Selbstständige Leistungen nebeneinander
Deutsches Ärzteblatt 99, 31-32 (05.08.2002), Seite A-2131
Das Gebührenverzeichnis der Amtlichen Gebührenordung für Ärzte (GOÄ) ist ein Katalog von einfacheren und komplexeren Einzelleistungen, von denen jede für sich - im Regelfall - eine eigenständige medizinische Prozedur abbildet, sei es eine Blutentnahme oder eine Lebertransplantation. Um zu verhindern, dass die Gebühr für komplexere Leistungen baukastenartig erweitert wird, ist in vielen Fällen die Berechnungsfähigkeit einer Gebührenposition an die Abrechnungsbestimmung, nur "als selbstständige Leistung", geknüpft (zum Beispiel die Ureterolyse nach Nr. 1829 a).
Das übergeordnete Strukturprinzip zur Entscheidung der Frage, ob eine Leistung mit der Berechnung der Gebühr für eine komplexere Leistung als abgegolten betrachtet werden muss, ist das so genannte Zielleistungsprinzip. Der Begriff der "Zielleistung" ist ein Ordnungsbegriff, der als solcher im Wortlaut der GOÄ nicht vorkommt. Grundgedanke des Zielleistungsprinzips ist, dass ausschließlich "selbstständige Leistungen" ohne gebührenwirksame inhaltliche Überschneidung "nebeneinander" berechnet werden dürfen.
Hauptschauplatz der Auseinandersetzungen ist die Abrechnung verschiedener operativer Eingriffe innerhalb eines Operationsgebietes in einer Sitzung. Für operative Einzelschritte, die "zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen methodisch notwendig" sind, kann gemäß § 4 Absatz 2 a GOÄ keine Gebühr berechnet werden. Handelt es sich hingegen um methodisch verzichtbare, nur bei besonderen Indikationen durchgeführte Zusatzeingriffe, die als fakultative Maßnahmen nicht bereits in der Leistungsbeschreibung mitberücksichtigt sind, so müssen diese als selbstständige Leistungen anerkannt werden, auch wenn diese nicht als "alleinige Leistung", sondern vorwiegend im Zusammenhang mit einem anderen Haupteingriff durchgeführt werden. Dies trifft beispielsweise auf die subtotale Synovektomie (bei rheumatoider Arthritis) oder die Pfannendachplastik (bei Hüftgelenksdysplasie) zu, wenn diese neben dem Einbau einer Hüftgelenksendoprothese nach Nr. 2151 durchgeführt werden. Beide Eingriffe bilden eigenständige Leistungsziele ab, die nicht mit aufwandssteigernden Begleitfaktoren - wie eine Adipositas permagna - gleichzusetzen sind, welche gebührentechnisch durch die Anwendung eines höheren Steigerungsfaktors abgebildet werden.
Gebührenrechtlich schwieriger zu interpretieren sind jene Fälle, in denen sich im Vergleich zu dem veralteten Leistungsverzeichnis der Operationsstandard so sehr verändert hat, dass methodisch verzichtbare, aber inzwischen medizinisch empfohlene Begleitmaßnahmen routinemäßig durchgeführt werden. Auch wenn die neue zusätzliche Leistung - historisch betrachtet - noch nicht bei der Bewertungsfindung für die Gebührenposition berücksichtigt gewesen sein kann, ist zu prüfen, ob es sich hierbei im Einzelfall nicht eher um eine Modifikation des Operationsverfahrens handelt, die entsprechend § 4 Abs. 2 a GOÄ als "besondere Ausführung" zu werten ist. Aus diesem Grund wurde beispielsweise die Einführung einer Markraumsperre im Zusammenhang mit der Hüftgelenksendoprothetik von der Bundesärztekammer nicht als selbstständige Leistung anerkannt.
Dr. med. Regina Klakow-Franck
(in: Deutsches Ärzteblatt 99, 31-32 (05.08.2002), Seite A-2131)