Kein Geld für eingehende Beratung
Deutsches Ärzteblatt 99, Heft 37 (13.09.2002), Seite A-2437
Nach der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte ist die Befundmitteilung mit der Gebühr für die zugrunde liegende Leistung abgegolten. Ergibt sich daneben die Notwendigkeit einer eingehenderen Befunderläuterung, weil der Patient beispielsweise durch einen überraschenden, schwerwiegenden Verdacht beunruhigt ist, so sind die Abrechnungsmöglichkeiten sehr begrenzt. Die eingehende Beratung nach Nr. 3 GOÄ darf neben gebietsbezogenen Untersuchungs- und Behandlungsleistungen nicht berechnet werden. Nr. 3 ist nur als einzige Leistung oder neben den "allgemeinen" Untersuchungen nach den Nrn. 5, 6, 7, 8 sowie gegebenenfalls neben einer neurologischen Untersuchung nach Nr. 800 und psychiatrischen Untersuchung nach Nr. 801 berechnungsfähig, und zwar im Regelfall höchstens einmal im Behandlungsfall.
Im Rahmen der Vierten Änderungsverordnung vom 18. Dezember 1995 sollten die fehlsteuernden Gebührenanreize durch die Benachteiligung zuwendungsintensiver Leistungen gegenüber der relativen Überbewertung medizinisch-technischer Leistungen abgestellt werden. Sofern neue Beratungsleistungen in das Gebührenverzeichnis aufgenommen wurden, sind diese, wie zum Beispiel die "Erörterung des individuellen Risikoprofils und verhaltensmedizinisch orientierte Beratung", nach Nr. 29 GOÄ (Gesundheitsuntersuchung) oder die Homöopathische Erstanamnese nach Nr. 30 GOÄ jedoch an einen sehr eng definierten Leistungskontext geknüpft. Die Knebelung der allgemeinen Beratungsleistung nach Nr. 3 hat dazu geführt, dass diese Gebührenposition weder dem tatsächlichen Aufwand der "sprechenden Medizin" noch dem Beratungsaufwand in der hausärztlichen Medizin, noch den fachgebietsübergreifenden Erfordernissen eines zeitgemäßen, auf die Bedürfnisse des Patienten abgestellten Gespräches gerecht werden kann. Genau betrachtet ist aus Gebührenposition Nr. 3 eine etwas besser bewertete Befundmitteilungsgebühr geworden (Dauer mindestens zehn Minuten, "auch mittels Fernsprecher") - eine "Umgewichtung der Bewertungsrelationen zwischen medizinisch-technischen Leistungen und zuwendungsintensiven Grundleistungen" dürfte damit nicht erzielt worden sein.
Engagierte Ärzte stehen heute vor dem Problem, wie sie ein eingehendes Arzt-Patienten-Gespräch, zum Beispiel anlässlich eines Chemotherapie-Zyklus, aber auch im Zuge der anamnestischen Aufarbeitung chronisch-rezidivierender, auf den ersten Anschein banaler Beschwerden, aufwandsentsprechend und GOÄ-konform abrechnen sollen. Wird hilfsweise statt Nr. 3 die Gebührenposition Nr. 34 (Erörterung der Auswirkungen einer Krankheit auf die Lebensgestaltung) analog für eine ausführliche Beratung abgerechnet, sind teilweise grotesk anmutende Auseinandersetzungen mit dem Krankenversicherungsunternehmen über die Relativität der "Lebensbedrohlichkeit" durch den im Einzelfall vorliegenden Befund die Folge.
Das alternative Ausweichen auf Gebührenpositionen der Psychiatrie und Psychotherapie, zum Beispiel Nr. 849 (Psychotherapeutische Behandlung bei psychoreaktiven Störungen), ist aus Sicht der Bundesärztekammer deshalb problematisch, weil es sich hierbei um spezielle Behandlungsleistungen handelt, die - wenn überhaupt - ebenfalls nur analog abgegriffen werden könnten. Die Neubewertung des eingehenden Arzt-Patienten-Gesprächs, auch - wie in Nr. 29 GOÄ bereits angedacht - unter Berücksichtigung präventiver Aspekte, ist dringend erforderlich.
Dr. med. Regina Klakow-Franck
(in: Deutsches Ärzteblatt 99, Heft 37 (13.09.2002), Seite A-2437)