Früherkennung und Diagnose von Alkoholerkrankungen in der Praxis

Die Diagnose einer Alkoholerkrankung kann auf der Basis einer ausführlichen Anamnese einschließlich einer Anamnese des Substanzgebrauchs, einer körperlichen Untersuchung, dem Einsatz alkoholspezifischer Fragebögen sowie der Erhebung relevanter Laborwerte erstellt werden.

Gemäß ICD-10 (WHO 2000) sind folgende Merkmale für Alkoholabhängigkeit kennzeichnend:

  • CRAVING – Gesteigertes, fast unbezwingbares Verlangen nach Alkohol
  • VERMINDERTE KONTROLLFÄHIGKEIT  – Beginn, Menge und Beendigung des Alkoholkonsums sind nicht mehr kontrollierbar
  • TOLERANZENTWICKLUNG  – Zunehmend größere Menge wird vertragen und benötigt; nach langjähriger Abhängigkeit erfolgt Toleranzminderung
  • ENTZUGSSYMPTOME – Körperliche Symptome (z. B. Erbrechen, Übelkeit) oder psychische Symptome (Angst, innere Unruhe) bei Abfall des Alkoholspiegels; Verschwinden der Symptome bei Alkoholkonsum
  • EINENGUNG AUF SUBSTANZMISSBRAUCH – Anlegen von (heimlichen) Alkoholvorräten; Organisation des Tagesablaufs, sodass Alkoholkonsum möglich ist; fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen
  • KONSUM TROTZ SCHÄDLICHER FOLGEN – Fortsetzung des Alkoholkonsums, obwohl körperliche Schäden, negative soziale Folgen oder psychische Veränderungen wahrgenommen werden

Werden gleichzeitig mindestens drei dieser Merkmale während des letzten Jahres festgestellt, dann liegt eine Alkoholabhängigkeit gemäß ICD-10 vor.

  • Objektive Merkmale und Zeichen einer Alkoholerkrankung

    Viele der von Patienten genannten Symptome sind unspezifisch. Daher muss der Arzt bei Befindlichkeitsstörungen immer auch eine alkoholbezogene Störung mit in Betracht ziehen. Zeichen einer alkoholbezogenen Störung sind vor allem:

    • Alkoholgeruch
    • akute Alkoholisierung – Rauschzustand
    • eindeutige Zeichen eines gesteigerten Alkoholgebrauchs (z. B. Notiz von leeren Flaschen bei einem Hausbesuch)
    • abnorme Gesichtsvaskularisation (»Gesichtsröte«) und Sklereninjektion, gerötete Handinnenflächen, Rinophym
    • wiederholt auftretender Alkoholfötor
    • Alkoholentzugssyndrom
    • Voralterung
    • Zittern der Hände
    • vegetative Labilität, insbesondere erhöhte Schweißneigung
    • Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit
    • weitere alkoholbedingte körperliche Beschwerden können beobachtet werden:
      • Magen-Darm-Beschwerden, z. B. morgendliche Übelkeit
      • Bluthochdruck
      • Leberfunktionsstörungen
      • Depressionen
      • Schlafstörungen
      • sexuelle Funktionsstörungen
      • Pankreatitis
      • Fettleber / Leberzirrhose
      • Myokardschäden

  • Laborindikatoren

    Laborwerte alleine sind oft nicht sensitiv genug um eine Alkoholabhängigkeit oder einen missbräuchlichen Konsum aufzudecken. Es wird auch davor gewarnt, ausschließlich über diese Werte eine Diagnose zu stellen. Durch direkte Befragung von Patienten können mitunter validere Ergebnisse erzielt werden. Erhöhte Laborbefunde sind für den niedergelassenen Arzt jedoch ein guter „Aufhänger“ für eine Ansprache auf einen problematischen Alkoholkonsum. Als spezifische „Alkoholmarker“ gelten:

    • GGT (Gamma-Glutamyltransferase) < 28 U/l
    • MCV (Mean Corpuscular Volume) < 92/100 fl
    • CDT bzw. %CDT (Carbohydrate Deficient Transferrin) < 26/28 U/l

  • Fragebogeninstrumente

    Abhängig von ihrer Testgüte können Fragebogeninstrumente sehr gut eine Alkoholabhängigkeit, einen Missbrauch oder einen riskanten Konsum aufzeigen.

    Eine gute Testvalidität weisen u. a. folgende Fragebögen auf:

    LAST (Lübecker Alkoholismus Screening Test) [Rumpf, H.-J. Hapke, U. John, U.]

    und

    AUDIT (Alcohol Use Disorders Identification) [Ewing, 1984]

    Audit Fragebogen

    AUDIT-Auswertung

    AUDIT-C-Fragebogen


Beratungsleitfaden

Alkoholkonsum bei Patientinnen und Patienten ansprechen
Ärztliches Manual zur Prävention und Behandlung von riskantem, schädlichem und abhängigem Konsum

Alkoholaufklärung als Teil der Schwangerenvorsorge

Mütterlicher Alkoholkonsum während einer Schwangerschaft kann zu massiven Schäden beim ungeborenen Kind führen. Der Oberbegriff Fetale Alkohol-Spektrum-Störungen (FASD - fetal alcohol spectrum disorders) fasst alle Schädigungen, die durch intrauterine Alkoholexposition hervorgerufen werden, zusammen.

Typische Symptome sind Auffälligkeiten des Wachstums, cranio-faciale, kardiale, renale, ossäre und okuläre Fehlentwicklungen, Störungen der Entwicklung, der Kognition und des Verhaltens sowie Einschränkungen in Teilleistungen.

Laut der KIGGS-Studie des Robert Koch-Instituts konsumieren etwa 14 % der werdenden Mütter in ihrer Schwangerschaft Alkohol. Zwischen 4 bis 6 Kinder von 1.000 Geburten in Deutschland kommen mit fetalen Alkohol-Spektrum Störungen auf die Welt, womit diese eine der häufigsten angeborenen Erkrankungen darstellen.

Das Vollbild eines Fetalen Alkoholsyndroms (FAS) tritt nach Schätzungen in 0,2 bis 0,8 von 1.000 Geburten auf. Andere Studien gehen beim Vollbild für Deutschland von 600 bis 1.200 Neugeborenen pro Jahr aus. Offensichtlich werden die Gefahren des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft weiterhin weitgehend unterschätzt.

Schwangere und Frauen, die eine Schwangerschaft planen, sollen daher dringend im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen auf einen konsequenten Alkoholverzicht hingewiesen werden.

2011 nahm der G-BA eine entsprechende Änderung der Anlage 3 der Mutterschafts-Richtlinien vor. Demnach sollen Ärzte Schwangere bei der Beratung über Genussmittel ausdrücklich auf „Alkohol, Tabak und andere Drogen“ hinweisen. Im Mutterpass ist zu vermerken, dass die schwangere Frau explizit auf dieses Thema angesprochen wurde.