"Ausfüllungsbedürftige Regelungslücke"
Deutsches Ärzteblatt 99, 34-35 (26.08.2002), Seite A-2271
Schon bald nach der Einführung der Lebertransplantation in das Leistungsverzeichnis der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) im Jahr 1988 wurde die Nr. 3184 sowohl hinsichtlich der Leistungsbeschreibung ("Lebertransplantation", - einschließlich Explantation des erkrankten Organs - einschließlich Entnahme des Spenderorgans -) als auch bewertungsbezogen (7500 Punkte) als unzureichend erkannt. 1991 wurde deshalb von der Bundesärztekammer eine prozedurengerechte Abrechnungsempfehlung veröffentlicht.
In zweiter Instanz wurde vom Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (Az. 8 U 181/00) die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts (LG) Düsseldorf, das die Analogabrechnung einer Lebertransplantation gemäß der Bundesärztekammer-Empfehlung bestätigt hatte (LG Düsseldorf, Az. 3/O 351/98), zurückgewiesen. Formal betrachtet können nur solche Leistungen analog berechnet werden, "die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind" (§ 6 Abs. 2 GOÄ). Bemerkenswert an den Entscheidungsgründen für die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils ist deshalb, dass das OLG eine "ausfüllungsbedürftige Regelungslücke" in der GOÄ auch für den Fall feststellt, wenn das Leistungsverzeichnis zwar eine Gebührenposition - in diesem Fall die Nr. 3184 - vorhält, diese Abrechnungsgrundlage aber "wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse so wenig sachgerecht ist, dass der Regelungscharakter verloren gegangen ist".
Das Gebührenverzeichnis der GOÄ ist aufgrund der mangelhaften Aktualisierung und der seit 1996 ausstehenden Punktwertanpassung an die wirtschaftliche Entwicklung nur noch wenig sachgerecht. Dennoch sollte das Urteil des OLG Düsseldorf nicht als Freibrief für willkürliche Höherbewertungen aus individueller Einschätzung unterbewertet empfundener Gebührentatbestände missverstanden werden. Der richterlichen Sensibilisierung für einen sonst aus ärztlicher Sicht oft vermissten sachgerechten Lösungsansatz kam im Fall der Lebertransplantation zu Hilfe, dass es sich hierbei um ein schon bei Einführung der Leistung in das Gebührenverzeichnis besonders krasses Beispiel der Fehlbewertung handelt - so krass, dass auch in einer vom Oberlandesgericht eingeholten Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit eingeräumt wurde, im Rahmen eines weiteren Novellierungsschritts der GOÄ sei "mit Blick auf den Aufwand bei einer Lebertransplantation" eine "deutliche Erhöhung der Vergütung" notwendig.
Das Urteil des OLG Düsseldorf sollte vor allem privaten Krankenversicherungen zu denken geben, die durch eine Maximalbeugung des Zielleistungsprinzips (§ 4 Abs. 2 a GOÄ) versuchen, Weiterentwicklungen im ärztlichen Leistungsspektrum prinzipiell auf dem Niveau veralteter Gebührenpositionen zu halten - ohne jede Würdigung der neuen therapeutischen Ansätze oder differenzierteren diagnostischen Möglichkeiten. Aufseiten der Ärzteschaft sollte berücksichtigt werden, dass bei neuen Untersuchungs- oder Behandlungmethoden besonders hohe Anforderungen an die Aufklärung des Patienten und Dokumentation der Leistung zu erfüllen sind. Die Analogabrechnung einer neuen Leistung muss für den Patienten verständlich und nachvollziehbar sein (Transparenzgebot nach § 12 Abs. 4 GOÄ).
Dr. med. Regina Klakow-Franck
(in: Deutsches Ärzteblatt 99, 34-35 (26.08.2002), Seite A-2271)