Mit der GOÄ am Krankenbett
Deutsches Ärzteblatt 100, Heft 21 (23.05.2003), Seite A-1464
Seit Neufassung des § 22 Abs. 2 der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) vom 1. Januar 1995 ist der Patient vor Abschluss einer Wahlleistungsvereinbarung über die Entgelte der Wahlleistungen und deren Inhalt "im Einzelnen" zu unterrichten. Die Unterrichtung des Patienten, Voraussetzung für das Zustandekommen einer wirksamen Wahlleistungsvereinbarung einschließlich Arzt-Zusatzvertrag, betrifft nichtärztliche Wahlleistungen, wie die Unterbringung, und wahlärztliche Leistungen gleichermaßen. Bereits vor Neufassung des § 22 Abs. 2 BPflV war strittig, wie detailliert die Information über die Gebührenhöhe der wahlärztlichen Behandlungskosten sein muss. In der Regel wurde vor 1995 davon ausgegangen, dass dem Patienten die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Amtliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) gewährleistet und nur auf Verlangen näher erläutert werden müsse (vgl. OLG Köln, Az.: 5 U 144/96).
Ein bloß formularmäßiger Hinweis am Ende der Wahlleistungsvereinbarung, dass dem Patienten die Möglichkeit gegeben worden sei, "die Gebührenordnung für Ärzte einzusehen", kann aber nicht mehr als ausreichend betrachtet werden - auch dann nicht, wenn der Patient durch Unterschrift ein solches "Informationsangebot" bestätigt. Mit Urteil vom 28. Mai 2002 hat das Pfälzische Oberlandesgericht entschieden, dass solche vorformulierten Vertragsbedingungen, die dem Patienten die Beweislast für Umstände auferlegen, die eigentlich im Verantwortungsbereich des Krankenhauses liegen, wegen Verstoßes gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 11 Nr. 15b AGBG) nicht zulässig seien (vgl. Pfälzisches Oberlandesgericht, Az.: 5 U 1/02).
Schon längst sind viele Krankenhäuser dazu übergegangen, am Ende der Wahlleistungsvereinbarung nicht nur auf die Möglichkeit der Einsichtnahme in die GOÄ hinzuweisen, sondern ein konkretes Berechnungsbeispiel anzuführen. Ob aber ausgerechnet das in einigen Muster-Wahlleistungsvereinbarungen ausgewählte Beispiel der Berechnung einer Beratung nach Nr. 1 GOÄ (4,66 Euro) dem Patienten auch nur ansatzweise die Vorstellung über die zu erwartenden ärztlichen Behandlungskosten zu vermitteln mag, muss bezweifelt werden. Der Verordnungsgeber hat mit der Neufassung von § 22 Abs. 2 BPflV eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten einschließlich realistischer finanzieller Folgenabschätzung selbst gewählter Zusatzleistungen bezweckt.
In der Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichtes vom 16. Oktober 2002 folgern die Richter, dass die Vorlage beziehungsweise Übergabe der GOÄ an den Patienten eigentlich entbehrlich sei. Was soll der sachunkundige Patient auch damit anfangen? Im Ergebnis aber schießen die Jenaer Richter weit übers Ziel hinaus, wenn sie fordern, der Patient solle "schrittweise, parallel zur Aufklärung über die vorzunehmenden Therapieschritte, über die finanziellen Konsequenzen des therapeutischen Vorgehens in Kenntnis gesetzt werden" (Thüringer OLG, Az. 4 U 277/02). Hieraus hört man weniger ein Anliegen des Verbraucherschutzes als vielmehr das Misstrauen gegen die privat liquidierenden Chefärzte heraus.
Dr. med. Regina Klakow-Franck
(in: Deutsches Ärzteblatt 100, Heft 21 (23.05.2003), Seite A-1464)