Nachhaltig lebensverändernde Erkrankungen
Deutsches Ärzteblatt 106, Heft 50 (11.12.2009), S. A-2828
Die Nr. 34 der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) beschreibt die „Erörterung (Dauer mindestens 20 Minuten) der Auswirkungen einer Krankheit auf die Lebensgestaltung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Feststellung oder erheblichen Verschlimmerung einer nachhaltig lebensverändernden oder lebensbedrohenden Erkrankung – ggf. einschließlich Planung eines operativen Eingriffs und Abwägung seiner Konsequenzen und Risiken –, einschließlich Beratung – ggf. unter Einbeziehung von Bezugspersonen“. Diese leider etwas sperrig geratene Leistungsbeschreibung lässt dabei einen größeren Interpretationsspielraum zu, da der Verordnungsgeber weder den „unmittelbaren Zusammenhang“ noch die Voraussetzungen für eine „nachhaltig lebensverändernde“ Erkrankung exakt definiert hat.
Der GOÄ-Kommentar von Brück führt als nachhaltig lebensverändernde Erkrankungen beispielhaft alle Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und die Lebensgestaltung berührende Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Asthma bronchiale auf. Auch kann von einer mindestens nachhaltig lebensverändernden Erkrankung ausgegangen werden, wenn Risikofaktoren festgestellt werden, die erfahrungsgemäß mit einer deutlichen Lebensverkürzung einhergehen. Dies trifft beispielsweise sowohl auf eine HIV-Infektion als auch auf eine schwere arterielle Hypertonie zu. Entscheidend ist jeweils, dass mit der Erkrankung gravierendere gesundheitliche Einschränkungen verbunden sind, die sich erheblich auf die Lebensgestaltung auswirken und eine entsprechende Erörterung im Sinne der Leistungslegende erforderlich machen.
Probleme bereitet in der Praxis immer wieder die Abrechnung der Nr. 34 für ausführliche Aufklärungsgespräche vor größeren Operationen im Krankenhaus. Obwohl im Zusammenhang mit Eingriffen bei nachhaltig lebensverändernden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen wie der (Teil-)Resektion von Organen oder der Implantation von Prothesen ein erheblicher Gesprächsbedarf besteht und sich erhebliche Auswirkungen auf die Lebensgestaltung ergeben können, wird die Nr. 34 von einzelnen Krankenversicherungen abgelehnt. Dies wird damit begründet, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Feststellung der Erkrankung nicht gegeben sei, da die Erkrankung regelmäßig vom einweisenden Arzt, nicht jedoch vom Operateur diagnostiziert werde.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass nach Meinung des GOÄ-Kommentars von Brück der „unmittelbare Zusammenhang“ nicht nur im Sinne einer zeitlichen Bindung zu verstehen ist. Vielmehr kommt es vor allem auf den unmittelbaren sachlichen Zusammenhang zwischen der Erörterung und der Feststellung oder Verschlimmerung einer Erkrankung an.
Dementsprechend haben die Amtsgerichte Radolfzell (Az.: 2 C 447/06 und 3 C 1/07) und Wetzlar (Az.: 30 C 127/05) sowie das Landgericht Frankfurt/M. (Az.: 2 – 16 S 170/06) die Nr. 34 für präoperative Aufklärungsgespräche im Zusammenhang mit der Implantation von Knie- beziehungsweise Hüftgelenkendoprothesen sowie der Dekompression von Nervenwurzeln an der Wirbelsäule ausdrücklich anerkannt.
Dipl.-Verw.Wiss. Martin Ulmer
(in: Deutsches Ärzteblatt 106, Heft 50 (11.12.2009), S. A-2828)