Zur Einbeziehung der Bezugsperson „aus einem außergewöhnlichen Grund“
Deutsches Ärzteblatt 106, Heft 25 (19.06.2009), S. A1328
Die Leistungslegende der Nr. 4 der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) „Erhebung der Fremdanamnese über einen Kranken und/oder Unterweisung und Führung der Bezugsperson(en) – im Zusammenhang mit der Behandlung eines Kranken“ ist relativ allgemein gehalten, sodass sich immer wieder Auslegungsprobleme ergeben. Der Verordnungsgeber hat in der Begründung zur GOÄ-Novelle ausgeführt, dass die Anamnese und Besprechung eines Krankheitsfalls in Zusammenarbeit mit Angehörigen oder anderen Bezugspersonen (beispielsweise bei behinderten Kindern, bewusstseinsgestörten Patienten oder Unfallpatienten) schwierig und aufwendig sein könne. Dieser Aufwand werde durch die Gebühr nach Nr. 4 berücksichtigt. Im Kommentar zur GOÄ vom Deutschen Ärzte-Verlag wird angemerkt, dass in dieser Begründung die Motivation des Gesetzgebers zum Ausdruck komme, besonders aufwendige Fremdanamnesen und Besprechungen mit Bezugspersonen abzugelten.
Der Auffassung, nach der die Abrechnung der Nr. 4 GOÄ bei der Behandlung von Kindern generell unzulässig sei, weil hierbei immer das Gespräch über die Eltern oder sonstige Bezugspersonen erfolgen müsse, ist jedoch zu widersprechen. So hat das Landgericht Karlsruhe in einem Urteil vom 14. März 2001 (Az.: 1 S 90/99) ausgeführt: Bei der Behandlung eines Säuglings oder Kleinkindes könne die Nr. 4 statt der Nr. 1 GOÄ nicht regelhaft abgerechnet werden, da die Anamneseerhebung über eine Bezugsperson bei normalem Gesundheitszustand den Regelfall darstelle und deshalb mit der Nr. 1 abgegolten sei. Nr. 4 sei jedoch berechnungsfähig, wenn der zweite Leistungsbestandteil, nämlich die Unterweisung und Führung der Bezugsperson(en), vom Arzt erbracht werde. Hierbei müsse es sich aber, zur Unterscheidung von sogenannten normalen Fällen, um eine schwierige Führung der Bezugsperson handeln. Bei der Fremdanamnese finde Nr. 4 GOÄ Anwendung, wenn bei komplexen Krankheitsbildern eine aufwendige Fremdanamnese bei den Eltern des Patienten durchgeführt werden müsse, die vom Zeitaufwand her eine deutliche Abgrenzung zu den allgemeinen Beratungen erlaube. Somit sei der Ansatz der Nr. 4 unter Berücksichtigung des medizinischen Sachverhalts im Einzelfall zu beurteilen. Schließlich sei eine Abrechnung der Nrn. 1 und 4 GOÄ nebeneinander dann nicht möglich, wenn sich bei der Behandlung von Kleinkindern und Säuglingen sämtliche Leistungsbestandteile der Nrn. 1 und 4 (Anamnese, Beratung und Unterweisung) allein auf die Bezugsperson(en) beziehen.
In einem anderen Fall, der der Ärztekammer zur Beurteilung vorgelegt wurde, hatte eine Krankenversicherung bei einer über 80-jährigen Patientin mit Herzinsuffizienz, chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, Non-Hodgkin-Lymphom, reaktiver Depression und demenzieller Entwicklung den Ansatz der Nr. 4 für die ausführliche Unterweisung des betreuenden Sohnes abgelehnt. Argumentiert wurde mit dem Hinweis, dass die Einbeziehung der Bezugsperson aus einem außergewöhnlichen Grund zwingend erforderlich sein müsse. Von einem „außergewöhnlichen Grund“ ist in der GOÄ jedoch an keiner Stelle die Rede. Vielmehr ist der geschilderte Fall ein typisches Beispiel für den Ansatz der Nr. 4 GOÄ.
Dipl.-Verw.-Wiss. Martin Ulmer
(in: Deutsches Ärzteblatt 106, Heft 25 (19.06.2009), S. A1328)