Anfragen von privaten Versicherungen: Befundbericht oder Gutachten?
Deutsches Ärzteblatt 109, Heft 19 (11.05.2012), S. A-992
Niedergelassene Ärzte erhalten häufig Anfragen von privaten Versicherungen, die Informationen über den Gesundheitszustand von Patienten benötigen. Anlass dazu können beispielsweise der geplante Abschluss einer privaten Lebensversicherung oder Schadensersatzforderungen nach einem Unfall sein.
In diesen Fällen ist zunächst darauf zu achten, dass eine konkrete, auf den Einzelfall bezogene Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vorliegt. Entspricht es dem Wunsch des Patienten, die Versicherungsanfrage zu beantworten, handelt es sich hierbei um eine berufliche Leistung des Arztes, so dass sich die Vergütung nach den Vorgaben der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) richtet (§ 1 Absatz 1 GOÄ). Abgesehen von Einzelfällen, in denen eine kurze Bescheinigung oder ein kurzes Zeugnis im Sinne der Nr. 70 GOÄ ausreichend ist, werden zumeist Fragebogen zur Beantwortung vorgelegt, die den Leistungsinhalt eines Krankheits- und Befundberichts nach der Nr. 75 GOÄ oder einer schriftlichen gutachtlichen Äußerung nach den Nrn. 80 und 85 GOÄ erfüllen. Insoweit ist teilweise strittig, ob es sich lediglich um einen Befundbericht oder um ein entsprechend höher zu vergütendes Gutachten handelt. Dieser Punkt sollte vor der Beantwortung der Anfrage geklärt werden. Dabei gilt, dass sich ein Krankheits- und Befundbericht nach der Nr. 75 GOÄ auf die Beschreibung einer zurückliegenden Behandlung mit Wiedergabe der in den Behandlungsunterlagen enthaltenen Daten beschränkt. Eine weitergehende Beurteilung ist – mit Ausnahme der in der Leistungslegende zur Nr. 75 GOÄ ausdrücklich genannten epikritischen Bewertung – nicht vorgesehen.
Werden vom Arzt jedoch Auskünfte und medizinische Bewertungen erwartet, die über die Darstellung des bisherigen Behandlungsverlaufs hinausgehen, liegt in der Regel eine gutachtliche Äußerung vor. Dies betrifft beispielsweise Fragen nach der mittel- bis langfristigen Prognose einer Erkrankung. Ebenso ist die von Unfall- oder Haftpflichtversicherungen häufig gestellte Frage, ob – beziehungsweise in welchem Umfang – die aktuell vorliegenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen auf ein Unfallgeschehen zurückzuführen sind oder eher auf zum Unfallzeitpunkt bereits bestehenden Vorerkrankungen beruhen, nur im Rahmen einer gutachtlichen Stellungnahme zu beantworten. Sofern die schriftliche gutachtliche Äußerung einen das gewöhnliche Maß übersteigenden Aufwand erfordert, kann für diese Leistung anstelle der Nr. 80 GOÄ die höher bewertete Nr. 85 GOÄ angesetzt werden. Die Nr. 85 ist dabei je angefangene Stunde Arbeitszeit berechnungsfähig. Von einem das gewöhnliche Maß übersteigenden Aufwand kann im Hinblick auf die Bewertungsrelation zwischen der Nr. 80 und der Nr. 85 dann ausgegangen werden, wenn der Zeitaufwand für das Gutachten mehr als 30 Minuten betragen hat (vgl. Kommentierung nach Brück, Deutscher Ärzte-Verlag). Neben den Nrn. 80 und 85 GOÄ können zusätzlich Schreibgebühren nach der Nr. 95 GOÄ angesetzt werden.
Sofern es einen erheblichen Aufwand erfordert, die Versicherungsanfrage zu beantworten, etwa nach langjähriger Behandlung eines Patienten, besteht auch die Möglichkeit, in einer Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ einen höheren Steigerungsfaktor festzulegen. Alternativ können auch Kopien der Behandlungsunterlagen herausgegeben werden, die dann von der Versicherung selbst ausgewertet werden müssen. Als Kopierkosten können die Sätze des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes in Höhe von 50 Cent je Seite herangezogen werden.
Dipl.-Verw.-Wiss. Martin Ulmer
(in: Deutsches Ärzteblatt 109, Heft 19 (11.05.2012), S. A-992)