereits 2017 Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit erarbeitet. Ein bundesweiter Hitzeaktionsplan ist darin allerdings nicht vorgesehen.
Vielmehr wird die Zuständigkeit bei den Ländern und Kommunen gesehen, „da jeweils die örtlichen Gegebenheiten und hier insbesondere die klimatischen Bedingungen die Basis für die Entwicklung und Umsetzung geeigneter und sinnvoller Maßnahmen darstellen“, bilanziert die Arbeitsgruppe. Die Empfehlungen sollen Hilfe bei der Erstellung solch angepasster – kurz- und längerfristig umsetzbarer – Hitzeaktionspläne sein.
Ärzteschaft mahnt fehlende Vorbereitung des Gesundheitswesens auf Wetterextreme an
Die Ärzteschaft hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf die fehlende Vorbereitung des Gesundheitswesens auf Wetterextreme hingewiesen. Gesundheitseinrichtungen sollten an das Frühwarnsystem des Deutschen Wetterdienstes angeschlossen werden. Die Bevölkerung sollte außerdem kontinuierlich über die Intensität klimabedingter Belastungsfaktoren wie Hitze oder erhöhte Ozonwerte informiert werden, forderte der 125. Deutsche Ärztetag im Jahr 2021 in Berlin.
Passiert ist bisher wenig – zumindest nicht flächendeckend. Trotz eines wachsenden Bewusstseins für den Ernst der Lage stünden konkrete Maßnahmen aus, um klimabedingte Gesundheitsrisiken zu vermeiden. So hätten bislang nur wenige Kommunen umfassende und integrierte Hitzeaktionspläne umgesetzt, heißt es im Policy Brief des Lancet Countdown für Deutschland 2021.
Es brauche die Hitzeschutzpläne, um Krankenhäusern, Praxen und Pflegeeinrichtungen konkrete Maßnahmen an die Hand zu geben, wie man die Menschen zum Trinken bewegen könne, Medikamente und Geräte richtig lagere oder die Temperatur in Räumen kühler halte, erläuterte PD Dr. Peter Bobbert, einer der beiden Vorsitzenden der BÄK-Arbeitsgruppe „Klimawandel“ und Präsident der Ärztekammer Berlin. Auch bauliche Maßnahmen könnten erforderlich sein.
Wichtig sei vor allem, dass sich jemand in den Einrichtungen für den Hitzeschutz verantwortlich fühle. Lange Zeit sei das nicht so gewesen. Dies sei nun in Bewegung gekommen, aber es müsse schnell mehr passieren, betont Bobbert. In Berlin beispielsweise haben die Ärztekammer, die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG) und die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung das „Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin“ gegründet und Hitzeschutzpläne für das Land Berlin erarbeitet.
Ärzteschaft übernimmt Verantwortung
„Der Klimawandel und damit die zunehmende Belastung durch Hitze und deren Folgen sind auch im Gesundheitssektor angekommen, trägt er doch selbst auch zur Klimabelastung bei“, betonte Dr. Gerald Quitterer, ebenfalls Vorsitzender der BÄK-Arbeitsgruppe „Klimawandel“ und Präsident der Bayerischen Landesärztekammer. Nicht nur die Gesundheit der Menschen sei für Ärztinnen und Ärzte ein zentrales Thema. Auch die Ärzteschaft selbst bekenne sich zu ihrer Verantwortung, der Klimaveränderung entgegenzutreten.
„Wir wollen nicht mehr warten, was auf uns zukommt, sondern selbst eine aktive Rolle übernehmen, auch wenn es darum geht, die Umweltbelastungen durch den Gesundheitssektor zu reduzieren“, so Quitterer. Es reiche nicht, Empfehlungen und Forderungen zu stellen. Verantwortung müsse übernommen und Hitzeschutz zu einer zentralen Aufgabe gemacht werden. Bei allen notwendigen Verhaltensänderungen im Zusammenhang mit gesundheitlichen Belastungen durch Hitze müssten von der Politik notwendige Rahmenbedingungen geschaffen werden.